Wer sich eine Reise über den grossen Teich vorstellt, denkt zumeist an New York, Kalifornien und Florida, an den Grand Canyon, an die Niagara-Fälle, an Hawaii. La Junta in Colorado oder Santa Fe in New Mexico stehen nicht auf der Liste. Sie liegen in den «Flyover States», die so heissen, weil man da drüber fliegt. Wer sie sehen will, muss das bewusst tun – oder den Zug wählen.
Mit einem guten Kollegen aus Münster, Westfalen, war ich im November in den USA unterwegs. Los ging’s in New York, zu Ende war die gemeinsame Reise in Los Angeles (danach zog es Ronny nach San Francisco, mich nach Hawaii). «Wow», sagt ihr zurecht, das sind genau die eingangs erwähnten Orte. Stimmt. Aber das Ziel waren nicht primär sie, sondern der Weg.
Route & Züge
Denn dieser ist lang und super. Mit den Zügen «Lake Shore Limited» und «Southwest Chief» dauert die Fahrt von Küste zu Küste mit Umstieg in Chicago 62 Stunden und 42 Minuten. Sie führt durch elf Staaten und ist 5188 Kilometer lang.
Die Amtrak-Züge sind alt und langsam, aber äusserst bequem. Die Sitze lassen sich weit nach hinten klappen: Schlafen? Kein Problem. Es gibt eine Bar mit eiskaltem Bier, Snacks und chemisch riechenden Mikrowellenburgern. Und einen gemütlichen Panoramawagen.
Highlight
Besonders beeindruckt der langsame, aber stetige Wandel der Landschaft und des Wetters. Los geht’s dem Hudson River nach, grün und angenehm warm, ehe einem in Chicago fieser Wind ins Gesicht schlägt. In Illinois und Kansas dominiert die Weite, die Öde; sie ist langweilig und faszinierend. Es folgen Hügel, Berge und die Wüsten in Colorado, mit ihnen Schnee.
Weiter geht’s nach New Mexico und Arizona, Staaten mit karger Vegetation und Besiedlung. Wie kalt es in der Wüste bei Nacht sein kann, haben wir da erfahren – bei Minus 10°C. Von Flagstaff aus ist es ein Katzensprung zum Grand Canyon oder nach Sedona mit schroffen roten Felsen.
Dann rollt der Zug einfach in Los Angeles ein, als sei das nix Besonderes, als sei das hier der Bahnhof Heerbrugg. Es folgen: Zufriedenheit und eine «Uber»-Fahrt an die von einer herrlichen Brise gestreichelte pazifische Küste in Santa Monica.
Lowlight
Abgesehen vom extrem langweiligen Kansas City: Obwohl die Züge bequem sind, sind sie hie und da arg verspätet. Das stört an sich nicht, kommt man am Ziel aber um 4.30 statt um 22 Uhr an, nervt’s.
Das Gespräch zwischen uns und dem Motel-Bediensteten setzte dem die Krone auf. Er fragte: «Are you checking out?» – wir so: «No, checking in.»
Menschen
Bei uns heisst’s gern: «Die Amis sind oberflächlich.» Das mag ja stimmen. Aber die, denen wir im Zug begegnet sind, sind auch sehr offen und immer für einen Schwatz oder einen gemeinsamen Drink zu haben. Wer mit dem Zug reist, hat keinen Stress, sondern will es einfach friedlich und gemütlich haben.
Das gilt ganz besonders für die Amischen, die Angehörigen einer moderne Technik ablehnenden Glaubensgemeinschaft.
Sie stammen aus Europa, leben seit Jahrhunderten in den USA, sprechen aber immer noch eine Art Deutsch. Was zu lustigen Gesprächen führen kann; viele sind neugierig und fast nur mit dem Zug unterwegs.
Speis & Trank
Das Land ist ein Ess- und Trinkparadies. Es gibt alles, von Hipster-Burgereien über ebenso hippe Brauereien, Gourmettempel, Spezialitätenrestaurants bis hin zum schäbigsten Fastfoodlokal. Es ist gar nicht so einfach, einen guten Mittelweg zu finden.
Bewährt haben sich kleine Snacks am Mittag und ausgiebige Restaurantbesuche abends, sassen wir nicht gerade im Zug. Wenn möglich mit einem möglichst lokalen Touch. Was ab und zu Recherche erforderte: So offensichtlich wie bei uns und leicht zu finden, weil stark beworben, sind die lokalen Spezialitäten meist nicht. Aber es gibt jedoch wirklich noch mehr als Burger und Bier!
Empfehlung
Trotz dieses Werbespots für den «Southwest Chief»: Die Strecke durch die Rocky Mountains, die der «California Zephyr» zwischen San Francisco und Chicago via Salt Lake City und Denver zurücklegt, ist noch sehens- und erlebenswerter.