11.04.2022

Seitenblick: Ablass zahlen im Studio

Die Sprache von Fitnessinstruktorinnen und -instruktoren soll Sportlerinnen und Sportlerinnen zu Höchstleistungen antreiben. Immer wieder zielen Motivationsreden auf die Ernährung - und machen eher ein schlechtes Gewissen als Lust auf Bewegung.

Von Seraina Hess
aktualisiert am 02.11.2022
Von guten Vorsätzen und schlechtem Gewissen sind die ersten Wochen nach dem Weihnachtsfest geprägt. Entsprechend gefüllt sind die Spiegelsäle bei Fitness-Anbietern bis in den Februar, März hinein, und es wird wie wild geplankt, gecruncht und gesquattet. Keine Chance, das Liegestütz-Set abzubrechen, denn in aller Regel steht eine trainierte Instruktorin vor der Gruppe, die Teilnehmende verbal auf Trab hält und just in dem Moment, in dem der Trizeps zu bersten droht, den schlimmsten aller Sätze schreit: «Denkt an die vielen Weihnachtsguetzli, die ihr in den letzen Wochen verschlungen habt!»Glücklicherweise gehören Zimtsterne und Mailänderli spätestens im Februar nicht mehr zum Trainings-Jargon. Das Problem im Fitnessstudio: Ist ein Feiertag Geschichte, vereinnahmt bereits der nächste die vermeintlichen Motivationsreden der Kursleiterinnen und -leiter. «Denkt an mich, wenn ihr die nächsten Fasnachtschüechli verdrückt», heisst es dann, oder derzeit: «Verdienen wir uns den Schoggihasen, damit er erst gar keine Röllchen hinterlässt.» Mit dem Fitnessstudio ist es manchmal wie mit der Religion: Wir sind Sünder und müssen Busse tun, ganz gleich, ob wir mit uns selbst zufrieden sind oder nicht.Man könnte annehmen, dass nach Ostern etwas Ruhe im Training einkehrt und der Sport einfach nur das ist, was er sein soll: eine Freizeitbeschäftigung, die Freude bereitet, völlig losgelöst von Bauchumfang und Bodymassindex. Erfahrungsgemäss ist allerdings jetzt schon klar, dass ich vor den Sommerferien wieder Ablass zahlen werde. Glacé steht auf der Frevelliste der Kursleiterinnen und Kursleiter nun mal ganz oben.

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