31.01.2020

Ringer, Turner, Pferdenarr

Walter Spirig war früher bei den Ringern und Turnern aktiv und hat im gesetzten Alter seine Erfüllung beim Holzrücken gefunden.

Von Interview: Gerhard Huber
aktualisiert am 03.11.2022
Interview: Gerhard HuberAm Heiligen Abend hatte Walter Spirig aus Diepoldsau-Schmitter nicht nur das Christkind zu Besuch, sondern durfte ein ganz besonderes Jubiläum feiern. Denn Spirig ist an diesem Tag achtzig Jahre alt geworden. Ein origineller und geschichtenreicher Mann, der als Begründer und Initiator der Sportart «Holzrücken» im Rheintal mit einer fest zusammengeschweissten Gruppe von Freunden immer wieder Erfolge im In- und Ausland erzielt hat. Ein Mann, der viel aus seinem abwechslungsreichen Leben als Sportler, Turnvereinspräsident und Mensch erzählen kann.Walter Spirig: «Ich war schon als kleiner Bub ständig in Kontakt mit Pferden und Ochsen. Mein Vater arbeitete untertags bei der Viscose und wie es damals war, hatten wir daneben noch eine kleine Landwirtschaft mit vier, fünf Rindern und zwei Kühen. Und als kleinen Nebenverdienst haben wir immer wieder von den anderen Bauern Rosse und Ochsen zum «Einfahren» bekommen. Denn diese Tiere haben ja damals vor über siebzig Jahren noch meist jene Arbeit als Zugtiere ausgeführt, die heute von Traktoren geleistet wird. Und immer, wenn ich die Tiere dressiert und gefügig gemacht hatte, dann hat man mir den nächsten Sturschädel gebracht.»Der grösste Diepoldsauer Bauer war damals der Pferdehändler Otto Baumgartner, der auch noch 300 Kühe und Arbeitspferde im Stall hatte. Die anfallende Riesenarbeit verrichteten zehn Knechte. Wobei der junge Walter Spirig gerne geholfen hat. Denn schliesslich gehörte zu dieser Arbeit neben dem Melken auch das Zureiten der etwa fünfzig zwei- bis dreijährigen Freiberger Pferde. Kräftige, gross gewachsene Kaltblüter, die manchmal doch auch einen hitzigen Charakter hatten.«Mit Zustimmung vom Otto Baumgartner durfte ich mithelfen, diese Tiere zuzureiten. Ohne Stricke oder Trensen. Da musste man sich an der Mähne festhalten. Festhalten wie der Teufel, sonst hat es dich in die Tannen geschlagen. Einmal war ich im ‹Sonntagshäs›, als es mich in den Dreck geparkt hat. Ich bin wie gemauert nach Hause gekommen. Da hatte meine Mutter keine Freude damit.»Die Lehre absolvierte Spirig als Schmied, war dann auch zwei Jahre in diesem Beruf tätig, bevor er auf Montage ging und dann bis fast zur Pension in Schmitter als Sanitär- und Heizungsmonteur tätig war. Zuletzt kehrte er wieder als Schmied in den Geländerbau zurück. Daneben machte er auch einige Jahre bei den Ringern in Kriessern und den Turnern in Diepoldsau mit. «Als Ringer brachte ich es in den 60er-Jahren einmal zum Verbandsmeister. Aber viel wichtiger: Ich lernte dort meine Frau Maria kennen, mit der ich seit 1976 verheiratet war und die Anfang 2019 leider verstorben ist. Sie fehlt mir sehr. Beim Turnen habe ich Kränze und Zweige errungen und war in Diepoldsau Jugendriegenleiter, Vorturner und Präsident – und einfach alles. Damals war alles noch anders. So habe ich jeweils mit einem Auto zehn Kollegen nach Kriessern zum Training gebracht. Da wurden die Jungs überall gestapelt, auch im Kofferraum.»Erst in der Pension wurde Walter Spirig mit dem Holzrücken als Sportart bekannt. Ein tiergerechter Pferdesport, bei dem kräftige Kaltblut-Pferderassen zusammen mit ihrem Fuhrmann einen Baumstamm über einen Parcours rangieren. Wobei alles exakt sein muss, sonst gibt es Strafpunkte. Eine Pferdesportart ohne Sporen und Peitsche, wie gemacht für den jetzt achtzigjährigen Pferdeliebhaber und Fuhrmann.«2002 ist es losgegangen. Beim Fahrverein Kriessern hat es erstmals ein Holzrücken gegeben, bei dem der Europameister aus Deutschland den Parcours gestaltet hatte. Und ich hatte damals schon die heute dreissigjährige Freiberger-Stute Lotti, die ich als Einjährige als Ponyersatz gekauft hatte, weil man sie sonst geschlachtet hätte. Ein besseres, gescheiteres und gutmütigeres Ross findest Du nirgends. Ich habe mit ihr das Heu gemacht und sie hat Maschinen gezogen, war immer brav und ist heute auch im Ruhestand. Richtig in Schwung kam die Sache mit dem Holzrücken dann 2004, als erstmals die heutige Traditionsveranstaltung in Kehlegg oberhalb