Simon Vitzthum ist für die Tour de Suisse nominiert worden, die vom 12. bis 19. Juni stattfindet. Der 27-jährige Rheinecker bestreitet erst seine dritte Rundfahrt und sein erstes Strassenrennen auf World-Tour-Niveau überhaupt. Simon Vitzthum, Sie gehören an der Tour de Suisse zum Schweizer Nationalteam. Haben Sie damit gerechnet?Simon Vitzthum: Ich hatte darauf gehofft. Weil es keine Quali-Vorgaben gab, war die Wahrscheinlichkeit schwer abzuschätzen. Nach der nicht schlechten Tour de Normandie und dem Sieg an der Berner Rundfahrt sowie dem zweiten Platz am GP Cham rechnete ich mir Chancen aus.Das war noch vor der Tour de la Mirabelle in Frankreich, wo Sie den dritten Gesamtrang erreichten.
Zu diesem Zeitpunkt hatte ich schon klare Signale erhalten, dass ich an der Tour de Suisse dabei bin. An der «Mirabelle» war ich Vierter im Prolog, das war meine Leistung, am Ende war aber der dritte Rang eine Teamleistung.Das ist immer so im Radsport, selbst der stärkste Fahrer kann ohne gutes Team kaum etwas ausrichten.
Es war für mich ein seltsames Gefühl, als plötzlich alle Teamkollegen für mich buckelten und mich auf der letzten Etappe stets beschützten, weil es ungewohnt war. Aber natürlich ist das eine schöne Auszeichnung.Wie sehen Ihre Aufgaben an der Tour de Suisse aus?
Das weiss ich noch gar nicht. In den letzten Jahren war es so, dass vom Nationalteam an der Tour de Suisse eine offensive Fahrweise erwartet wird. Wir haben keinen Topfavoriten aufs Gesamtklassement im Team. Aber Roland Thalmann ist ein guter Kletterer, auch Lukas Rüegg ist stark. Ich möchte meine Aufgabe fürs Team erfüllen und mich möglichst gut präsentieren.Sie werden also versuchen, in Ausreissergruppen zu kommen?
Ja, das denke ich – das ist eine Fahrweise, die mir behagt. Es ist meist auch die einzige Chance für ein kleines Team: Bei der Bergankunft sind die Gesamtklassement-Favoriten stärker.Am Freitag, 10. Juni, bestreiten Sie noch den GP Gippingen. Unternehmen Sie dort bereits eine 100-km-Flucht, wie Sie es im Vorjahr taten?
Ziemlich sicher nicht. Zwei Tage vor der Tour de Suisse geht es darum, den Motor nicht zu überdrehen.Haben Sie keinen Bammel vor der Aufgabe? An der Tour de Suisse sind die Gegner stärker, die Strecken länger und die Berge grösser als an der Tour de la Mirabelle.
Ich bin noch nie einen Alpenpass in einem Massenstartrennen gefahren. Daher habe ich sicher Respekt vor der Aufgabe, aber ich traue mir diese zu.[caption_left: Simon Vitzthum: «Es zeigt sich, dass ich von mehreren Disziplinen profitiere. Wenn ich auf der Strasse performe, bin ich auch auf der Bahn stark.» Bild: pd]Sie fuhren nicht nur auf der Strasse stark, auch in Ihrer primären Disziplin, auf der Bahn, läuft’s sehr gut.
Viele sind anderer Meinung, aber die Resultate bestätigen, was ich schon lange sage: Ich profitiere davon, dass ich mehrere Disziplinen bestreite. Wenn ich auf der Strasse performe, fahre ich auch auf der Bahn stark.Auf der Bahn sind Sie inzwischen in drei Disziplinen in den Top 20 der Weltrangliste, im Mountainbike kamen sie nie in die Top 50. Bereuen Sie manchmal, nicht früher gewechselt zu haben?
So direkt gefragt, muss ich sagen: Ja, ein bisschen schon. Andererseits weiss man nicht, wie es auf andere Weise gelaufen wäre. Und auch nicht, ob sich wie vor vier Jahren die Tür geöffnet hätte, diesen Wechsel zu machen. Ich schaue es anders an: Ich kann das machen, was mir Spass macht, und werde das hoffentlich noch ein paar Jahre tun können. Ich weiss mit Sicherheit, dass es richtig war, mit fast 25 Jahren den Mut gehabt zu haben, auf die Bahn zu wechseln.Zum Bahnfahrer wurden Sie durch ihren Kollegen Claudio Imhof. Mit ihm fahren Sie seit dieser Saison auch im Team Bischibikes Tobler. Ist es ein besonderes Gefühl, dass er auch an der Tour de Suisse fährt?
Das ist richtig geil! Claudio war schon an den zwei letzten Tour de Suisse dabei, auch an der virtuellen 2020. Vor drei Jahren war er einer der aktivsten Fahrer. Er hatte einen schweren Frühling nach seiner Verletzung und noch nicht viele Rennen bestritten. Aber er braucht nicht viele Einsätze, um in Form zu kommen.Noch besser wäre es, im Teamdress zu fahren, um die Sponsoren zu präsentieren.
Natürlich, aber unsere Sponsoren wissen, dass wir bei wichtigen Rennen oft mit dem Nationalteam starten, auf der Bahn ist das ja auch so. Zudem verknüpfen sie ihre Sponsoringtätigkeit nicht mit Profitgedanken: Sie unterstützen uns, weil sie Freude daran haben, was wir machen. Aber ich denke, die Interessierten wissen, für welches Team wir fahren. Und über unsere Social-Media-Kanäle können wir das auch hervorheben.Die Tour de Suisse ist ein Erlebnis. Aber Ihr Fokus liegt auf der Bahn (Olympia 2024). Wie geht es dort weiter?
Nach der Tour sind noch die Schweizer Meisterschaften auf der Strasse, das Zeitfahren werde ich bestreiten, das Strassenrennen je nach Verfassung vielleicht auch. Danach gehen wir mit dem Nationalteam vier Wochen ins Höhentrainingslager auf dem Bernina-Pass. Mitte August finden die Europameisterschaften in München statt.