03.10.2019

‘s Kindli im Sunntighääss

In Oberriet, Montlingen und Kriessern blieben die Mundartausdrücke eher bestehen wie in Altstätten.

Von Christoph Mattle
aktualisiert am 03.11.2022
Christoph MattleIch gestehe, dass ich ein skurriles Hobby habe. Ich höre im Zug oder im Bus gern fremde Gespräche ab. Mich interessiert nicht, was die Leute reden, sondern wie sie reden, welche Wörter und Ausdrücke sie brauchen. Besonders interessant ist es, Buben und Mädchen zuzuhören. Wenn ich das in Oberriet, in Montlingen oder in Kriessern mache, höre ich noch viele der tradierten Wörter. Da sagt man noch oft «Oas, Zwoa, Moatli, Boa oder Böaner». Wenn ich in Altstätten jungen Menschen zuhöre, ist es eher die Ausnahme, wenn die Mundartwörter noch in alt-heimischer Weise gesprochen werden. Nur ganz selten höre ich da «Aas, Zwaa, Maatli oder Baa.»Goofe sterben ausDas Wort Goofe war vor wenigen Jahrzehnten in der ganzen Ostschweiz gang und gäbe und galt als neutraler Begriff für ein Kind. Auch in der Stadt St. Gallen galt das so. Das Wort wurde immer mehr zurückgedrängt. Wenn man heute in der Region St. Gallen – Wil oder gar in Zürich von Goofe spricht, zucken viele Leute zusammen. Man muss dann rechtfertigen, dass Goof ein anständiges Wort ist. In der Gegend Widnau – Diepoldsau gilt dasselbe für Gorsch. Wenn wir Rheintaler uns damit rechtfertigen, dass Goof oder Gorsch ein anständiges Wort sei, stösst man ausserhalb unseres Tals meistens auf Unverständnis. Sich dauernd rechtfertigen zu müssen, kann nerven. Deshalb umgehen viele Rheintaler die alten Mundartwörter und passen sich an. Man sagt dann halt wie die anderen Schweizer Chind. Auf Rheintalisch Keand. Aber wie lange bleibt ein Chind ein Chind? Wenn man modern sein will, sollte man dem Trend gehorchend umstellen, spätestens dann, wenn das Chind in die Pubertät kommt. Dann wird es bei modernistischen Leuten zu einem Mädel oder zu einem Sohnemann. Unsere Lehrpersonen machen es leider – ziemlich schlimm – vor. Sie sprechen auch in offiziellen schriftlichen Texten kaum noch von Buben, Knaben oder Mädchen. Sie benützen die Wörter Mädels und Jungs. Die Gspäänli werden immer häufiger zu Kumpels.Kein Kindli im KindliwageHeute ist es allgemein üblich, von der Geburt eines Babys zu reden. Das Wort Kindli ist im allgemein-schweizerischen Dialekt fast ausgestorben.Spannend ist immerhin, dass bei zusammengesetzten Wörtern das Kindli erhalten blieb. Man sagt kaum Babywage, sondern eher Kindliwage. Die Endung -li, die ein Wesensmerkmal unserer Mundart ist, feiert gerade hier Urständ, beispielsweise mit den Ausdrücken Kindlikleidli, Kindliwägeli, Kindlischäberli. Das Wort Kleid oder Kleidli gab es vor Jahrzehnten in der Rheintaler Mundart kaum oder gar nicht. Es gab nur ein Hääss, in der Mehrzahl Häässer. Das Kindlihääss, das Sunntighääss, das Überhääss oder das Hochzighääss. Einem neugeborenen Kindli schenkte man aber doch eher a Schlüttli. Wenn ich an der Bushaltestelle den Mädels zuhöre, reden sie von Outfit. Oder von Klamotten. Ich kann mir vorstellen, dass es selbst unter den Leserinnen und Lesern solche gibt, die das Wort Kindlischäberli nicht (mehr) kennen. Ein Schaber ist der korrekte, in vielen Teilen des Rheintals ausgestorbene Ausdruck für einen Latz. Aber nicht für den frechen, sondern für jenen, den man beim Essen dem Kindli oder dem Goof um den Hals legt. Auf dass die Goofe ja nicht das schöne Hääss vagoafarid. Wie würden junge Leute dem Goafara sagen? Ich weiss es wirklich nicht. Vielleicht verkleckered oder bekleckered? Ich werde an der Bushaltestelle einmal genauer hinhören.

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