Yves Solenthaler1989 ist die Berliner Mauer gefallen. Es war das Ende des Kalten Krieges, der Europas Politik während fast 50 Jahren geprägt hatte.Eine Art kalten Krieges hatte es bis dahin auch zwischen den zwei Rheintaler Ringerklubs RS Kriessern und RC Oberriet-Grabs gegeben. «Wir hatten einander bekämpft, wo es nur ging», erinnert sich Daniel Steiger an die Zeit, in der er ein junger Ringer beim RCOG gewesen ist.Auch im Rheintaler Ringen waren die späten 1990er- und die frühen 2000er-Jahre eine Zeit der Entspannung. Der Hass wich einer soliden Feindschaft.Seit acht Jahren arbeiten die Vereine zusammen 2010 schrieben Daniel Steiger sowie Patrick Dietsche von der RS Kriessern einen Brief an beide Vereine, der an den Hauptversammlungen diskutiert wurde. Das Resultat dieser Initiative war ein Durchbruch: Kriessern und Oberriet-Grabs verpflichteten sich zur Zusammenarbeit.«Das Ringen ist in der Schweiz eine Randsportart», sagt Steiger, «deshalb ist die Sportart darauf angewiesen, dass benachbarte Vereine zusammen statt gegeneinander arbeiten.»Seither gibt es die Ringernacht (Kilbi-Match) in Oberriet, an dem beide Vereine je einen Heimkampf bestreiten. Gemeinsam haben die einst verfeindeten Vereine Matten und eine EDV-Anlage angeschafft.Die Beziehung der Vereine verbesserte sich – zumindest auf Führungsebene. Im Alltag blieb der Schulterschluss fragil. Die Fusion, die nur mal scheu angedacht wurde, «ist nicht realisierbar», sagt Daniel Steiger. Nicht alle Projekte waren erfolgreich: Die gemeinsame zweite Mannschaft, das Team Rheintal in der Regionalliga, ist nach kurzer Zeit wieder verschwunden.Unter der Oberfläche gärte es weiter – mal mehr, mal weniger. Nun ist der Vereinswechsel von Dominik Laritz der Auslöser, der die Beziehung der beiden Klubs wieder in den Zustand der 1990er-Jahre versetzt.Was war geschehen?Steiger wirft der RS Kriessern, namentlich deren Trainer Hugo Dietsche vor, das Supertalent abgeworben und dabei nicht die Wahrheit gesagt zu haben: «Es bestand ein Gentlemen Agreement zwischen den Vereinen, dass wir einander mit Doppellizenzen aushelfen und nicht gegenseitig Ringer abwerben.» Hugo Dietsche, der den Transfer für die Kriessner abwickelte, und Dominiks Vater Roland Laritz, der die Karriere seines Sohnes steuert, sagen: «Der Ringer hat sich beim RC Oberriet-Grabs nicht wohlgefühlt.»Dazu muss man wissen: Dominik Laritz hat schon in den letzten zwei Saisons als Leihringer für Kriessern gekämpft – und war massgeblich an den Schweizer Meistertiteln beteiligt. Und das wohl grösste Talent im Schweizer Ringsport trainiert schon seit über drei Jahren nicht mehr in Oberriet, sondern in Hard (Vorarlberg) bei seinem bisherigen persönlichen Trainer Andrej Vishnar (der ebenfalls für Oberriet-Grabs kämpft). Oberriet-Grabs ist bekannt als Standort für Greco-Ringer, Dominik Laritz ist aber hauptsächlich ein Freistilkämpfer.Der junge Ringer war im RCOG nicht richtig integriert – das sagen sowohl Steiger als auch Roland Laritz. Der RCOG-Präsident sagt: «Er liess sich nicht integrieren.» Der Vater des Ringers sagt: «Der Verein hat sich nie darum gekümmert.» Vor allem er selbst, der in Österreich drei Kampfsportschulen führt, habe in die Ausbildung von Dominik investiert – nicht der Verein.Laritz trainiert schon länger nicht mehr in OberrietRSK-Trainer Hugo Dietsche schildert den Ablauf des Transfers anders als Steiger: «Wie immer nach der Saison habe ich mit unseren Ringern die Zukunft besprochen.» Er habe am Beispiel seines Sohnes Marc Dietsche, ebenfalls ein internationaler Ringer, gezeigt, welche Unterstützung Dominik von der RSK erhalten würde. «Es ist bei allen Internationalen dasselbe Paket», sagt Roland Laritz. Die Leistungen entsprechen ungefähr einem Betrag von 6000 Franken pro Jahr.Steiger glaubt nicht an die- se Version: «Im Winter hat Mike Rüegg, unser technischer Leiter, Roland Laritz gefragt, ob es ein Angebot von Kriessern gebe – und Laritz