08.02.2021

Pioniergeist bei den Sozialen Diensten

Die Sozialen Dienste Oberrheintal haben sich neu organisiert, weil die zu behandelnden Fälle vielschichtiger geworden sind.

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 03.11.2022
Noch in der nahen Vergangenheit wirkten SDO-Mitarbeitende als Allrounder. Bis Ende des letzten Jahres konnte es sein, dass ein Liegenschaftsverkauf am Morgen, eine Erziehungsberatung am Nachmittag und für den Abend auch noch eine Fremdplatzierung im Terminkalender eines gesetzlichen Beistandes aufgeführt waren.«Die Bandbreite war riesig», sagt Marbachs Gemeindepräsident Alexander Breu, der die SDO präsidiert. Aber die Ansprüche stiegen. Die SDO haben den Erwartungen der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) gerecht zu werden.Komplexere Arbeit hat Spezialisierung zur FolgeIm Bestreben, die Erwartungen zu erfüllen, stiessen die SDO an eine Grenze. Vor allem beim Kindesschutz war die Arbeit für Beistände mit Blick aufs Gesetz immer komplexer geworden. Davon zeugt auch die gestiegene Bedeutung von Schulsozialarbeit und schulischen Heilpädagogen oder die von der Stadt Altstätten initiierte Gründung eines Familienzentrums.Um möglichst professionell alle Aufgaben erfüllen zu können, wurden auf dieses Jahr hin Bereichsleitungen sowie eine Spezialisierung geschaffen. Neu führen die Berufsbeistände ausschliesslich Mandate im Kindes- oder Erwachsenenschutz und alle Sozialarbeitenden nur Mandate in der freiwilligen Sozialberatung. Die Gründe dafür, dass der Job sehr viel anspruchsvoller und daher eine «Konzentration der Ressourcen» nötig geworden ist, sind vielfältig. Die klassische Familie hat an Bedeutung verloren, die Lebensformen in unserer modernen Gesellschaft sind zahlreich. Hinzu kommt, dass in Anbetracht komplexer Auseinandersetzungen oft ein Anwalt beigezogen wird, zum Beispiel wenn es ums Besuchsrecht geht.Auch ein seit 2013 gesetzlich gestärktes Selbstbestimmungsrecht von Erwachsenen spielt eine Rolle. Statt pauschal, wird Handlungsfähigkeit seither gezielter eingeschränkt. SDO-Leiter Pascal Stahel stellt ausserdem eine Zunahme der Bürokratie im Erwachsenenschutz fest und bemerkt mit Blick auf die Gesellschaft: Gegenüber früher sei das Verantwortungsbewusstsein geschrumpft und Eltern litten eher unter einer psychischen Erkrankung.Nach der Kesb führen auch SDO Korkis einSchweizweit als die ersten Sozialen Dienste führen die SD Oberrheintal im Kindesschutz das Handlungsmodell namens Korkis ein, das vom Zürcher Unternehmen kompetenzhoch3 entwickelt wurde. Auf dessen Webseite wird die Kesb Rheintal als erste Behörde genannt, die Korkis (im Jahr 2018) eingeführt hat. Nun bedienen sich die SDO derselben Methodik, die für Kindesschutzbehörden (Kesb) und andere im Bereich des Kindesschutzes tätige Fachstellen (Beistandschaftsdienste, Sozialbehörden etc.) entwickelt wurde.Schon bisher hätten Berufsbeistände natürlich Weiterbildungen genossen, sagt Alexander Breu. In Zukunft aber bewegen sich alle Berufsbeistände sozusagen im gleichen Rahmen. Das heisst zum Beispiel, dass Rechenschaftsberichte nach einheitlichen Kriterien zu verfassen sind und Fälle mit der Kesb besprochen werden. Die Absicht ist es, eine gemeinsame Sicht aufs Kindswohl zu entwickeln und eine einheitliche Sprache zu sprechen. Korkis in der Sprache seiner Entwickler «ist ein fundiertes und strukturiertes Handlungsmodell für die Erstbewertung