12.03.2021

Rote Laterne: Der Kanton St.Gallen kommt beim Impfen nur schleppend voran

Kein Kanton hat bisher so wenige Menschen vollständig gegen Covid-19 geimpft wie St.Gallen. Das hat viele Gründe.

Von Jürg Ackermann
aktualisiert am 03.11.2022
Wohl kaum etwas in dieser Pandemie wurde von so vielen Menschen so sehnlichst herbei gewünscht wie die Impfung. Sie ist das Tor zurück zu einem Leben wie wir es vor Corona einmal hatten. Fast eine Million Impfdosen sind in der Schweiz bisher verabreicht worden. Und über 300'000 Menschen - vor allem Bewohnerinnen und Bewohner von Alters- und Pflegeheimen - wurden bisher zweimal gepiekst und sind damit vollständig geimpft.Was auf den ersten Blick nach einer ansehnlichen Zahl ausschaut, ist im Vergleich zu anderen Ländern nicht wirklich berauschend. Vor allem in Israel, aber auch in den USA oder Grossbritannien ist die Impfaktion viel weiter fortgeschritten. So wurden allein in den USA bisher 25 Dosen pro 100 Einwohner verabreicht. Das sind proportional zur Bevölkerung mehr als doppelt so viele wie in der Schweiz. Aber auch Länder wie Serbien, Chile oder Bahrain sind beim Impfen teils deutlich weiter.Warum kommt die Impfaktion nur schleppend voran?Auch unter den Kantonen gibt es grössere Unterschiede. Das ist vor allem auch in St.Gallen zu spüren. In keinem Kanton wurden bisher so wenige Menschen vollständig geimpft. Warum kommt die Impfaktion hier nur schleppend voran? Trödeln die Behörden? Hat der Kanton die relativ komplizierte Impflogistik nicht im Griff? Die Gründe dürften anderswo liegen, wie ein schweizweiter Vergleich zeigt.                      So scheint die Grösse des Kantons beim Impftempo eine entscheidende Rolle zu spielen. Kleinere Stände wie Schaffhausen, Nidwalden, Uri, Zug und Appenzell Innerrhoden sind bei der Impfaktion deutlich weiter fortgeschritten. Grosse Kantone wie St.Gallen, Bern und Zürich bilden die Impf-Schlusslichter. Es ist daher keine Überraschung, dass in der Ostschweiz die beiden Appenzell bisher deutlich mehr Menschen pro 100 Einwohner geimpft haben als der Thurgau oder St.Gallen.Schwierige Logistik, komplizierter VerteilschlüsselExperten führen die Unterschiede auf die kompliziertere Logistik bei grösseren Mengen von Impfdosen und eine Ungleichverteilung des Impfstoffs durch das BAG in Bern zurück. Das hat damit zu tun, dass die Impfdosen nicht in beliebig kleine Mengen unterteilt werden können. Das heisst, kleinere Kantone sind hier im Vorteil, weil sie auch mal eine grössere Lieferung erhalten, als ihnen gemessen an der Bevölkerungszahl eigentlich zusteht. Die Impfdosenzuteilung des Bundes ist zudem an das Alter der Bevölkerung gekoppelt. Je älter die Bevölkerung in einem Kanton, desto mehr Menschen gehören zur Risikogruppe, desto mehr Impfdosen stellt der Bund zur Verfügung.Auch bei diesem Kriterium sind die kleineren Kantone in der Ostschweiz im Vorteil. So machen die über 80-Jährigen gemäss Bundesamt für Statistik in den beiden Appenzell (AI 5,9 Prozent, AR 5,4 Prozent) einen grösseren Anteil der Bevölkerung aus als in St.Gallen (5,1 Prozent) und vor allem im Thurgau, wo nur 4,7 Prozent aller Einwohnerinnen und Einwohner über 80 Jahre alt sind.Sind die Risikogruppen einmal geimpft, sollen die Kantone mit einer jüngeren Bevölkerung jedoch bevorzugt behandelt werden. «Ich gehe davon aus, dass wir dann im Verhältnis zu andere Kantonen mehr Impfstoff erhalten werden», sagt die St.Galler Impfchefin Karin Faisst.Einige Kantone wollen möglichst viele ErstimpfungenDie Frage aber stellt sich: Warum ist der Kanton das Schlusslicht bei der Zahl der vollständig geimpften Personen, obwohl er bei den insgesamt verabreichten Impfdosen teils besser dasteht als andere Kantone? Karin Faisst erklärt das mit der Dynamik der Impfsituation. Das Verhältnis von Erst- und Zweitimpfungen könne schon in wenigen Tagen wieder anders aussehen. «Wir haben Ende Januar alle 11'000 verfügbaren Impfdosen des Impfstoffs Moderna an die Hausarztpraxen verteilt. Die meisten Zweitimpfungen dieser Impfungen werden wohl diese Woche gemacht», sagt Faisst.[caption_left: Die St.Galler Impfchefin Karin Faisst.]Die Kantone fahren hier unterschiedliche Strategien. Einige setzen auf möglichst viele Erstimpfungen, weil Studien zeigen, dass bereits nach dieser ein gewisser Schutz besteht. Das heisst, sie lassen zwischen der Erst- und Zweitimpfung mehr Zeit verstreichen. Dazu gehört auch St.Gallen. «Interessant ist ja immer noch die Frage, ob es besser ist, dass mehr Personen eine Erstimpfung haben oder weniger Personen dafür zwei Impfungen erhalten haben», sagt Faisst. Das BAG halte daran fest, dass die Zweitimpfungen nach 4-6 Wochen stattfinden sollen. «Andere Länder aber fahren eine andere Strategie.»Von Moderna ist kein einziger Impfstoff mehr an LagerAuffallend ist jedoch auch, dass im Kanton St.Gallen gemäss BAG (Stand anfangs Woche) erst 70 Prozent der zur Verfügung stehenden Impfdosen verabreicht wurden. In anderen Kantonen beträgt dieser Wert 90 Prozent oder mehr. Auch hier verweist Faisst auf die dynamische Entwicklung der Impfaktion. Es handle sich um eine Momentaufnahme. «Aktuell haben wir von Moderna keinen einzigen Impfstoff mehr an Lager», sagt Faisst. Und wenn es solche Lagerbestände gebe, gehe es darum, «dass wir genügend Dosen für die Zweitimpfungen sicherstellen müssen – je nach Liefertermin müssen wir dann Impfstoff für einige Tage auch zurückhalten.»Trotz der relativ tiefen Impfzahlen im Kanton - die fast schon wundersame Wirkung der Impfung lässt sich in St.Gallen nirgends so deutlich ablesen wie an den Todeszahlen. Während der Kanton in der zweiten Welle überdurchschnittlich viele Opfer zu beklagen hatte, stirbt derzeit fast niemand mehr an oder mit Corona. In den gesamten letzten drei Wochen waren es weniger als zehn Todesfälle, eine Zahl, die - auch wegen der damals sehr hohen Fallzahlen - auf dem traurigen Höhepunkt der zweiten Welle teils sogar an einzelnen Tagen übertroffen wurde.  

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