Zu den Psychiatrie-Diensten Süd gehört die Psychiatrische Klinik in Pfäfers und drei Versorgungszentren: Eines befindet sich im Linthgebiet mit den Standorten Uznach und Rapperswil, ein weiteres in Trübbach und das dritte in Heerbrugg.Im Rheintal sind rund 60 Angestellte beschäftigt, im gesamten Versorgungsgebiet sind es fast 600. Chefärztin der Psychiatrie-Dienste Süd ist die 43-jährige Angela Brucher. Sie lebt in einer eingetragenen Partnerschaft und ist Mutter eines siebenjährigen Sohns.Erste Welle«Im Februar 2020 bekamen wir eine erste Vorahnung, was auf uns zukommen könnte», sagt Angela Brucher. Als die Fallzahlen dann stiegen, mussten zuallererst Vorsichtsmassnahmen getroffen werden. «Das war eine ziemliche stressige Zeit. Einerseits, weil das weitgehend unbekannte Virus Nervosität und Anspannung auslöste – und andererseits, weil zahlreiche neue Schutzmassnahmen innert kürzester Zeit umgesetzt werden mussten», sagt Angela Brucher, die seit Herbst 2019 Chefärztin ist und die im ersten Jahr in ihrer neuen Aufgabe gleich mit der Krise konfrontiert wurde. «Wir konnten nicht auf Erfahrungen aus anderen Beispielen zurückgreifen. Das letzte vergleichbare Ereignis kennen wir mit der Spanischen Grippe nur aus der Geschichte.»Die erste Hürde war die Materialbesorgung, da es Engpässe bei Hygieneartikeln und Desinfektionsmitteln gab. «Wir hatten in dieser Zeit viele Krisensitzungen», sagt die Chefärztin. Notfälle zu bewältigen und im Arbeitsalltag zu improvisieren sei damals vorrangig gewesen. Auch privat, denn das mit dem Lockdown zusammenhängende Homeschooling betraf auch sie mit ihrem Sohn. Bei den Mitarbeitern wirkte sich die Unsicherheit in Sachen Virus und der grössere Aufwand aus, der im Berufsalltag betrieben werden musste – feststellbar mit einer erhöhten Burn-out-Symptomatik. Immerhin gab es nur wenige Coronafälle.«Auch der fehlende menschliche Kontakt machte sich bemerkbar. Eine Videokonferenz ist nicht vergleichbar mit einem physischen Treffen», sagt Angela Brucher. «Auf Patientenseite war neu, dass vorher gesunde Leute auf einmal psychotisch wurden, etwa Zwangs- und Wahnsymptome entwickelten», sagt die Chefärztin. Beispielsweise kam es vor, dass Menschen in einem Putzzwang feststeckten und das Gefühl hatten, das Virus sei überall. Von psychischen Erkrankungen waren auch 40- bis 50-Jährige betroffen, die vorher nie in psychiatrischer Betreuung waren.«Solche psychischen Neuerkrankungen kommen in dieser Altersgruppe üblicherweise nicht vor», erklärt Brucher. Fälle wegen häuslicher Gewalt nahmen zu und Leute entwickelten vermehrt Existenzängste. In Behinderten-, Alters- und Pflegeheimen wirkte sich die soziale Isolation aus und zeigte sich in starken Angstzuständen und Depressionen. Ferien, die ausfielen oder Besuchsverbote liess Leute aus ihrem geregelten Alltag kippen, in dessen Strukturen sie sich vorher knapp halten konnten. Ältere oder psychisch bereits angeschlagene Menschen hatten Mühe mit der Einsamkeit, ihr Zustand destabilisierte sich. Eine Folge war etwa, dass sie antriebslos wurden.«Wegen der Ansteckungsgefahr haben wir in den Tageskliniken während des Lockdowns das ambulante Angebot heruntergefahren. Rückblickend war das wohl ein Fehler», sagt Angela Brucher und führt aus: «In der psychiatrischen Klinik in Pfäfers kam es auch dadurch zu einem höheren Durchlauf. Es gab mehr Eintritte, die Leute stabilisierten sich aber meistens schnell und konnten die Klinik wieder verlassen.»ZwischenzeitDer Durchlauf in Pfäfers blieb leicht höher als im Durchschnitt eines vergleichbaren Zeitraums. «Wir merkten, dass die Bevölkerung nach wie vor unter Druck steht», sagt Angela Brucher. Sonst habe sich die Lage stabilisiert und in ihren Institutionen sei über den Sommer die Normalität zurückgekehrt.«Wir waren in dieser Zeit ein wenig blauäugig, weil wir nicht mit so einer massiven zweiten Welle gerechnet haben», findet die Chefärztin der Psychiatrie Dienste im Rückblick.Zweite WelleIm November gab es zeitweise fast täglich Mitarbeitende, die positiv getestet wurden. Und eine Patientin und ein Patient der gerontopsychiatrischen Station, wo ältere Menschen mit psychiatrischen Erkrankungen behandelt werden, verstarben im Spital an den Folgen der Erkrankung. «Das war eine sehr schwierige Zeit. Es war nicht einfach, den Betrieb aufrecht zu halten. Auf dem verbliebenen Personal lastete grosser Druck», sagt Angela Brucher. Ab Weihnachten habe sich die Lage stabilisiert. Nun stellt die Chefärztin eine Art Coronamüdigkeit fest. Mitarbeiter mit Verwandten im Ausland bekundeten das Bedürfnis, diese wieder einmal zu sehen, Assistenzärzte aus anderen Ländern fühlten sich einsam, weil sie schon lange nicht mehr – auch nicht über die Festtage – nach Hause konnten.Auf der anderen Seite erkannte Brucher, dass die teils fast paranoide Angst, die viele während der ersten Welle hatten, in der zweiten Welle beinahe gänzlich fehlte. «Bilder aus Bergamo in Italien mit übervollen Spitälern trugen wohl in der ersten Phase viel dazu bei, dass sich die Leute fürchteten, es könnte bei uns auch so schlimm werden. Als man sah, dass unser Gesundheitssystem den Anstieg von schweren Fällen besser auffangen kann, erschreckten auch viel höhere Ansteckungszahlen nicht mehr», sagt Angela Brucher. Zudem hätten sich die Menschen wohl etwas an die neuen Umstände gewöhnt.Ausblick«Man spürt bei vielen Leuten, dass die Luft draussen ist, dass sie nicht mehr mögen, obwohl noch kein Ende in Sicht ist», sagt Chefärztin Angela Brucher. Sie hoffe, dass funktionierende Impfstoffe ab Ende Sommer die Normalität zurückbringen werden und sich dann nicht noch einmal eine neue Welle aufbaue. Zumal für viele Menschen die Aufarbeitung der überstandenen schwierigen Phasen erst beginnt, wenn die Normalität wieder Einzug hält.