27.08.2021

Personalmangel hat sich verschärft

War es für Gastwirte früher schon schwierig, Personal zu finden, hat die Pandemie die Suche zusätzlich erschwert.

Von Benjamin Schmid
aktualisiert am 03.11.2022
Benjamin SchmidSeit Ende Mai dürfen auch in Innenräumen von Restaurants wieder Gäste bewirtet werden. Die Erleichterung in der Branche war spürbar, die Freude darüber allerdings nur von kurzer Dauer. Schnell zeigte sich: Der Personalmangel im Gastgewerbe hat sich verstärkt. «Wir konzentrieren uns vorläufig auf die Bewirtung von Gesellschaften, Seminargästen und die Durchführung von eigenen Events», sagt Andrea Willi, Inhaberin des «Ribelhofs» in Lüchingen, «der gewohnte Restaurantbetrieb für Individualgäste bleibt vorübergehend geschlossen.» Grund dafür ist einerseits der Familienzuwachs von Mitinhaberin Anja Willi, andererseits die bis anhin erfolglose Suche nach einer neuen Vollzeit-Köchin. Der frühere Koch musste sich notgedrungen neu orientieren und die Branche wechseln. So wie ihm ist es vielen Beschäftigten ergangen. Fehlten im Gastgewerbe früher aber vor allem Fachkräfte wie Köche, sind es nun auch die einfachen Posten, die unbesetzt bleiben. Abgewandertes Personal kommt nicht wieder zurück«Ich habe über verschiedene Kanäle Personal gesucht», sagt Rene Stangl, Geschäftsführer und Gastgeber des Restaurants Frauenhof in Altstätten. Weil kaum Bewerbungen eingegangen seien, musste er die offenen Stellen über seine Kontakte besetzen. Noch immer sucht er Personal, weshalb der Betrieb eingeschränkt werden musste. Um im Saal Hochzeiten, Bankette und private Feiern durchzuführen, muss er zusätzliches Personal aufbieten. Um das bestehende Personal zu schonen, musste ein zusätzlicher Ruhetag eingeplant werden, weshalb er statt der angestrebten sechs Betriebstage nur an fünf Tagen geöffnet hat. «Alle Gastronomen müssen ihr Angebot einschränken», sagt Stangl. Viele Bekannte hätten während des Lockdowns eine Umschulung gemacht und der Branche den Rücken gekehrt. «Diese Arbeitskräfte kommen nicht mehr zurück.» Das Problem sei nicht neu und hätte sich über die Jahre verschärft. Ungelernte konnten sichaufs Gastgewerbe verlassenViele gering qualifizierte Arbeitskräfte und auch ein hoher Anteil an Beschäftigten mit Migrationshintergrund sind traditioneller Bestandteil der Gastronomie. Wer als Ungelernter früher eine Anstellung suchte, konnte sich meist in irgendeiner Form aufs Gastgewerbe verlassen. Es bot einen sicheren Job, wenn auch oft zu zweifelhaften Bedingungen und für wenig Geld. Aus dieser Krisenresistenz ist innerhalb weniger Monate Systemirrelevanz geworden, Restaurants sind offenbar noch unwichtiger als Coiffeursalons. Rene Stangl ist seit über 25 Jahren in dieser Branche tätig und weiss, wie sie funktioniert. «Die Gastronomie muss man lieben, sonst sollte man die Finger davon lassen.» Man müsse oft am Abend und am Wochenende arbeiten. Ausserdem sind die Grundgehälter im Vergleich zu anderen Dienstleistungsanbietern und Handwerkern tief. Das beginne bereits bei den unterschiedlich hohen Löhnen in der Lehre. Peter Kast, Geschäftsführer vom Gasthaus Ochsen in Berneck, bestätigt, dass es schwieriger geworden sei, Personal zu rekrutieren. «Fachkräfte sind ins Ausland zurückgekehrt oder haben die Branche gewechselt», sagt er. Noch müssten sie weder ihr Angebot noch ihre Öffnungszeiten einschränken. Er hofft, dass nicht wieder strengere Massnahmen ergriffen werden und zeigt sich vorsichtig optimistisch: «Wir machen einen guten Job und bieten einen wertvollen Service.» Einerseits brauche es ein Umdenken bei den Gästen – ein qualitativer Service müsse entsprechend entlohnt werden–, andererseits müsse sich auch die Branche für ihren Nachwuchs einsetzen