Die Schweissperlen auf der Stirn stehen im Widerspruch zur ruhigen Stimme, mit der der 25-Jährige auf die Fragen der Richterin antwortet. Sie könnten Vorboten sein auf einen sich anbahnenden Gefühlsausbruch, auf eine aufrichtige Entschuldigung bei den Eltern des Opfers, die nur wenige Meter hinter ihm Platz genommen haben.
Könnten. Denn der somalische Staatsangehörige, der seit Geburt in der Schweiz lebt und in akzentfreiem Bündnerdialekt spricht, bleibt gelassen, auch angesichts der drohenden Strafe, die unter anderem die Rückkehr in eine Heimat bedeuten könnte, in der er nie lebte.
Der Kopf des Vaters sinkt derweil immer weiter in Richtung Tischfläche, die Mutter lässt sich von ihrer Anwältin ein Taschentuch ums andere zustecken.
Einstige Freundinnen des Opfers krümmen sich auf den Zuschauerstühlen vor stummen Weinkrämpfen.
Der Mittwoch am Kreisgericht Werdenberg-Sarganserland katapultierte sie für mehrere Stunden zurück in eine Zeit, in der sie rückblickend gern eingegriffen hätten - hätten sie denn von den Taten, die sich in der Wohnung in Buchs abspielten, gewusst.
Nur für sie war es die grosse Liebe
Um die Dynamik der Beziehung zu verstehen, muss man die Anfänge kennen. Getroffen hatten sich Opfer und Angeklagter erstmals 2014 – sie 14, er 17. Die beiden wurden ein Paar, obschon sie immer wieder Pausen einlegten. Gemäss Anklageschrift war der Beschuldigte die erste Liebe der Verstorbenen, eine grosse noch dazu. Doch die Partnerschaft unterlag von Beginn weg einem Ungleichgewicht. Während sie ihn vergötterte, erniedrigte er sie immer häufiger, bezeichnete sie als dumm oder naiv. Obschon der Beschuldigte die Beziehung mehrmals beendete, gelang es seiner Freundin, ihn zurückzugewinnen.
Beschimpfungen im Wochenbett
Als der Angeklagte im Frühling 2019 endgültig Schluss machen wollte, verkündete ihm das Opfer kurz darauf die Schwangerschaft. Die beiden rauften sich zusammen und die werdende Mutter zog in seine Wohnung.
Damals sei längst absehbar gewesen, dass sich die beiden in verschiedene Richtungen entwickeln würden, sagt der Angeklagte.
Ich kam auf den Geschmack, Karriere zu machen.
Ergänzt er, der seine Lehre einst abgebrochen hatte und in der Pizzeriakette, in der er jobbte, zum Filialleiter befördert wurde.
Die Geburt der Tochter änderte wenig an seiner Geringschätzung für die Partnerin. Regelmässige Wutausbrüche waren an der Tagesordnung. Der Angeklagte bezeichnet die anfängliche Elternzeit zwar als gut; Chatverläufe zeigen anderes. Zwei Tage nach der Geburt schrieb er seiner Partnerin ins Spital: «So en scheiss Esel wo nüt uf d’Reihe bringt, miteme Gedächtnis vomene 80-jöhrige Demente. Du scheiss Mensch!»
Trotz unzähliger Nachrichten in diesem Stil habe das Opfer immer wieder eingelenkt, sagt der Staatsanwalt. «Als hätte sie eine Art Stockholm-Syndrom entwickelt, brachte sie dem Peiniger gegenüber Verständnis auf.» Oberstes Gebot war, seine Anrufe so rasch als möglich zu beantworten. So hatte sie ihren Freund auch nicht unter seinem Namen gespeichert, sondern unter «Sofort, rasch und immer abnehmen!».
Tochter «Missgeburt» und «Scheisskind» genannt
Der Angeklagte schildert die Zeit nach der Geburt anders. Er habe sich darum bemüht, Geld für die Familie nach Hause zu bringen. Doch der zunehmende Druck bei der Arbeit setzte ihm zu, er konnte kaum noch schlafen, sodass sein Cannabiskonsum eskalierte. Schliesslich waren es täglich Joints im zweistelligen Bereich. Spätestens Anfang Dezember 2020 soll der Angeklagte seine Freundin zu schlagen begonnen haben. Zunächst mit Händen und Füssen, später auch mit Besenstielen und dem Gestänge der Garderobe.
