05.10.2022

Pionier soll Andenken erhalten

Über das Wirken des Medicel-Gründers Emil Hohl, der in Au wohnhaft war, ist eine Ausstellung in Planung.

Von Jesko Calderara
aktualisiert am 02.11.2022
Wird heute irgendwo auf der Welt der Graue Star operiert, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit die Medicel AG involviert. Das rund um den Globus tätige Un­ternehmen aus Altenrhein stellt chirurgische Produkte für die Augenheilkunde her.  Vor einigen Jahren sorgte die Medicel für Schlagzeilen, als aufgrund des Widerstandes einer Nachbarin Neubaupläne in Wolfhalden scheiterten. 2016 verlegte die Medizinaltechnik-Firma ihren Standort deshalb an den Bodensee.Erste Pläne gibt es bereits Emil Hohl hat die Medicel gegründet, aufgebaut und massgebend geprägt. Hohl verstarb 2019 nach kurzer, schwerer Krankheit an seinem Wohnort in Au im Alter von nur 60 Jahren. Über den Pionier mit Wolfhäldler Wurzeln ist in der breiten Öffentlichkeit wenig bekannt. Dies soll sich nun ändern – das strebt zumindest Daniel Mojon an. Der Augenarzt betreibt in St. Gallen, am Flughafen Zürich und in Heiden je eine Praxis. «Eine solch aussergewöhnliche Persönlichkeit wie Emil Hohl darf nicht in Vergessenheit geraten», findet Mojon. Den Medical-Gründer kannte er nicht persönlich, wohl aber dessen Produkte. Auf Hohls Lebensgeschichte wurde Mojon erst vor einem Jahr aufmerksam. Sie faszinierte ihn, je mehr er recherchierte. Erste Pläne, wie dessen Vermächtnis erhalten bleiben kann, gibt es bereits. Konkret schwebt Mojon eine Dauerausstellung im Museum Heiden oder zumindest ein einmaliger Anlass vor.Weniger Komplikationen bei Augenoperationen Mit einer solchen Ausstellung könnte aufgezeigt werden, was Emil Hohl mit seiner Erfindung weltweit bewirkt hat. Die Zahlen sind beeindruckend. So werden die Instrumente der Medicel, die unterdessen 140 Mitarbeitende beschäftigt, jährlich bei rund fünf Millionen Operationen verwendet. Hohl verfolgte die Vision, Produkte für die Augenheilkunde als Einweginstrumente anzubieten. «Wiederverwendbare Instrumente können aufgrund ihrer Grösse zwar sterilisiert, aber nur schlecht gereinigt werden», sagt Volker Dockhorn, der in einer frühen Phase ins Unternehmen eingetreten und heute noch Chief Technology Officer der Medicel ist. Die mangelhafte Reinigung führe bei Patientinnen und Patienten immer wieder zu Entzündungsreaktionen, sagt Dockhorn. Auf seine Geschäftsidee ist Hohl in seiner Zeit als Vertriebsleiter der Oertli Instrumente, einem Hersteller von Geräten, die bei Eingriffen im Zusammenhang mit dem Grauen Star zum Zertrümmern und Entfernen von natürlichen Linsen verwendet werden, gekommen.  Hohl gründete die Medicel 1996 mit dem Ziel, Augenoperationen schneller, sicherer und effizienter zu machen. In der Folge brachte er eine Reihe von Einweginstrumenten auf den Markt, dies auch dank einer Partnerschaft mit der Silcoplast aus Wolfhalden. Als wichtigste und erfolgreichste Produktgruppe entpuppte sich dabei gemäss Dockhorn die sogenannten Injektionssysteme. Schmälerer Schnitt, geringeres RisikoDamit hat die Appenzeller Firma die Graue-Star-Operation, die weltweit der häufigste Eingriff ist, geradezu revolutioniert. Mit dem Injektor der Medicel können Kunstlinsen durch einen nur gerade 1,8 Millimeter oder noch schmaleren Schnitt ins Auge eingeführt werden. Zum Vergleich: Früher waren Schnitts von bis zu sechs Millimetern notwendig, was der Linsenbreite entsprach. Die Vorteile dieses technischen