hat Ja gesagt. Nur einen Tag vorher hatte Hugo Dietsche diese Frage noch verneint.»Hugo Dietsche sieht in der Antwort von Roland Laritz den Moment, in dem der (damals noch nur geplante) Vereinswechsel eine unheilvolle Dynamik bekommen hat – er war wegen einer Hüftoperation ausser Gefecht und konnte nicht eingreifen. Roland Laritz empfindet es als kleinlich, dass sich Daniel Steiger auf diese Aussage beruft: «Hugo Dietsche hat uns die Möglichkeiten aufgezeigt – ob man das nun Angebot nennt oder nicht, ist zweitrangig.» Entscheidend sei gewesen: «Dominik hat sich beim RCOG nicht mehr wohlgefühlt – und er wird von Kriessern besser unterstützt als von Oberriet-Grabs.» Ums Geld, wie von Daniel Steiger suggeriert, sei es nie gegangen.Es gab vorher ein Intermezzo, das Daniel Steiger an dieser Darstellung zweifeln lässt. Hugo Dietsche verpflichtete nämlich Laritz’ persönlichen Trainer Andrej Vishar als Ersatztrainer für die Zeit seiner Rekonvaleszenz – ohne den RC Oberriet-Grabs darüber zu informieren. Steiger sagt: «Das war Kriesserns erster Zug, um sich Dominik Laritz zu angeln.» RSK-Präsident Paul Dietsche gibt zu, dass diese auf drei Monate befristete Rochade schlecht kommuniziert worden war, er hat sich dafür beim RCOG entschuldigt. Vishar hat die Trainerstelle schliesslich nicht angetreten. Gemäss Steiger zieht er sich auch als Laritz’ Privattrainer zurück. Vater Laritz sagt, dass das noch nicht klar sei.Als Steiger von Roland Laritz die Nachricht erhielt, dass Dominik den Verein wechsle, hat er die Lizenz des Ringers deponiert. Das bedeutete, dass Laritz keine Wettkämpfe mehr bestreiten durfte – weder fürs Nationalteam, noch auf nationaler Ebene. Darauf hat die RS Kriessern sofort den in den RCOG-Statuten fixierten und mit jedem Spitzensportler vereinbarten Betrag – rund 15 000 Franken – überwiesen. Für Daniel Steiger ein Beleg dafür, dass Kriessern seine Vormachtstellung mit finanziellen Mitteln stützt.Die Kriessner fragen: «Was hätten wir sonst tun sollen? Hätten wir nicht sofort bezahlt, wäre die Gefahr gross gewesen, dass Dominik zu einem Verein ausserhalb des Rheintals wechselt.» Dass die RS Kriessern so gut wirtschaftet, dass sie diesen betrag verfügbar hat, kann ihr schlecht vorgeworfen werden.Also doch ein normaler Vorgang im Sport? Einer der besten Ringer der Schweiz wechselt von einem Verein der zweithöchsten Liga zum amtierenden Schweizer Meister. Im Fussball ist das, selbst auf regionalem Niveau, gang und gäbe. Dann gibt es kurz Irritationen zwischen den betroffenen Vereinen, nach ein paar Wochen sind die Wogen wieder geglättet.«Als kleine Sportart müssen wir rücksichtsvoller miteinander umgehen als die Fussballer», sagt Steiger. Zudem sei die Szene im Ringen bodenständiger als im Fussball: «Vereinswechsel sind nicht alltäglich, Klubtreue geniesst einen hohen Stellenwert.»Im Ringen sind Transfers seltener als im FussballRoland Laritz kann verstehen, dass sich Daniel Steiger über den Abgang seines Sohnes ärgert. Auch für die Rückgabe der Lizenz bringt er ein gewisses Verständnis auf: «Es fällt mir aber schwer zu akzeptieren, dass wir von den Oberrietern einfach ignoriert werden. Auch kein Verständnis habe ich für die persönlichen Angriff von Daniel Steiger. Immerhin hat Dominik während zwölf Jahren unzählige Erfolge für Oberriet-Grabs erzielt.»Steiger strebt aber keine Versöhnung an: «Ich kann der Ringerstaffel Kriessern nicht vertrauen, wenn mir hinterrücks dauernd das Messer in den Rücken gesetzt wird.» Daraus zieht er die Konsequenzen: «Oberriet-Grabs wird in keiner Weise mehr mit den Kriessnern zusammenarbeiten – solange ich Präsident bin, wird das sicher so bleiben.»Dabei ist Steiger weiterhin überzeugt, dass das Ringen nur dann profitieren kann, wenn deren Vertreter einander unterstützen. Aber er arbeitet nicht mehr am Abriss der Mauer zwischen den zwei Rheintaler Vereinen.Er befürchtet, dass die Steine ihn – also seinen Verein – dann begrüben.