Sie hatten noch gewitzelt auf der Skitour im Engadin. Dieses Coronavirus werde schon nicht so schlimm sein, vielleicht sowas wie die Schweinegrippe. Dominik Suntinger war mit einer Gruppe Kantonsschüler der Kanti Burggraben in St. Gallen unterwegs. Sie waren am Julier gestartet, die Tour endete am Donnerstag, 12. März. Dass es für den Bergführer mit eigener Firma für zwei Monate die letzte Aktivität in den Bergen sein sollte, ahnte da noch keiner. «Ich bin noch davon ausgegangen, die anschliessend geplante Skisafari in Tirol durchführen zu können», sagt Suntinger.Wieder zu Hause in Balgach, überlegte er zusammen mit seiner Frau Angelika, welche Touren überhaupt noch möglich seien. Doch die Schweizer Kunden, die die Skisafari gebucht hatten, sprangen am Freitag, 13. März, ab. «Ihnen war irgendwie nicht wohl beim Gedanken, nach Tirol zu fahren», sagt Dominik Suntinger.Erst Schreinerlehre, dann BergführerausbildungDas Gespräch, das wir über die berufliche Situation des Bergführers während des Lockdown führen, findet im Haus von Dominik und Angelika Suntinger an der Steigstrasse in Balgach statt. Von innen erinnert es ein wenig an ein Chalet, es hat überall viel Holz, einige Möbel hat Dominik Suntinger selbst gemacht. Der 41-Jährige ist gelernter Schreiner, hat aber nur etwa eineinhalb Jahre im Beruf gearbeitet – und auch das nur Teilzeit, parallel zu seiner Ausbildung als Bergführer, die drei Jahre dauerte und die Suntinger 2004 abschloss. Im selben Jahr machte er sich mit einer Einzelfirma selbstständig. Ebenfalls 2004 heirateten Dominik und Angelika Suntinger. Das Paar hat drei Söhne im Alter von 15, 13 und acht Jahren.Die Verbote, die der Lockdown mit sich brachte, trafen Dominik Suntinger hart. Als Bergführer bietet er im Winter Skitouren, Schneeschuhtouren, Eisklettern und zum Frühling hin Hochtouren an. Im Lockdown war das alles verboten. «Meine Frau und ich haben einige Tage fast nur telefoniert, um vor allem die gebuchten Hüttenübernachtungen abzusagen», sagt Suntinger. Die grosse Frage sei gewesen, was mit den Anzahlungen passiere. Die Hüttenwarte hatten ja auch keine Einnahmen mehr gehabt. Einmal habe er die Anzahlung gespendet, so Suntinger: «Es ist immer ein Geben und Nehmen.»Neben der Arbeit als Bergführer ist Suntinger noch als Experte für Höhenarbeiten sowie als Ausbildner für den Schweizerischen Bergführerverband tätig. Auch da fielen alle geplanten Kurse aus. Als Obmann der Rettungskolonne der Alpinen Rettung Schweiz, Region Rheintal, sagte er selbst die monatlichen Übungen ab.«Plötzlich hatte ich Zeit, Dinge zu tun, für die bislang immer die Zeit fehlte», sagt Dominik Suntinger. Das war eine neue Erfahrung. Normalerweise ist sein Jahr durchgeplant, meist mit mehrtägigen Touren. Im April und November leitet er Sicherheitskurse für Höhenarbeiter. Jetzt war Dominik Suntinger zu Hause und konnte beobachten, wie sich die drei Söhne im Homeschooling bewährten.Tatenlos war der Bergführer jedoch nicht. Dominik Suntinger restaurierte den Klettergarten im Hirschensprung Oberriet, wechselte Haken aus und räumte Felsgeröll weg. Schon lange hatte er dies vorgehabt, aber die Zeit dazu nicht gefunden. Ausserdem konnte er in der Firma eines Freundes bei Bohr- und Fräsarbeiten mithelfen, gegen Bezahlung. Für die eigene GmbH meldete er, unter Angabe der Nebentätigkeit im Strassenbau, Kurzarbeit an. Um das Bürokratische habe sich seine Frau Angelika mit dem Buchhalter gekümmert.«Ich bin stärker mit Seil und Pickel», gibt Suntinger lachend Auskunft. Finanziell drückte in der Zeit des Lockdowns vor allem die Berufshaftpflicht, die für ausgebildete Bergführer teuer ist. Die Versicherungsgesellschaft habe in Aussicht gestellt, Ende Jahr gegebenenfalls eine Reduzierung zu gewähren.Die Begrüssung fehlt, positive Erfahrung bleibtSeit Mitte Mai, im Zuge der bundesrätlichen Lockerungen der Massnahmen, waren grundsätzlich wieder Touren mit Kunden möglich. Allerdings seien die Hüttenübernachtungen wegen der Hygiene- und Distanzvorschriften immer noch schwierig zu organisieren. Besonders bitter empfindet es der Bergführer, dass die Begrüssung per Handschlag wegfallen muss. «Für Bergsteiger ist das eine Art Ehrerbietung, man erweist sich Respekt», erklärt er. Schliesslich müsse man sich, wenn man am Seil hängt, aufeinander verlassen können.Trotz fehlender Begrüssung: Langsam nähert sich Suntingers Alltag wieder der Normalität vor dem Lockdown. Was wird ihm in Erinnerung bleiben von der monatelangen Zwangspause am Boden? «Die Zeit war nicht so einfach», sagt er. Seit 15 Jahren sei er nicht mehr so lange am Stück zu Hause gewesen. «Es war sehr schön für meine Frau und mich festzustellen, dass wir zusammengehören. Das Vertrauen ist da, auch wenn ich wieder viel unterwegs sein werde.»