07.09.2022

Säule ist nicht gleich Säule

Manche Bücher braucht es nicht – und trotzdem sind sie ein Genuss. Zum Beispiel der gut hundertseitige Band über Altstätter Säulen, den Benno B. A. Stadler und Jack Griss in der Edition Enderli herausgebracht haben.

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 02.11.2022
Das Werk würde nicht vermisst, wäre es nicht erschienen. Mit seiner Veröffentlichung ist es nun aber ganz anders: Das Buch in der Hand zu halten, durchzublättern, in ihm zu schmökern und zu lesen, löst Empfindungen aus, die seine Existenz nicht nur rechtfertigen, sondern sein Fehlen als bedauernswert erscheinen liessen.Ein Buch über Altstätter Säulen? Die Idee ist überraschend, und das Vorurteil, Eintönigkeit könnte sich breitmachen, liegt nahe. Doch zum Glück ist Säule nicht gleich Säule. Manche Stützen wirken klobig, andere sind schlank, manche historisch bedeutsam, andere modern, aus Beton oder Stahl. Auch in der Marktgasse, unter den Bögen, begegnen dem Passanten oder der Passantin viele Säulen, die wahrscheinlich niemand schon so wahrgenommen hat, wie sie das Buch nun zeigt.Rechts die Fotos, links literarische TexteWo immer das Buch zwischen den Seiten 6 und 104 aufgeschlagen wird, fällt der Blick auf ein rechts liegendes, ganzseitiges Foto. Links findet sich ein meistens kurzer, öfter auf wenige Zeilen begrenzter Text. Jack Griss aus Altstätten steuert die Worte bei, der in Rebstein lebende (aber im Städtli aufgewachsene) Benno B. A. Stadler die Bilder.Entstanden ist ein poetisches Werk, in dem Bild und Text vorzüglich korrespondieren. Die prosaischen, lyrischen, teils aphoristischen Sätze des passionierten Geschichtenschreibers (und -erzählers) rufen in Verbindung mit den Bildern immer neue Assoziationen hervor.Benno Stadler wählte «die anspruchsvolle Technik des intuitiven Lichtmalens». Das heisst, er verband sein Wissen über die klassische Werbefotografie mit den Vorzügen digi­taler Aufnahmetechnik. Jede Säule wurde mit Mehrfachbelichtungen «lichttechnisch modelliert und abgelichtet». Die überzeugendsten Ergebnisse wurden, nach digitaler Endbearbeitung, ins Buch aufgenommen. Weil diese Lichtmalereien nur nachts entstehen konnten, waren bei Stadt und Kantonspolizei entsprechende Bewilligungen einzuholen.Das – folgerichtig – hochformatige Buch macht Spass, indem es schöne Lichteffekte zeitigt, in einem eng gesteckten Rahmen ungeahnte Vielfalt zelebriert, den Hintergrund gewissenhaft in Szene setzt – und unscheinbaren Witz enthält. Zu blättern und zu lesen ist wie ein gedanklicher Spaziergang. Die mit ihm verbundene Intensität begründen die Motivwahl, zum Beispiel das Nebeneinander von kostbarem Gusseisen und schäbigem Stein oder all die nied­lichen «Accessoires» (zum Beispiel Abziehbildli, irgendwo eine plötzlich ins Aug springende, kleine Metallvorrichtung, ein winziger Haken oder clever angebrachte Werbung). Alles harmoniert vorzüglich und die Bilder passen – jedenfalls assoziativ – stets zum danebenstehenden Text.Kleine Hände und ein HydrantWer das Städtli kennt und gerne rätselt, kann die Standortliste erst mal ignorieren und sich testen: Klar, wo jedes Bild entstanden ist? Besonders schön: Das Foto auf Seite 43. Es zeigt eine weisse, oben nach links und rechts in einen Bogen auslaufende Säule und davor einen mit roter Kappe neckisch den Blick auf sich ziehenden Hydranten; und vom Rand der Decke ragen kleine Hände als Verzierung. Das Foto freut, wie viele andere, Ästheten, Geometrieliebhaber, Kunstgeniesser und Altstadtfans wahrscheinlich gleichermassen.Hinweis: Do, 15. September, 20 Uhr, «Frauenhof»-Saal in Altstätten: Buchpräsentation. Anmeldung bis 9. September unter 071 755 38 65 oder griss@rsnweb.ch

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