02.09.2021

Reife Männer und ein Fräulein

Zur fabelhaften Welt von 1964 gehörten Apfelsaft, viel Bauland, flotte Zinsen und ein Elektromobil.

Im Jahr darauf ging «Pack den Tiger in den Tank» als Esso-Slogan um die Welt. Er ist genauso aus unserem Alltag verschwunden wie andere markante Sprüche, aber einer ist geblieben: Fabelhaft ist Apfelsaft.Der Klassiker der Schweizer Werbegeschichte diente im Jahr 2004 als Basis für eine neue Werbekampagne. Bereits in den frühen Sechzigerjahren verwendete ihn die Marbacher Mosterei Kobelt fleissig in ihren im «Rheintaler» erschienenen Inseraten.Es profitiert, wer inseriertGeworben wurde oft in Reimen, etwa so: «Zur Toscanelli greift der Mann, der reift.» Das Rauchen war zu jener Zeit noch nicht verpönt. Auch der «Rheintaler» bediente sich in Eigeninseraten eines Versleins: «Von der Verbundenheit der Leserschaft mit der Lokalzeitung profitiert der Geschäftsmann, der dauernd inseriert.»Zu diesen Dauerinserenten gehörten schon damals die Banken. Die St. Galler Kantonalbank propagierte als «das sicherste Dach über dem Kopf» ein Sparheft, das in einem Inserat über zwei Kindern schwebte – aufgeklappt, zu einem Dach geformt. Die damalige Sparkassa Berneck vergütete für Spareinlagen im Sommer 1964 drei Prozent, Kassaobligationen mit einer Laufzeit von fünf, sechs Jahren wurden mit rund fünf Prozent verzinst.Bebaubares Land in Hülle und FülleVom heute kaum jemals ausgeschriebenen Bauland nicht zu reden. Im Juli 1964 waren «an sonniger, erhöhter Lage in Au (Bartlishalde)» 7400 m2 Bauland zu verkaufen, gleichentags wurden 769 m2 Bauland in Balgach angeboten. Ein Einfamilienhaus (Bungalow) mit fünfeinhalb Zimmern und 850 m2 Land kostete 130000 Franken, ein «Land-Restaurant im Rheintal, etwas abgelegen, grosser Umsatz, mit 2000 m2 Umschwung und grosser Scheune» war für 140000 Franken zu haben, inklusive Inventar.«Der Hausfrau leicht gemacht»Die Löhne waren freilich deutlich tiefer damals. Die für einen Haushalt in Heerbrugg gesuchte Putzfrau bekam einen Stundenlohn von Fr. 3.50 angeboten. Begriffe wie Reinigungskraft oder Raumpflegerin gab es ebenso wenig wie den Polymechaniker. Die FFA Flug- und Fahrzeugwerke AG in Altenrhein suchte noch fleissig Lehrlinge (statt Lernende), die Lust hatten, Flugzeugmechaniker, Werkzeugmechaniker, Dreher, Konstruktionsschlosser oder Industriespengler zu werden. Die Lehrwerkstatt, hiess es in Inseraten, verbürge strebsamen Jünglingen eine gute zeitgemässe Berufsausbildung. Das Bernecker Restaurant Ochsen titelte «Der Hausfrau leicht gemacht», als es sich für Ochsenmaul-, Bohnen-, Sellerie- und Fleischsalat empfahl. Und eine Firma in Heerbrugg differenzierte explizit, indem sie für allgemeine Büroarbeiten «Bürofräulein oder Frau» suchte. (Der Chef rauchte beim Diktieren möglicherweise eine Toscanelli – «voll ausgereift für reife Männer», wie es in Anzeigen ebenfalls hiess.)Seesterne und ein ElektromobilAn einem Waldfest auf dem Hümpeler in Heerbrugg musizierten 1964 die Vier Domingos. An einem Kilbisonntag trat im Widnauer Restaurant Schäfli die Kapelle Caravelle auf, tags darauf spielten die Four Wildcats. Tanzkapellen gab es in stolzer Zahl, auch die Kaloveras gehörten dazu.Fünf Jahre später, 1969, fanden die «Seesterne»  zusammen, deren Quintett es noch heute gibt und das gerade eben eine neue Single mit dem Titel «Everything will be fine»  herausgegeben hat. Natürlich ist man – zeitgemäss – auf den Streamingplattformen vertreten.Ob die «Seesterne» auch über Elektromobile verfügen, entzieht sich der Kenntnis der Redaktion. Dass Elektroantriebe nichts Neues sind, ist jedenfalls einem Inserat vom 21. Juni 1964 zu entnehmen. Der Text lautet so: «Gesucht per sofort Bursche für Milchtour mit modernem Elektromobil.»

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