17.11.2021

Rolf Huber will Boris Tschirky beerben

Am Freitag kommt es zum Präsidentenwechsel im mächtigen Verband der St.Galler Gemeindepräsidien (VSGP): Der Gaiserwalder Gemeindepräsident und Die-Mitte-Kantonsrat Boris Tschirky tritt zurück, weil er die Fraktionsleitung übernommen hat. Einziger Kandidat für seine Nachfolge ist Rolf Huber, Oberrieter Gemeindepräsident und FDP-Kantonsrat.

Von Christoph Zweili
aktualisiert am 03.11.2022
Sie als zweite Regierung im Kanton zu bezeichnen, ist wohl etwas übertrieben. Aber die Vereinigung St.Galler Gemeindepräsidentinnen und Gemeindepräsidenten (VSGP) ist entgegen ihres unsäglich schwerfälligen Namens tatsächlich einer der einflussreichsten Verbände und Entscheidungsträger, wenn es um die wichtigsten Staatsgeschäfte geht – sei es im direkten Gespräch mit der Regierung oder in den Kommissionen des Kantonsrats. Allein die jüngsten Beispiele mit kommunalen «Korrekturen» im Baugesetz (Denkmalpflege) und in der Finanzpolitik (Sparpaket) belegen dies prägnant.[caption_left: Tritt als neuer Die-Mitte-Fraktionschef vom VSGP-Präsidium zurück: Kantonsrat Boris Tschirky an einer Session in der Olmahalle. (Bild: Benjamin Manser)]Entsprechend gewichtig ist das Zugpferd an der Verbandsspitze: Das VSGP-Präsidium gilt als Prestigeamt im Spinnennetz der beiden Staatsebenen und kann als Sprungbrett für höhere Aufgaben dienen, so schafften es die Verbandspräsidenten Joe Keller (2000, Jona, CVP) und Beat Tinner (2005-2016, Wartau, FDP) später in die Regierung. Seit der Gründung der Vereinigung 1961 waren ausschliesslich Männer aus den beiden bürgerlichen Mitte-Parteien am Ruder. Das entspricht bis heute den Mehrheitsverhältnissen in den 77 Gemeindepräsidien im ländlich geprägten Kanton. Freilich schliesst offiziell kein Verbandsmitglied eine Präsidiumskandidatur aus einer anderen Partei und erst recht nicht einer Frau aus, doch bleibt dies vorläufig Zukunftsmusik.Rheintaler FDP-Kantonsrat einzige KandidaturSeit 2016 ist der 56-jährige Gaiserwalder Gemeindepräsident Boris Tschirky (CVP/ Die Mitte) am VSGP-Ruder, sein Rücktritt nach fünfeinhalb Jahren ist der Übernahme der Fraktionsleitung im vergangenen Juni geschuldet. Mit seiner langjährigen politischen Erfahrung und der guten Vernetzung in Politik, Wirtschaft und Verwaltung entsprach der leutselige Rheintaler durchwegs dem Anforderungsprofil. Und er war, im Gegensatz zum Uzwiler Gemeindepräsidenten Lucas Keel, der 2016 ebenfalls fürs VSGP-Präsidium kandidierte, in jenem Jahr in den Kantonsrat gewählt worden.Die Mitgliedschaft im Kantonsrat ist zwar nicht zwingend für die Leitung des Gemeindeverbands, doch eine «wichtige Voraussetzung» im Stellenbeschrieb – schliesslich soll der Präsident die Interessen des Verbands nach innen und aussen vertreten, «insbesondere im Kantonsrat und bei Treffen mit der Regierung», wie es heisst.Das Kandidatenfeld für die Nachfolge Tschirkys beschränkte sich demnach auf die derzeit 21 Gemeindepräsidenten und -präsidentinnen im Kantonsrat. Interesse hat nach der verbandsinternen Ausschreibung bis Mitte Oktober allem Anschein nach nur einer: Der Oberrieter Gemeindepräsident und FDP-Kantonsrat (seit 2015) Rolf Huber ist der einzige Kandidat für die geheime Wahl an der VSGP-Generalversammlung vom Freitag, 19. November. Mit dem Kriessner Tschirky hat der Oberrieter die Rheintaler Herkunft und die hemdsärmlige, kumpelhafte Art und die laute Stimme gemeinsam.Doch die Unterschiede im Lebenslauf sind markant: Tschirky hat an der Universität Zürich Geschichte, Staatsrecht und Volkswirtschaft studiert und hernach als Redaktor, Standortförderer und Tourismusdirektor gearbeitet, bevor er 2013 das Gemeindeamt antrat. Huber ist dagegen zeitlebens ein «Gmoandli» (wie es im Rheintal heisst): Der 54-jährige absolvierte eine Verwaltungslehre, bildete sich später zum Grundbuchverwalter und Betreibungsbeamten weiter und war vor seinem Amtsantritt in Oberriet (2011) bereits Gemeindepräsident von Nesslau.Beide