17.12.2019

Ribelmais wandert nach Chile aus

Die Ostschweiz bringt zum UNO-Jahr der Pflanzengesundheit die besten Züchtungsfachleute an einen Tisch.

Von Christoph Zweili
aktualisiert am 03.11.2022
Der im Rheintal fast ausgestorbene, schnell wachsende Ribelmais erlebt unter anderem dank der geschützten Ursprungsbezeichnung (AOP) eine erstaunliche Renaissance. Treibende Kraft ist der vor 20 Jahren gegründete und anfangs belächelte Verein Rheintaler Ribelmais. Im laufenden Jahr wurden auf 70 Hektaren 320 Tonnen der alten Kulturpflanze geerntet – und es werden mehr von Jahr zu Jahr. Der neuste Verkaufsschlager: Seit August werden die regional in St. Margrethen produzierten Ribelmais-Chips in 20 Migros-Filialen in der Schweiz angeboten – glutenfrei und vegan.Die von Hans Oppliger und Rolf Künzler, Geschäftsführer und Präsident des Vereins Rheintaler Ribelmais, angestossene regionale Initiative sah sich vor zehn Jahren unvermittelt vor grosse Herausforderungen gestellt: Die Pflanzen aus der Genbank, in den 1960er-Jahren mit Hilfe von Landwirten und älteren Rheintalern angelegt, um den breiten Genpool zu erhalten, wurden krank. Sie kamen in Zeiten des Klimawandels mit dem zunehmenden Druck durch Pilze nicht zurecht, weil sie sich nie den veränderten Umweltbedingungen anpassen mussten.Verein Ribelmais nutzt ZüchtungsfortschritteNur mit der ältesten Form der Pflanzenzüchtung, mit Kreuzungen, Auslese der besten Kolben und anschliessender gezielter Vermehrung, wurde der Ertrag von einst 3,5 Tonnen pro Hektare um einen Viertel gesteigert. Es wurde eine regionale Wertschöpfungskette ins Leben gerufen, die nun allen Beteiligten finanziell etwas bringt. Das geschah weitgehend ohne fachliche Unterstützung von Schweizer Institutionen: «Die Landsorte gehört nicht uns. Sie ist öffentliches Gut, das – einmal verbessert – von jedermann einfach vermehrt und weitergenutzt werden kann», sagt Oppliger. «Wir tun etwas für die ­Öffentlichkeit, das allen zugutekommt. Es gibt also keinen Gewinn, der unseren Züchtungsaufwand deckt.» Angesichts der schwächelnden Pflanzen setzte der Verein auf strengere Anbauvorschriften für die Produzenten und startete ein Zuchtprogramm, um das Überleben der krankheitsanfälligen Maissorte sicherzustellen. Pflanzenzüchtung ist ein langwieriges Unterfangen. Heute macht sich der Verein die rasanten Fortschritte in der Forschung zunutze. An sogenannt reinerbigen Pflanzen im Rheintal lassen sich negative Eigenschaften besser erkennen. «Die Vermehrung im Feld geschieht heute in Chile. So können wir trotz der hiesigen Winterpause schnellere Züchtungsfortschritte machen», sagt Oppliger. Der Mitarbeiter des Landwirtschaftlichen Zentrums St. Gallen in Salez ist unter anderem für seine Verdienste für alte und seltene Kulturpflanzen für den Agro-Star Suisse nominiert. An einer Fachtagung zu modernen Züchtungsmethoden wünschte Oppliger sich namens der «kleinen Pflanzenzüchter» Zugang zu neusten Forschungsergebnissen und modernen Zuchtwerkzeugen.Gezielte Eingriffe mit der «Genschere»Mit «Chromosomen-Landkarten» liessen sich bessere Rückschlüsse auf gute Pflanzeneigenschaften wie Resistenzen ziehen – «und das schneller, kostengünstiger und ohne aufwendige Feldbeurteilung». Man werde künftig gezielte Eingriffe mit der «Genschere» anders beurteilen müssen, «als Viren, Bakterien und Tiergene in Pflanzen zu zügeln, wie das heute der Fall ist». Denn, so Hans Oppligers Schlussfolgerung: Könnten sich Pflanzen selber verteidigen, sei der Ernteverlust geringer «und es müssten weniger Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden». Kasten:«Wir müssen uns mehr von Pflanzen ernähren»Urs Niggli, ETH-Agronom und charismatischer Vordenker des biologischen Landbaus, setzt sich seit Jahren für diesen immer wichtiger werdenden Teil der Landwirtschaft ein. Seit 1990 ist er Direktor des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (Fibl) im aargauischen Frick. Unter ihm ist das Fibl von 20 Mitarbeitenden auf heute 200 stark gewachsen. Gleichzeitig hat er das Fibl zu einem euro­päischen Netzwerk auch in Deutschland, Österreich, Ungarn, Frankreich und Brüssel weiterentwickelt, das weitere 100 Fachleute beschäftigt.Gentechnik, Präzisionszüchtung durch markergestützte Selektion, Genomforschung: Niggli spricht von einer Beschleunigung der molekularen Forschung «in riesigem Ausmass», getrieben von Fortschritten in der Medizinaltechnik.Niggli sorgt sich, dass der Biolandbau ertragsmässig abgehängt wird. Heute ernährten wir uns weltweit zur Hauptsache von Mais, Reis und Weizen. «Wir müssen aber die Wurzelpflanzen in den Vordergrund stellen. Das würde eine gewaltige Ertragssteigerung bedeuten.» Statt Fleisch zu essen, müsse der Mensch das Spektrum der Pflanzen in der Ernährung vergrössern: «Es gibt vermutlich 400 000 Pflanzen, davon sind mindestens 30 000 essbar.» (cz)

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