und entsprechende Rahmenbedingungen schaffen.Gemäss Stefano Piccinno, Betriebsleiter der «Habsburg» in Widnau, hätten zwei Personen gekündigt und sich neu orientiert. Die Belegschaft sei reduziert worden, weshalb es in den Hauptzeiten sehr streng war. «Vor allem auf Aushilfsstellen haben wir weniger Bewerbungen erhalten als früher», sagt er. Früher hätten sie bereits Anfang Frühling Stellen besetzen können, in diesem Jahr dauerte es rund zwei Monate länger. Auch Walter Tobler, Präsident von Gastro SG, dem Kantonalverband Hotellerie und Restauration, spricht von einem offensichtlich flächendeckenden Personalmangel. «In den letzten Jahren und besonders seit dem Lockdown stellen wir fest, dass eine Abwanderung stattgefunden hat.» Gemäss Adrian Schumacher vom Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons St. Gallen lassen sich diese Feststellungen nur teilweise anhand konkreter Zahlen belegen: Im Wahlkreis Rheintal suchten per Ende Juli 28 Küchenhilfen und Köchin-nen sowie 59 Serviceangestellte einen Job. Auf der anderen Seite waren 38 Koch- und 61 Servicestellen unbesetzt. Während es bei den Köchen offensichtlich zu wenig Personal gibt, halten sich Stellen und Stellensuchende im Service in etwa die Waage. «Es gibt nicht den einen Grund», sagt Walter Tobler. Verschiedene Ursachen hätten dazu geführt, dass einerseits von Personalmangel die Rede sei, andererseits die Zahl an Stellen-suchenden immer noch hoch ausfalle. Schreckgespenst oder Rettungsanker Gemäss Thomas Ballinari, Pächter der «Löwenburg» in Lienz, hatte sein Restaurant Anfang Sommer damit zu kämpfen, offene Stellen zu besetzen. Viele Servicekräfte hätten die Branche gewechselt und seien nicht zurückgekehrt. «Bis heute haben wir keine Bewerbung für die Stelle des Kochs erhalten.» Doch im Rheintal sind nicht alle Betriebe auf die gleiche Weise betroffen. So sagt Christoph Baumgartner, Betriebsleiter vom «Jägerhaus» in Altenrhein, dass die Lage zwar angespannt sei, sein Betrieb das Personal aber von vier auf zwölf Personen aufstocken konnte. Ebenfalls weniger vom Personalmangel betroffen scheinen familiengeführte Restaurants zu sein. Wie Maik Marciello, Pizzaiolo in der Pizzeria Freihof in Au, mitteilt, musste der Betrieb kein neues Personal suchen, da keine Arbeitskräfte gegangen seien. Im «Schäfli» in Kriessern setzt man auf die Mithilfe von der Familie, wie Inhaber Urs Wüst-Hutter weiss. «Stundenweise finden wir immer eine Aushilfe aus dem Freundes- und Bekanntenkreis.» Ihm bereite eine mögliche Zertifikatspflicht für Gastronomiebetriebe grössere Kopfschmerzen als die Personalrekrutierung. Er verstehe die Idee hinter der Massnahme – «Aber auf wessen Kosten? Die Verantwortung wird auf die Gastronomen abgewälzt», sagt Urs Wüst-Hutter, «und die Kontrolle bleibt ebenfalls an uns hängen.»«Das Hin und Her bei den Massnahmen geht an die Nerven», sagt Marlen Foré, Inhaberin vom «Kreuz» in Rheineck. Sollte das Zertifikat für das Gastgewerbe umgesetzt werden, müsste sie wohl Kündigungen aussprechen. Das Warten auf die nächste Entscheidung sei wie Sitzen auf heissen Kohlen: «Man weiss, sie kommt, und hofft, danach keine schwierigen, emotionalen Massnahmen einleiten zu müssen.» «Die Umsetzung wird herausfordernd und die Kontrolle der Gäste schwierig», sagt Stefano Piccinno. Dennoch sehne man sich nach Normalität. Eine Normalität, die dank «3 G» (geimpft, getestet oder genesen) ennet der Grenze bereits teilweise gelebt werde, wie er aus eigener Erfahrung zu berichten weiss. Auch Rene Stangl steht diesbezüglich mit seinen Verwandten in Österreich in Kontakt: «Was ich höre, stimmt mich optimistisch. Das Volk geht trotzdem noch ins Restaurant.»

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