Die Zeitpunkte basieren auf Notizen, in denen das Opfer festgehalten hat, was geschehen war. So schrieb sie etwa, ihr Freund beschimpfe auch die einjährige Tochter als «Missgeburt, als wertloses Scheisskind». Eingreifen würde sie nicht mehr: «Mein linkes Knie sieht bereits aus wie das eines Elefanten. Erstaunlich ist aber: Ich werde immer stärker, die Schmerzen der Schläge lassen schneller nach.»
Der Angeklagte berichtet von der Überforderung seiner Freundin. Nachdem sie zuerst aufgeblüht war in der Mutterrolle, habe sie sich nach der Stillzeit kaum mehr aufraffen können. Mit den Schlägen wollte er sie wachrütteln, aus der Trägheit holen.
Er traktierte seine Partnerin derart heftig, dass er an Oberschenkeln und Oberarmen die Muskulatur zermalmte und unwiderruflich schädigte.
«Das muss heftig gewesen sein», wirft die Richterin ein. «Kommt darauf an, wie man heftig auslegt», meint der Angeklagte. Er habe gezielt auf Arme und Beine eingedroschen, nicht auf Gelenke, um keine «ernsthaften» Verletzungen zu riskieren. Ob das Opfer freiwillig auf einen Arztbesuch verzichtete oder gezwungen war, weil ihr Partner in den letzten Monaten alles daran setzte, sie zu isolieren, bleibt unklar. Den vormals engen Kontakt zu ihren Eltern hat er unterbunden, Freundinnen fing er jeweils schon an der Haustür ab.
Zum Verhängnis wurde dem Opfer ein Dienstagabend Ende Februar, als der Beschuldigte erneut zuschlug, diesmal brutaler denn je. Rund drei Stunden sollen die Misshandlungen gedauert haben. Nachdem seine Freundin das Bewusstsein verloren hatte, alarmierte er nicht sofort die Ambulanz, sondern versuchte mehrmals, seinen Arbeitgeber zu erreichen – um einen Babysitter für die Tochter aufzutreiben, die das Eintreffen der Rettung nicht mitbekommen sollte. Erst zehn Minuten später rief er die Ambulanz, die das Opfer leblos mit einem Atem- und Kreislaufstillstand vorfand. Die zahlreichen Verletzungen, die nicht nur blaue Stellen, sondern regelrecht durchgehend blaue Körperteile hinterlassen hatten, verursachten gemäss Gutachten einen starken Blutverlust nach innen sowie eine Fettembolie. Die Kombination führte zum Tod.
Er machte die Grosseltern zu Pflegeeltern
Die Staatsanwaltschaft beantragt dem Kreisgericht im Wesentlichen, den 25-Jährigen der mehrfachen einfachen Körperverletzung, der mehrfachen schweren Körperverletzung und der vorsätzlichen Tötung schuldig zu sprechen. Das bedeutet eine Freiheitsstrafe von zwölf Jahren sowie einen Landesverweis für sieben Jahre. Weiter fordern die Eltern des Opfers eine Genugtuungssumme von insgesamt 90 000 Franken.
Die Anwältin der bald dreijährigen Tochter fordert Schadenersatz von rund 75 000 Franken, zumal dem Mädchen eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert wurde.
Die Verteidigung pocht derweil auf einen Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung, was einer Gefängnisstrafe von viereinhalb Jahren entspreche. Die einfache respektive schwere Körperverletzung sei ebenfalls als fahrlässig und nicht vorsätzlich zu bezeichnen.
Das Gericht will das Urteil kommende Woche eröffnen. Sollte es auf die Forderungen der Staatsanwaltschaft eintreten, dürfte der Angeklagte seine Tochter erst wieder sehen, wenn sie so alt ist wie ihre verstorbene Mutter. Der Beschuldigte hat ihr durch die Tat somit gleich beide Elternteile genommen – aufwachsen wird die Dreijährige bei den Grosseltern.