von Dornbirn stattgefunden hat. Und schon ein Jahr später habe ich in Kehlegg mit Lotti gewonnen.»Damals waren auch schon die Holzrücker-Kollegen Urs Bischof und Otto Waibel mit ihren Pferden dabei. Kurz darauf sind dann auch Andreas Giger und Simon Zünd dazugekommen, und seit 2017 gehört auch Rolf Lüchinger dazu. In den letzten Jahren ist Walter Spirig, der bis 2019 aktiv war, mit der elfjährigen Noriker-Stute Lolita sehr erfolgreich in den Wettbewerben angetreten. Als Dreijährige ist sie zum Einfahren in die Hände von Spirig gelangt, steht aber im Besitz von Köbi Gasser. Mit dem noch nicht fertig eingefahrenen Tier hatte er auch ein besonderes Erlebnis.«Ich hatte ihr Geschirr angelegt und wir sind rundum gelaufen. Da hat sie plötzlich ihren Hintern verworfen und ist abgegangen wie eine Rakete. Und ich habe nicht losgelassen. Da hat dann mein Ranzen Schlitten gespielt. Zum Glück ist sie gleich wieder stehen geblieben. Aber das gehört bei der Arbeit mit Tieren dazu. Als Zwölfjähriger habe ich einem Rind im Stall das Geschirr angelegt und es vor den ‹Bschüttewagen› gespannt. Wie es damals war: Eisenreifen am Wagen, Kiesstrasse und Blechgeschirr. Das Rind haute einfach mit der Fuhre ab. Ich hinterher, da ist der ‹Bschüttewagen› umgefallen und hat mir die Hand zertrümmert. Und als mir einmal ein Wagen mit Ponys, die ich am Handzügel geführt habe, und Kindern auf der Bank durchgegangen ist, habe ich mit den Fersen gebremst, bis der Knochen herausgekommen ist.»Walter Spirig hat ein ausgezeichnetes Gedächtnis. So weiss er noch heute genau, dass der Vorfall mit den Ponys in jenem Jahr war, als zum ersten Mal auf Sommerzeit umgestellt wurde. Ein wichtiger Grund für seine späte Karriere als Holzrücker ist die tolle Kameradschaft, die die Sportkollegen pflegen. Jede Woche trifft man sich mindestens einmal auf der Übungsanlage im Sand, wo ein alter und perfekt umgebauter Baustellencontainerwagen als Ort zum geselligen Beisammensein dient.«Ich habe in meinem langen Leben nie eine solche Kameradschaft wie bei den Holzrückern erlebt. Jeder tut alles für den anderen. Wenn einem etwas fehlt, gibt man es ihm. Und bei den Wettkämpfen in Österreich, Süddeutschland und der Schweiz geht es immer in gemütlicher Atmosphäre hoch her. Meine Frau Maria hat mich auf alle diese Feste begleitet. Und auch meine drei Kinder, zwei Mädchen und ein Bub sowie die zwei Enkel habe ich immer auf dem Gespannwagen mitgenommen.»So war es auch nur ein einziges Mal, dass Spirig seine Frau Maria «vergessen» hat. Nämlich in Kehlegg. Sie sollte nach dem Wettbewerb mit Otto Waibel im Auto zurückfahren, während ihr Gatte Walter sich noch um Pferd Lotti kümmerte. Nur wusste Waibel nichts von seiner Passagierin und fuhr los. Worauf sich Maria in die Wirtschaft begab und auf Walter wartete. Der wiederum glaubte, dass sie bereits auf der Rückreise war und ebenfalls losfuhr.«Da hat sie mich gerade noch wegfahren gesehen. Zu Hause stellten wir fest, dass sie fehlt. Also Rösser ausgeladen und zurück nach Kehlegg. Bei der Durchfahrt durch Dornbirn ist sie uns dann zu Fuss entgegengekommen. Noch heute sagen sie in Kehlegg immer zu mir, ‹dass du mir ja nicht deine Frau vergisst›. Denn ich bin bei einem Fest ja auch heute immer der Letzte, dessen Rücken man sieht.»So auch bei einem Fuhrmannstag in Gutenzell im schönen Schwabenland. Wo Fuhrmann Spirig so ziemlich als Letzter das Festzelt verliess und sich auf den Weg zum Nachtquartier aufmachte, ist er beim Festgelände auf die falsche Seite abgebogen. Es folgte eine Irrfahrt kreuz und quer über 500 km durch ganz Baden-Württemberg, bis er spätnachmittags um fünf Uhr wieder in Gutenzell aufgetaucht ist.«Von den lieben Kollegen bekam ich dann eine Tafel mit der Aufschrift ‹Wo ist Walter?›. Und auf der Rückseite stand: ‹Nicht in Gutenzell.› Aber es gab auch tolle Auszeichnungen für mich: So wurde ich vor etwa fünf Jahren in Österreich zum ‹Fuhrmann des Jahres› gewählt. Und im Juli letzten Jahres den Ehrenpreis als ältester aktiver Fuhrmann. Ein altes Unikat eben, das man hegen und pflegen sollte. So fahre ich noch heute mit der Lolita zwei- bis dreimal in der Woche mit der Kutsche und komme auf etwa 1000 Kilometer im Jahr.»

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