neu eingehender Fälle (Triage).» Das Modell umfasst «die Abklärung bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung, die Planung und Führung von Kindesschutzmassnahmen sowie die Evaluation von Interventionen und internen Arbeitsprozessen». Kesb klärt Sachverhalt, SDO helfen Eltern Fiktives Fallbeispiel Ein Kleinkind entwickelt sich wegen eines Geburtsgebrechens verzögert, seine Eltern sind psychisch erkrankt. Die Erziehung und teils auch die Alltagsgestaltung überfordern sie.Aufgrund einer Gefährdungsmeldung klärt die Kesb den Sachverhalt und errichtet eine Beistandschaft für das Kind. Die Beistandsperson unterstützt die Eltern mit Rat und Tat, koordiniert die Unterstützungsmassnahmen der involvierten Fachpersonen und dient ihnen als Ansprechperson.Schon bevor es zur Beistandschaft kam, waren die heilpädagogische Früherziehung sowie der Psychiater der Mutter einbezogen. Sie unterstützten die Familie bereits seit längerem.Während die Kesb den Sachverhalt klärte, wurde zusätzlich eine psychiatrische Spitex installiert, die die Eltern im Alltag unterstützt. Der Arzt verordnete aufgrund der motorischen und sprachlichen Entwicklungsverzögerung eine Heilpädagogische Früherziehung, Ergotherapie und Logopädie.Die Massnahmen haben das Ziel, dem Kind bestmöglich bei der weiteren Entwicklung zu helfen. Die Kesb installierte zusätzlich zur Beistandschaft eine Sozialpädagogische Familienbegleitung, die die Eltern ein- bis zweimal pro Woche in Erziehungsfragen und bei der Alltagsgestaltung unterstützt.Ziele mit Eltern und Fachpersonen festlegenDie Beistandsperson legt (im Auftrag der Kesb) die Ziele mit den Eltern und den involvierten Fachpersonen fest. Jede involvierte Fachpersonen hat aufgrund ihres Fachgebiets und spezifischen Auftrags einen Fokus auf einzelne Personen oder Themen innerhalb des Familiensystems. Die Beistandsperson koordiniert die Zusammenarbeit der involvierten Fachpersonen um die gemeinsam definierten Ziele zu erreichen und unterstützt die Eltern als direkte Ansprechperson bei Fragen und Anliegen. Die Beistandsperson berichtet der Kesb, wie die Beistandschaft verläuft (Rechenschaftsbericht), beantragt nach Bedarf andere Massnahmen und die Aufhebung der Beistandschaft, sobald die Ziele erreicht sind. Die Kesb prüft die Tätigkeit der Beistandsperson und veranlasst die nötigen weiteren Schritte. Diese sind stets auf die Aufhebung der Massnahmen und somit die Abwendung der Kindeswohlgefährdung ausgerichtet. SDO sind nicht das SozialamtViele verwechseln die Sozialen Diensten (SDO) mit dem Sozialamt. Doch die SDO sind nicht für die Sozialhilfe zuständig, sondern für gesetzliche Massnahmen im Kindes- und Erwachsenenschutz. Das sind etwa Erziehungsbeistandschaften oder Vormundschaften Minderjähriger, Beistandschaften, Alimenteninkasso oder Bevorschussung von Unterhaltsbeiträgen. Auch bieten die SDO im Rahmen freiwilliger Sozialberatungen eine ganze Reihe von Dienstleistungen an – allgemeine Sozialberatung, Schuldensanierung, Vermittlung im Zusammenhang mit dem Besuchsrecht, Beratung bei Trennung oder Scheidung und manches mehr.Die 18 SDO-Mitarbeitenden teilen sich 1450 Stellenprozente. Vor zehn Jahren waren es noch 790. Die Zunahme liegt vor allem im Beitritt der Gemeinde Oberriet im Jahr 2016 begründet. Seither machen alle sechs Gemeinden des ob eren Rheintals bei den SDO mit.

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