Grosseltern Landwirte, hat sich der Lehrerssohn einmal als «Bauer ohne Hof» bezeichnet und engagiert sich in etlichen landwirtschaftlichen Organisationen, aber auch handfest im Nachbarsbetrieb. «Holzen ist ein Hobby Hubers», schrieb der «Rheintaler» 2016 in einem Porträt, «und wie er die Axt auf Stämme niedersausen lässt, so schlägt er als Politiker die Pflöcke ein. Entscheidungsfroh, mit Überzeugung und mit rustikalem Charme.»Seit der Verbandsreform sind Vorstandsaufgaben besser verteiltZu «holzen» gibt es im VSGP-Präsidium heute deutlich weniger als in der zwölfjährigen Ära von Beat Tinner und dem langjährigen Geschäftsführer und zeitweiligem «Asylchef» Roger Hochreutener. Seit der Verbandsreform von 2017 und der gleichzeitigen Entflechtung der personellen Strukturen im Asylbereich – der Trägerverein Integrationsprojekte St.Gallen (TISG) hat seither eine eigene Geschäftsleitung – müssen Präsident und Geschäftsführer nicht mehr alle Aufgaben quasi in einer One-Man-Show erledigen.Im achtköpfigen Vorstand und den entsprechenden Kontaktgremien sind die Themen - übrigens nach einer Idee von Lucas Keel - wie in der Regierung in sieben Departementen sowie der Staatskanzlei verteilt; der Präsident leitet das Departement des Innern und agiert überdies wie der Regierungspräsident. Nebst den jährlich zweimaligen Treffen des Vorstands mit der Gesamtregierung pflegen die Vorstandsdelegierten an bis zu vier Sitzungen den thematischen Austausch mit Regierungsräten sowie Amtsleitern.Auf «Augenhöhe mit der Regierung zu verhandeln» sei sehr wichtig, meint der designierte VSGP-Präsident Rolf Huber und betont gleichzeitig die Bedeutung des Vorstands und der Kontaktgremien. «Der Präsident ist nur ein Teil des Zahnrades.» Er sei überzeugt, mit seiner Erfahrung von 20 Jahren Gemeindepräsident der Regierung ein «guter Sparringpartner» zu sein. Dabei hütet sich Huber, vor der Wahl grosse Ansagen zu machen: «Bekanntlich ist man erst gewählt, wenn die Wahl ausgezählt ist.» Die Frage nach dem «Sprungbrett» als Beweggrund für die Kandidatur beantwortet er «mit einem klaren Nein: Ich habe weder Ambitionen als Regierungsrat noch als Nationalrat. Mein gesamtes Augenmerk ist zu Gunsten der St.Galler Gemeinden.»Als Vorhaben für die nächsten Jahre nennt Rolf Huber, die Aufgabenteilung zwischen Gemeinden und Kanton voranzutreiben: «Wer zahlt, hat auch das Sagen.» Nebst IT-Projekten wie dem verabschiedeten E-Government-Gesetz, die zusammen mit dem Kanton weiter verfolgt werden müssten, betrifft dies namentlich die Integration mit der ungeklärten Frage der Zuständigkeit für die vorläufig aufgenommenen Flüchtlinge, wie Noch-Präsident Tschirky bestätigt.Im Haus der Gemeinden alle Angebote unter einem DachTschirkys Präsidialzeit war zuletzt vor allem von Corona geprägt: Zusammen mit VSGP-Geschäftsführer Bernhard Keller (der Muolener Gemeindepräsident hat das Mandat seit 2017) vertrat er die Gemeinden über Monate wöchentlich an den Sitzungen des kantonalen Führungsstabs. Die Aufgabenzuteilung im Vorstand halfen auch in der Pandemie, die VSGP ruhiger zu steuern als früher. Schliesslich wurden 2017 auch die räumlichen Verhältnisse bereinigt: Dem VSGP steht in einer alten Stadtvilla an der Rosenbergstrasse 38 in St.Gallen ein eigentliches «Haus der Gemeinden» zur Verfügung, in dem unter anderem auch der TISG, die Geschäftsstelle St. Gallen digital sowie der Verband St. Galler Volksschulträger (SGV) untergebracht sind.Eine Konsolidierung des «vielstimmigen Chors» in vielerlei Hinsicht, meint Tschirky, die letzlich die «Schlagkraft» des Verbandes erhöht habe. Sein Einfluss ist ungebrochen gross. Und vielleicht dampft er doch mal noch den überlangen Namen ein - zum Verband St.Galler Gemeinden? Eine Verschmelzung mit dem operativen Gemeindeverband Netz.sg (Gemeindeschreiber, Bauverwalter usw.) wie beim Verband Thurgauer Gemeinden (VTG) hat man in St.Gallen diskutiert, aber verworfen.

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