18.05.2018

Rhesi: Koblach und Widnau als letzte Hürden

Das Jahrhundertprojekt für den Hochwasserschutz im Rheintal soll im Herbst ausgereift sein. Entscheidend sind die umstrittenen Flussaufweitungen in der Vorarlberger Gemeinde Koblach sowie in Widnau, für die sich aber Lösungen abzeichnen.

Von Marcel Elsener
aktualisiert am 03.11.2022
Die Zukunft des Rheintals hängt von 24 Männern und Frauen der Vorarlberger 4500-Seelen-Gemeinde Koblach ab. Das ist überspitzt gesagt, doch stehen die Gemeindevertreter, wie die Gemeindeparlamentarier ennet dem Rhein heissen, tatsächlich vor einer schwerwiegenden Entscheidung, wenn nicht vor einer Jahrhundertabstimmung. Sie sollen in den nächsten Wochen, jedenfalls in diesem Sommer, den Plänen für das Hochwasserschutzprojekt Rhesi auf ihrem Gemeindegebiet zustimmen und den Weg ebnen für die grossflächige Aufweitung des Rheins in der Frutzmündung.Der Druck ist gross, nachdem das Nein der Gemeinde im Februar die Projektverantwortlichen vor den Kopf gestossen hatte. Die Gemeinsame Rheinkommission von Österreich und der Schweiz appellierte an die Gemeindevertretung, «ihre Verantwortung wahrzunehmen» und «im Sinne der Solidarität» zu entscheiden. Und Rhesi-Befürworter lancierten eine Petition, die von 3200 Personen unterschrieben wurde.Fast alle Forderungen der Gemeinde inzwischen erfülltMittlerweile hat sich das frostige Gesprächsklima erwärmt und gibt sich Rhesi-Projektleiter Markus Mähr zuversichtlich: «Die Zeichen stehen gut, dass Koblach akzeptiert.» Sein Team hat mit Hochdruck daran gearbeitet, der Gemeinde und den sogenannten Nutzungsberechtigten entgegenzukommen. Gut zwei Dutzend Forderungen zu Flächenkompensationen, Materialtransporten, Wegführungen, Brücken und so weiter sind bereits erfüllt oder künftig versprochen worden. Doch an der Verschiebung des Dammes ins Hinterland und am Naturschutzgebiet wird nicht gerüttelt. Der ökologische Trittstein sei «essenziell für die Bewilligungsfähigkeit des Projektes», schreibt die Rhesi-Leitung. «Der Standort ist der einzige im gesamten Projektgebiet, der für die Entstehung einer echten Flussaue in Frage kommt und dazu auch genügend Flussraumbreite bieten kann.» Mit anderen Worten: Nach dem Verzicht auf die Flussaufweitungen in Diepoldsau und Fussach-Hard würde das Projekt die Umweltverträglichkeitsprüfungen nicht bestehen. Ein Nein in Koblach wäre ein massiver Rückschritt für das bereits um ein Jahr verzögerte Projekt, oder wie diese Woche der Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner noch einmal betonte: «Ein Zurück auf Start kann es nicht geben.» Die Hochwassersicherheit sei nicht verhandelbar: «Wir dürfen keine Zeit mehr verstreichen lassen.» Zumal im Zuge des Klimawandels die Gefahr für katastrophale Hochwasser steige.Der zweite «Knackpunkt» für Rhesi liegt in Widnau: Dessen Rheinvorland bietet ebenfalls das notwendige ökologische Aufwertungspotenzial für ein bewilligungsfähiges Projekt. Jedoch wehrte sich die Gemeinde lange gegen jegliche Eingriffe in seine Wasserversorgung. Nun einigte man sich auf Untersuchungen, um die sechs Viscose-Trinkwasserbrunnen von der Mitte des Vorlands an den Damm zu verschieben. Die Proben werden nun ausgewertet; wenn die Menge und Qualität des dortigen Wassers