02.11.2021

Quartett für das Ende der Zeit

Klänge aus einem nationalsozialistischen Konzentrationslager im Kulturraum Jung Rhy in Altstätten.

Von Max Pflüger
aktualisiert am 03.11.2022
Am Sonntagabend lud der Konzertzyklus Altstätten zu einem sehr modernen Klangbild in den Kulturraum Jung Rhy ein. Auf dem Programm stand «Quatuor pour la fin du temps» von Olivier Messiaen (1908 bis 1992) mit Sandra Schmid, Klarinette, Joachim Tschann, Violine, Mathias Johansen, Violoncello und Yunus Kaya, Klavier. Der Sprecher Stefan Pohl gab zu Beginn der Aufführung eine umfangreiche Einführung in die Biografie des Komponisten sowie in die Entstehung des Werks und seinen Inhalt, welche leider in den hinteren Reihen für die Zuhörer nur schlecht verständlich war, jedoch für das Verständnis des schwierigen modernen Werks hervorragende Hinweise gab.Uraufführung im KriegsgefangenenlagerGrundlage für den Komponisten war sein fester, katholischer Glauben und innerhalb diesem die Apokalypse, das Weltende gemäss den Offenbarungen des Apostels Johannes (Offenbarung 10. 1 – 2 und 5 – 7). Im Jahr 1939 wurde der Organist und Komponist Messiaen zum Kriegsdienst bei der französischen Armee einberufen und geriet 1940 in deutsche Kriegsgefangenschaft. Er wurde im Stammlager VIII A im Görlitzer Stadtteil Moys interniert, wo er das «Quatuor pour la fin du temps» komponierte und zusammen mit drei anderen französischen Kriegsgefangenen vor den Mitgefangenen 1943 zur Uraufführung brachte. Die biblischen Schilderungen des Weltendes haben für Messiaen im Krieg und im deutschen Gefangenenlager ein Gesicht und eine Realität bekommen, die in sein Werk über die Apokalypse eingeflossen und Klang geworden sind.Das Werk Messiaens zeichnet sich durch eine grosse Vielfalt an musikalischer Gestaltung aus. Lang gezogene Klangwolken, die nur schwer oder gar nicht sprachlich wiedergegeben werden können, wechseln mit ausdrucksvollen, schnellen Passagen. Harmonische Momente mit schreienden und schrillen Wehrufen. Soli der vier Instrumente – jedes Instrument hat seinen eigenen Satz – und immer wieder einfühlsames Miteinander des ganzen Quartetts. Dazwischen gefällige Passagen. So zum Beispiel das von Sandra Schmid wundervoll geblasene Vogelkonzert im 3. Satz «Abîme des oiseaux» – «Abgrund der Vögel».Leise, fast gehauchte Melodien und kraftvoll daherkommende, laute Zwischentöne. Moderne Zwölftonmusik mit vielfältigen, nicht in Takten gefassten Rhythmen. Eine Tonwelt, die jeder Beschreibung trotzt. Für die Zuhörer ebenso wie für die Musiker ein anspruchsvolles und schwieriges Werk.Das Konzert im verdunkelten und nur von ein paar Kerzen erhellten Zuhörerraum wurde vom Publikum mit der nötigen Stille und Besinnlichkeit gewürdigt und mit einem minutenlangen Schweigen verinnerlicht. Erst dann verdankte ein lang anhaltender Applaus den Musikern die Führung in eine völlig neue Klangwelt.

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