Gert BrudererDas Haus auf dem Titelblatt des letzten Ortsgemeinde-Amtsberichts, Feldstrasse 10, steht zwar schon lange leer. Aber säuberlich ist viel Holz aufgeschichtet, neben der roten Bank sind schöne Blumen Ausdruck von Lebensfreude. Gegenüber gackern Hühner und werden die Blicke von zwei runden Häuschen angezogen, die keine sind.Der idyllische Ort gehört Kuno Kobelt, der die Umgebung zusammen mit seiner Frau Vreni mit anhaltender Leidenschaft pflegt. Zur einen der sorgfältig errichteten Holzbeigen in Häuschenform erzählt der 79-Jährige eine kleine Geschichte.«Hinten links», sagt Kuno Kobelt, während er mit einer Hand exakt nach Osten deutet, «standen einst zwei Tannen.» Weil in eine dieser Tannen ein Blitz einschlug und ihrem Stamm sodann ein Pilz entwuchs, war sie zu fällen. Der zweite Baum, durch den Verlust seines Nachbarn geschwächt, musste ebenfalls weichen. Der erste beachtliche Holzstapel, geschätzte 15 Ster, entstand vor sieben Jahren.Als Kind hatte Kobelt in der Nachbarschaft dem Bauern dabei zugesehen, wie er kunstvoll Holz aufschichtete. So ein Stapelkunstwerk wolle er auch einmal machen, habe er gedacht.«Eine richtige Erlebnisstrasse»Nicht nur Kuno Kobelt hat an seinem Haus, an der Wiese, den Tieren, dem vielen Holz und an der Feldstrasse viel Freude. Wer sich an einem warmen, sonnigen Tag hier aufhält, staunt, wie viele Menschen die Strasse benützen. Velofahrer, Schüler, Mütter mit Kindern, Spaziergänger. Kuno Kobelt nennt die Feldstrasse «eine richtige Erlebnisstrasse».An der Holzfassade von Kobelts Haus prangt ein Zettel. «Pihamola» steht darauf. Der 79-Jährige, der immer noch mühelos in den Gewölbekeller hinab- und in den Dachboden hinaufsteigt, war früher selbst ein Pihamola. Das ist ein pickelharter Montagsläufer. Die Kollegen, dreissig oder vierzig, treffen sich noch immer montags vor dem Haus, um sich gemeinsam auf den Weg zu machen.Haus und Ortsbild sind geschütztKuno Kobelts Elternhaus ist ein geschütztes Gebäude, aber wer sich ihm auf der Feldstrasse nähert, ist schon vorher auf Ortsbildschutz-Territorium. Ein anderes Haus an der Feldstrasse, kaum hundert Schritte entfernt, hat einen besonderen Schopf. Die Firma Novaron aus Balgach, der das Haus gehört, wollte im letzten Jahr unter dem Schopf hindurch die dahinter liegende Wiese erschliessen und Mehrfamilienhäuser bauen. Die Gemeinde hiess es gut, der Kanton stoppte das Vorhaben.Ob Novaron nun ein neues Projekt vorlegt, ist offen. Die Gemeinde hat unabhängig davon einem Ortsplaner den Auftrag erteilt, eine Erschliessung grossräumig zu prüfen und Möglichkeiten zu beschreiben. Es geht um ein halbes Dutzend Grundstücke.Kuno Kobelt hatte zuerst keine Freude, als sein Haus ein Teil der Schutzverordnung wurde. Davon abgesehen, dass Schutz immer auch Einschränkung bedeutet, beanstandete er den Expertenbericht über sein Haus in zumindest zwei Punkten.Anders als der Bericht ausführt, sei nicht das ganze Dach mit modernen Biberschwanzziegeln gedeckt, sagt Kobelt, und der Holzschindelschirm sei nicht «ungestrichen», wie es hiess.Ohnehin ist der Besitz des «wichtigen kulturgeschichtlichen Zeugen für die landwirtschaftlich geprägte Bebauung der Gemeinde» und somit die Freude der Menschen an diesem Gebäude nicht gratis. Obschon es leer steht, berechnet das Steueramt Kuno Kobelt, wie das üblich ist, fiktive Mieteinkünfte als steuerbares Einkommen.