ausreichend ist, könnte eine solche Verlegung um 40 bis 50 Meter eine Flussverbreiterung auf 280 Meter zulassen. Auch im Fall Widnau ist Mähr zuversichtlich. Und wenn diese «letzten offenen Punkte» geklärt seien, stehe der Vorlage des sogenannten Generellen Projekts bis Ende Jahr nichts mehr im Weg. Es ist die Grundlage für den neuen Staatsvertrag zwischen Wien und Bern und erlaubt detaillierte Modellversuche und eine genauere Kostenschätzung.Rhesi wird die Emotionen noch jahrelang hochgehen lassenSieben Jahre nach Planungsbeginn Zeit für eine Zwischenbilanz? Rhesi-Projektleiter Mähr zögert und sagt dann: «Das Projekt war in der Summe komplexer als erwartet, besonders in Sachen Trinkwasserversorgung. Und politisch schwieriger als angenommen. Aber wir wussten, dass es ein emotionales Projekt ist. Und das wird es auch weiterhin sein.» Bis zum frühestmöglichen, wohl illusorischen Baubeginn 2021 – Bauzeit gut 20 Jahre – stehen noch einige Auseinandersetzungen an, wahrscheinlich bis vor Bundesgericht, wie bei allen Projekten dieser Dimension.Mit Spannung werden die Entscheide von Koblach und Widnau bei den Umweltverbänden erwartet. Positive Wendungen in beiden Fällen würden die derzeit «sehr laue Zufriedenheit immerhin etwas steigern», sagt WWF-Geschäftsführer Lukas Indermaur. Er verhehlt seine Enttäuschung über das «ökologisch dünne» Projekt nicht und betrachtet den Verzicht auf die Ausweitung in Fussach und damit auf die Vernetzung mit dem Bodensee als «grössten Fehler». Da habe man «vor dem Privateigentum der Schrebergärtner kapituliert», statt das öffentliche Interesse (Hochwasserschutz, Ökologie) höher zu gewichten.Vergleichbare Baustelle im WallisWas im St. Galler und Vorarlberger Rheintal erst geplant wird, ist im Wallis bereits im Bau begriffen: die dritte Rhonekorrektion, ebenfalls ein Jahrhundertprojekt mit umstrittener Vorgeschichte. Anlass für zwei Termine zum Vergleich der grossen Flussbaustellen: Die Werkstatt Faire Zukunft zeigt am 24. Mai im Takino in Schaan den Film «Dans le lit du Rhône» (Der Lauf des Flusses), die Deutschschweizer Premiere in Anwesenheit der Regisseurin Mélanie Pitteloud. Ihr Film stellt Menschen vor, deren Schicksal eng mit der Rhone verbunden ist. Wie im Rheintal sind im dicht verbauten Rhonetal die Spannungen unausweichlich: Um den vor 150 Jahren kanalisierten Fluss aus seinem Korsett befreien zu können, muss Land «geopfert» werden. Entsprechend gross war im Wallis der Widerstand der Landwirte. Die Regisseurin ergreift keine Partei, sondern zeigt die unterschiedlichen Perspektiven und will die öffentliche Debatte anregen: «Denn was sich im Film abspielt, betrifft nicht nur das Wallis.»Den Vergleich vor Ort erlaubt eine Exkursion der Internationalen Rheinregulierung, die Rheintaler Gemeindevertreter und andere Betroffene am 7. Juni nach Visp einlädt. Bei der dritten Rhonekorrektion stellten sich ähnliche Herausforderungen wie bei Rhesi, heisst es. Grund für das drei Milliarden teure Bauprojekt der Kantone Wallis und Waadt sind die grösseren Hochwasser (1935, 1948, 1987, 1993, 2000) und das heute geschätzte Schadenpotenzial im Falle eines neuerlichen Rhone-Hochwassers von über zehn Milliarden Franken.

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