22.10.2019

Rückkehrer in Wohnungsnot

Naturschutzverbände fordern Platz und Geld für den Biber und mehr Biodiversität.

Von Philippe Gall
aktualisiert am 03.11.2022
Die Wiederansiedlung des Steinbocks im Alpenraum ist eine Erfolgsgeschichte, die von niemandem ernsthaft in Frage gestellt wird. Sein Lebensraum abseits der Zivilisation, wird ihm weder von der Landwirtschaft noch von urbanen Strukturen streitig gemacht. Ganz anders ist die Situation beim Biber. Seit seiner Ausrottung in der Schweiz wurde sein Lebensraum kultiviert, überbaut, für die Naherholung genutzt oder vom Tourismus besetzt. Es herrscht Dichtestress. Hoher ökologischer Nutzen ist unbestrittenIm Rheintal verbreitet sich der Nager nicht rasant, aber kontinuierlich. Und das ist gewollt. Das Biberkonzept des Bundes von 2016 sieht einen umfassenden Schutz der Tiere vor, inklusive seiner Dämme und Wohnburgen. Das Gesetz ist eindeutig. Ohne Bewilligung darf weder ein Damm verändert oder aufgehoben, noch ein Tier umgesiedelt oder gar getötet werden. Im Vordergrund steht der unbestrittene ökologische Nutzen, den das reviertreue Säugetier mit sich bringt. Der Biber gelangt am liebsten schwimmend zu seiner Nahrung und gestaltet seinen Lebensraum, indem er Bäche oder Flüsse staut und seine Umgebung unter Wasser setzt. Die dadurch entstehenden Landschaften haben für die Natur einen hohen Wert. Dämme hindern EntwässerungIm Rheintaler Riet trifft der Rückkehrer eigentlich auf ideale Lebensbedingungen. Zahl­reiche Entwässerungskanäle durchziehen die Landschaft, das Nahrungsangebot ist üppig. Doch genau hier beissen sich Konzept und Realität. Die Rohre der Drainagesysteme münden nur wenige Zentimeter über dem Normalwasserstand in technische Kanäle.Der Rückstau durch die Dämme führt zu Entwässerungsproblemen bei angrenzenden Feldern. Schon ein einzelner Damm kann 600000 Quadratmeter Nutzland in ein Feuchtgebiet verwandeln. Wenn der Landwirt Wasser im Keller hat und er seine schweren Maschinen auf Äckern und Wiesen nicht mehr einsetzen kann, ist sein Unmut verständlich. Schäden kann der  Biber auch durch Frass oder Höhlenbau verursachen. Gänge unter Kiesstrassen können einstürzen: Eine Gefahr für Mensch, Fahrzeuge und Reiter. Bei Schäden an Dritten würde die Melioration als Eigentümerin haften. Zusatztext:Grosser Aufwand für MeliorationIn der Praxis macht der Unterhaltsdienst bei einem Damm an problematischer Lage Meldung an den Wildhüter. Dieser analysiert das Gefährdungspotenzial und gibt eine Empfehlung über das weitere Vorgehen ab, beim kantonalen Amt für Natur, Jagd und Fischerei.Dort fallen die Entscheide. WWF und Pro Natura haben Verbandsbeschwerderecht. Sie erhalten in jedem Fall eine Meldung und hät-ten die Möglichkeit, Einsprache gegen Verkleinerung oder den Rückbau der Dämme einzulegen. In technischen Gewässern erhält die Melioration aber praktisch immer das Okay, geeignete Massnahmen zu treffen. Nur ist das ganze Verfahren langwierig und teuer. Patrick Knür, Teamleiter Kulturen bei der Melioration, schätzt die vom Biber verursachten Kosten von letztem Jahr auf ungefähr 50000 Franken. Nicht eingerechnet sind Folgekosten, die durch Verschlammung von Rohren auftreten könnten. Er sagt: «Für uns ist es ein riesiger Aufwand. Jede Woche rücken unsere Mitarbeiter mindestens zweimal wegen Bibern aus.» Knür geht davon aus, dass die Kosten künftig auf 100000 Franken pro Jahr steigen könnten. «Es gibt bei uns Gebiete, wo der Biber ungestört leben kann. In technischen Gewässern sehe ich aber keine Zukunft für ihn.» Für Christian Meienberger von Pro Natura sind diese Anstrengungen und Kosten nötig, gerechtfertigt und verhältnismässig. «Die Biodiversität zu fördern muss uns etwas wert sein», sagt er.In den letzten 150 Jahren habe hauptsächlich die intensive Landwirtschaft von Drainagen und Begradigungen profitiert. Pro Natura erwartet darum, dass die Natur etwas vom Lebensraum zurück erhält. «Vielerorts wäre die Existenz des Bibers kein Problem, wenn die Gewässerräume eingehalten würden», sagt Meienberger. Auch Christof Angst, Biologe der Biberfachstelle Schweiz, teilt seine Meinung. «Ohne Änderung im Umgang mit unseren Gewässern wird es in Zukunft schwierig sein, Konflikte mit dem Biber zufriedenstellend zu lösen», sagt Angst. (gaph)Von den Mitarbeitern wird einerseits verlangt, dass die Entwässerung tadellos funktioniert und die Infrastruktur dazu in Schuss gehalten wird. Andererseits müssen auch sie sich an die Gesetze halten und den Biber und seine Bauten in Ruhe lassen. Durch eine Bejagung, die wegen dem Schutzstatus des Bibers momentan sowieso nicht in Frage kommt, liesse sich das Problem nicht lösen. Biber sind standorttreue Tiere mit einem festen Revier. Sobald eine Lücke durch einen getöteten Nager entsteht, wird sie durch ein anderes Tier geschlossen. Patrick Knür, Mitarbeiter der Melioration, betont, dass grundsätzlich alle Parteien gut zusammenarbeiten würden. Für ihn aber ist die jetzige Situation unbefriedigend. Ihn stört, dass die Melioration von Gesetzes wegen behindert wird, den Unterhaltsdienst zufriedenstellend zu erledigen. Der Biber ist ausdauernd und ungemein fleissig. Er lässt nicht locker und errichtet seine Bauten in einer Frequenz, der unser System nicht gewachsen scheint.Die Rückkehr des Bibers zu verteufeln wäre genauso zu kurz gegriffen, wie einfach die Augen vor der Situation zu verschliessen. Wie sich das ständig wiederkehrende Prozedere von Abklärungen, Bewilligungen und Zurückbauen der Dämme vereinfachen liesse, versuchen alle Beteiligten in einer Sitzung Mitte November zu klären. Auf das Ergebnis darf man gespannt sein.

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