«Rauchen verboten» seit siebzig JahrenIn der Mitte des 19. Jahrhunderts dürfte das Haus gebaut worden sein, erst später kam der östliche Teil des Gebäudes dazu. Die Eltern Kuno Kobelts übernahmen es 1936, nachdem der Bruder des Vaters es einige Jahre bewohnt hatte – bis er nach St. Gallen zog und beim Wildpark Peter und Paul das Kirchligut übernahm. Kuno Kobelt war als Kind oft dort und musste aus der Ferne Bombardements am deutschen Bodenseeufer miterleben.Von jener Schreckenszeit zeugt im Elternhaus Kuno Kobelts ein Zettel an der Tür der Kämmata. Das ist eine Art Werk- oder Lagerraum im Erdgeschoss. «Rauchen verboten» steht auf dem Stück Papier. Vor etwa siebzig Jahren kam es an die Tür, zu jener Zeit war dieser Raum ein Kompaniebüro. Der Vater Kuno Kobelts war Gefreiter und als solcher mehrmals an der Grenze, oft in Widnau.Kuno Kobelt kam an der Feldstrasse 10 zur Welt. Die beiden Schwestern sind heute in Balgach, der Bruder in Olten. Die Mutter lebte bis 2001, in der Zeit danach blieb das Haus leer. Es sieht auch innen aus wie früher, in der Küche hat es einen Schüttstein, einen Gas- und einen Holzkochherd. Immer vor Weihnachten benützen Kuno und Vreni Kobelt noch heute die Rauchkammer zuoberst im Haus.Ebenfalls in der Adventszeit kommt der Feldstrasse Jahr für Jahr besondere Bedeutung zu. Die Ortsgemeinde gibt dann hier Christbäume ab und macht die schmale, aber längst geteerte Strasse zum beliebten Treffpunkt.Keinen Städtlilauf ausgelassenAls Kuno Kobelt fünfzig war, erwachte eine neue Leidenschaft in ihm. Angespornt von Waffenläufer Alex Thür, hat Kobelt seither selbst an über fünfzig Waffenläufen teilgenommen. Eine besondere Beziehung hat der ehemalige pickelharte Montagsläufer zum Altstätter Städtlilauf. Seit es ihn gibt, hat Kuno Kobelt ihn nie ausgelassen. Auch in diesem Jahr will er dabei sein. Darauf eingestimmt hat er sich schon im Winter. Nach einer Pause hat er wieder – zum über dreissigsten Mal – beim Engadiner Skimarathon mitgemacht.Geändert hat sich nur das Ziel. Heute, mit neunundsiebzig, geht es darum, problemlos durchzukommen. Zu geniessen. Wie alles im Leben. Auch das Holzholen im Wald. Das Aufschichten. Das kunstvolle Gestalten. An der Fassade seines Elternhauses hat der gelernte Feinmechaniker, der lange bei Wild und bei Leica war, noch einen zweiten Zettel aufgehängt.Im 19. Jahrhundert, steht auf diesem Zettel, sei es in manchen Gegenden üblich gewesen, «potenzielle Ehemänner anhand ihrer Holzstapel auszuwählen». Sechzehn Arten von Stapeln sind aufgelistet. Zum Beispiel deute ein niedriger auf einen «vorsichtigen Mann» hin, der «möglicherweise schwach oder schüchtern» sei. Und wer wenig Holz vor dem Haus habe, führe «ein Leben von der Hand in den Mund» und sei wohl «en fuule Sack». Kuno Kobelts Holzstapel sind üppig und einzigartig in ihrer Form, was ihn als «offenherzigen, vorausdenkenden Freidenker» erscheinen lässt.Er setzt sich auf das Bänkli vor dem Haus, lehnt sich entspannt zurück, lässt den Blick über die Wiese, die Holzstapel, die Hühner schweifen und sagt den entscheidenden Satz: «Ich habe Freude, wenn andere Freude haben.»