Fortschritts sind gemäss Mojon eklatant. «Je kleiner der Schnitt, desto geringer das Infekt- und Erblindungsrisiko während der OP im Falle einer Blutung.» Zudem sei die Gefahr, dass der Chirurg die Hornhautverkrümmung unkontrolliert verändere, geringer, sagt Mojon. «Dadurch ist das Auge nach der OP viel stabiler.» Abgesehen davon verlaufe die Heilung schneller und es gebe weniger postoperative Komplikationen. Auch dank Emil Hohl konnten somit Millionen von Menschen, die am Grauen Star erkrankt sind, ihre Sehkraft wieder zurückgewinnen. Zusammenarbeit mit indischer Stiftung Wenn man seine Herkunft betrachtet, war eine solch ausgewöhnliche Karriere alles andere als selbstverständlich. Hohl ist in Wolfhalden in einfachen Verhältnissen aufgewachsen. Sein Vater arbeitete als Seidenweber. Nach einer Lehre als Mechaniker bei der Firma Wild Heerbrugg bereiste der junge Emil Hohl die USA. Nebst seiner Weltoffenheit hebt der einstige Weggefährte insbesondere die visionäre Weitsicht des Appenzeller Unternehmers hervor. «Er hatte den Mut und den notwendigen Biss, den es braucht, um seine Ideen in die Tat umzusetzen», sagt Deckhorn. Dies zu einer Zeit, als niemand die Medicel kannte und keine Bank einen Kredit gewähren wollte. 2011 verkauften der kinderlose Patron und die weiteren Teil­haber ihr «Baby», wie Hohl das Unternehmen einst nannte, für geschätzte 100 Millionen Franken nach England. Drei Jahre später schied der Gründer aus der Firma aus. Hohl war aber nicht nur ein erfolgreicher Geschäftsmann, sondern besass auch eine soziale Ader. Deckhorn bezeichnet ihn als «Patron der alten Schule», dem das Wohl seiner Mitarbeitenden stets ein Anliegen war. Darüber hinaus hat die Medicel das Herzstück eines Linseninjektionssystems, das nur schwer als Einwegprodukt herzustellen ist, an eine Stiftung nach Indien verkauft. Diese funktioniert so, dass eine Patientin oder ein Patient für den Eingriff bezahlt und von diesen Einnahmen zwei weitere Personen aus ärmlichen Verhältnissen kostenlos operiert werden.  Hohl sah dieses Engagement jedoch nie als reines Charity-Projekt an. Letztlich sei es eine Win-win-Situation gewesen, erinnert sich Deckhorn. Die Medicel hat den indischen Partner kostenlos mit Know-how unterstützt, konnte dafür im Gegenzug komplexe Bauteile liefern. Heiden mit Tradition in der Augenheilkunde Ob und wie diese Unternehmergeschichte dereinst aufgearbeitet wird, ist offen. Mit den Verantwortlichen des Museums Heiden hat Daniel Mojon noch keine Gespräche geführt. Dass Hohl allerdings dort und nicht etwa im benachbarten Ortsmuseum in Wolfhalden einen adäquaten Platz erhalten soll, ist kein Zufall. «Heiden hat einen direkten Bezug zur Augenheilkunde», sagt Mojon. Er erwähnt in diesem Zusammenhang den deutschen Augenarzt Albrecht von Graefe, dem das Biedermeierdorf im 19. Jahrhundert seinen Aufstieg zu einem weltweit bedeutenden Kurort zu verdanken hat. Von Graefe gilt als Pionier der Augenheilkunde und kam 1851 erstmals nach Heiden. Der junge Berliner Arzt litt an Tuberkulose und wollte vom Höhenklima profitieren. Ab 1860 liess er sich jeweils während der Sommermonate in Heiden nieder, operierte im «Freihof» und regte wegen seiner steigenden Patientenzahl den Bau eines neuen Kurhotels an. Bis heute erinnert der Albert-von-Graefe-Weg, ein Gedenkstein im Waldpark und eine Gedenktafel am Haus «Freihof» an das Wirken des international bekannten Augenarztes.

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