01.04.2021

Schriften zum Osterfest

In früheren Jahren endete das Schuljahr mit einem Examen kurz vor Ostern. In den Wochen zuvor mussten die Schülerinnen und Schüler der oberen Klassen kunstvolle Osterschriften anfertigen. Mit militärischer Strenge verlangte auch der einbeinige Lehrer Hans Conrad Sturzenegger im Schulhaus Hub, Wolfhalden, perfekte Arbeiten.

Von Peter Eggenberger
aktualisiert am 03.11.2022
«Die Lehrer hatten damals so gut wie keine Vorbildung für ihren verantwortungsvollen Beruf», heisst es in der 1952 erschienenen Ortschronik Wolfhaldens. Und: «Wer zu keinem anderen Beruf Lust und Geschick hatte, suchte seinen Brotkorb in der Schulmeisterei. So auch Sturzenegger, der 1793 in den Dienst der Schulrhode Hub-Sonder trat, die 1786 im Weiler Hub ein neues Schulhaus erbaut hatte.» Vor dem Schuldienst stand er zehn Jahre lang als Söldner in holländischen Diensten. Nach einer Kriegsverletzung kehrte er beinamputiert zurück und wurde als Lehrer mit einem Holzbein zur legendären Figur.Mit Gänsekiel, Tinte und grenzenlosem SpottWie damals üblich, verlangte auch Sturzenegger von den Kindern tadellose Osterschriften, die in mühseliger Arbeit mit Gänsekiel und Tinte gemacht wurden. Der Brauch der Schriften geht auf das 17. Jahrhundert zurück. Auf ein grosses Blatt schrieben die Schüler Verse aus der Bibel oder dem Gesangsbuch ab. Am Schluss erfolgte die Wiedergabe des grossen und kleinen Alphabets sowie der Zahlen.Dann verzierte der Lehrer oder ein beigezogener Künstler die Schriften mit einem prachtvollen Anfangsbuchstaben, dem Initial. Am Examen vor Ostern prüften Dorfpfarrer und Schulvorsteherschaft die Schriften und rangierten sie. Freude und Erleichterung herrschte bei den Kindern mit einem Platz im vorderen Drittel, während die Letztrangierten als Versager gnadenlos dem Spott der Mitschüler und oft auch der Erwachsenen ausgesetzt waren.Vor Ostern wurden auch die Feiern zum Schulschluss am Ostermontag in der Kirche vorbereitet. Am grossen Tag formierten sich die Klassen und Lehrer zum Umzug und marschierten zu Klängen der örtlichen Musikgesellschaft zur Kirche. Nach der kurzen Predigt des Pfarrers erfreuten die Kinder mit ihren eingeübten Liedern und den auswendig gelernten Gedichten die zahlreich anwesenden Behördenmitglieder, Eltern, Verwandten und Dorfbewohner.

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