08.05.2019

Russische Spiritualität und Lebensfreude

Der St. Daniels Chor aus Moskau gastierte am «orthodoxen Ostersonntag» in der evangelischen Kirche Heerbrugg. Vier Männer in langen schwarzen Roben schreiten am Sonntagabend andächtig durch den Mittelgang der evangelischen Kirche Heerbrugg, aus ihren Kehlen erklingt ein sauber intoniertes vierstimmiges Gebet, mit unglaublich tiefen Tönen, wie sie nur die russisch-orthodoxe Kirche kennt. Eine unglaublich spirituelle Klangwolke empfängt die Konzertbesucher der sehr gut besetzten Kirche. Alexander Borodeiko (1. Tenor), Mikhail Nor (2. Tenor), Dr. Vladislav Belikov (Bariton) und Kyrill Kapachinskich (Bass) sind dennoch keine Mönche, sondern bestens ausgebildete Sänger des St. Daniels Chors in Moskau, einem Vokalensemble, gegründet vor rund 20 Jahren im Danilow-Kloster. Vladislav Belikov führt eloquent durch das Programm. «Der erste Teil ist der Vesper, der Abendliturgie, gewidmet.» Zärtlich rankende Melodien erzählen von der Verehrung der Gottesmutter, tiefe Kadenzen flehen um Erbarmung im «Kyrie Eleison». Sergej Rachmaninows «Ave Maria» ist ein wahres Kunstlied der Liebe, komplexe Koloraturen verdichten sich, ein immenses Crescendo zeigt die Stimmgewalt der vier an Konservatorien ausgebildeten Sänger. «Das Vater Unser eint uns Christen aller Konfessionen, orthodox, evangelisch oder katholisch, wir sind Schwestern und Brüder im Glauben», erklärt Belikov vor dem innigen «Otche Nash». Ein prickelnd perfekter Übergang zum weltlichen Teil des Konzertes ist das bekannte Lied «Ich glaube an die Macht der Liebe» aus der Feder des ukrainischen Komponisten Dimitri Bortnjanski. «Jeder Kosakenchor singt dieses wunderbare Werk, aber auch viele Männerchöre im Westen», erläutert Belikov, der nicht nur Moderator, sondern auch Organisator und dezenter Leiter des Ensembles ist. Kaum vernehmbar und doch bestimmt sind seine sanften Gesten zu den Einsätzen der drei anderen im polyphonen Gesang. Belikov ist es auch, der am Klavier nun die Soli begleitet, die zeigen, wie exquisit die ausgebildeten Stimmen sind. Kapakinskich stimmt ein «Steppenlied» aus Sibirien an, klirrendes Vibrato der tiefsten Kälte und Einsamkeit. «Es steht ein Soldat am Wolgastrand» sieht Not glänzen, und Borodeiko schwelgt lyrisch in einem weissrussischen Volkslied, das an italienische Arien erinnert. Eine gute Stunde schönster Musik vergeht wie im Fluge. «Kalinka» in moderner, rhytmuswechselnder, spielwitziger Aufführung ermuntert das Publikum zum Mitklatschen und Spüren von unbändiger Lebensfreude. Ein sanftes, mit tiefwarmem Bass vorgetragenes «Love me tender» von Elvis Presley lässt die Frauenherzen geradezu dahinschmelzen. Mit stehendem Applaus wird eine Zugabe gefordert, ein Wunsch, der von den Musikern sehr gerne erfüllt wird. Es hat gefallen! (Mio)

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