14.10.2021

«Ohne Zertifikat drohen Schliessungen»

Das Covid-Gesetz ist in der Ostschweiz umstrittener als anderswo. Wer die Ja-Kampagne anführen soll, ist aber noch völlig offen.

Von Adrian Vögele
aktualisiert am 03.11.2022
Die Schweiz stimmt am 28. November ein weiteres Mal über das Covid-19-Gesetz ab. Zur Debatte steht die Vorlage, die das Parlament Ende März verabschiedet hat. Dieses Gesetz enthält unter anderem die Grundlage für das Covid-Zertifikat und erweiterte Finanzhilfen. Zwar sind alle grossen nationalen Parteien mit Ausnahme der SVP für das Gesetz, die Debatte haben in letzter Zeit aber Gegner aus ganz verschiedenen Kreisen beherrscht. Viel zu tun hat die Ja-Seite insbesondere in der Ostschweiz. Das zeigt ein Blick zurück auf die letzte Covid-Abstimmung im Juni. Die damalige Vorlage war bei weitem nicht so umstritten wie die jetzige. National wurde sie mit 60,2 Prozent Ja-Stimmen angenommen, in der Ostschweiz aber scheiterte sie vielerorts. Der Kanton St.Gallen stimmte ganz knapp zu, mit 51 Prozent. Im Thurgau und beiden Appenzell wurde das Gesetz abgelehnt.IHK: «Die derzeit gefühlte Sicherheit ist trügerisch»Die Gegner der aktuellen Vorlage beklagen, das Covid-Zertifikat führe zu einer Spaltung der Gesellschaft. Sie erhoffen sich mehr Freiheit, wenn das Zertifikat wieder wegfällt. Deutlicher Widerspruch kommt aus der Ostschweizer Wirtschaft: Markus Bänziger, Direktor der Industrie- und Handelskammer St. Gallen-Appenzell, sagt: «Dank des Covid-Zertifikats haben wir zahlreiche unternehmerische und gesellschaftliche Freiheiten wiedererlangt. Wird das Gesetz abgelehnt, sind diese Freiheiten gefährdet.»Die Schweiz habe noch keine Immunisierungsquote erreicht, die eine Aufhebung sämtlicher Massnahmen rechtfertigen würde, so Bänziger: «Die derzeit gefühlte Sicherheit ist trügerisch.» Erneute Lockdowns seien nicht ausgeschlossen: «Sollte dem Covid-Zertifikat die rechtliche Grundlage entzogen werden, drohen ab dem 19. März 2022 gewissen Unternehmen und ganzen Branchen wieder Schliessungen – je nach epidemiologischer Entwicklung über die Wintermonate.» Die IHK empfehle das Covid-Gesetz klar zur Annahme. Ob sie sich im Abstimmungskampf aktiv engagieren wird, ist allerdings noch offen. Kantonalparteien sind noch nicht so weitRaphael Frei, Präsident der FDP Kanton St. Gallen, sagt: «Ein Nein führt vor allem dazu, dass der Tourismus und internationale Geschäftsreisen aufgrund des dann fehlenden Zertifikats massiv erschwert oder verunmöglicht werden.» Auch die Ablehnung der anderen Gesetzesinhalte hätte gravierende Folgen, so Frei. Er betont gleichzeitig, dass ein Nein nicht zum Ende der Covid-Massnahmen führe, «diese wurden nämlich gestützt auf das Epidemiengesetz erlassen». Die Rolle der St. Galler FDP im Abstimmungskampf ist gleichwohl noch unklar. Sie fasst ihre Parolen erst am 28. Oktober. «Erst ab dann beteiligt sich die Partei allenfalls an einer Kampagne», sagt Frei. Auch in den meisten anderen Kantonalparteien stehen diese Entscheide noch bevor. Für die SP hat die Pflegeinitiative PrioritätAuf nationaler Ebene ist aktuell von einem parteiübergreifenden Auftritt der Befürworter die Rede. Solche Gespräche laufen auch in der Ostschweiz, wie die St. Galler SP-Präsidentin Andrea Scheck sagt. «Wir sind aktuell dabei, uns mit anderen Parteien zu koordinieren.» Klar sei, dass sich die SP für das Gesetz einsetzen werde. Das Referendum gefährde die Finanzhilfen bei Härtefällen, Kurzarbeit, Erwerbsersatz und Kinderbetreuung.  «Ein Nein zur Vorlage würde also genau jene treffen, welche in der Pandemie schon am härtesten betroffen waren.»Allerdings: Die SP hat noch anderes zu tun. «Unser spezifischer Fokus liegt bei der November-Abstimmung mehr auf der Pflegeinitiative», sagt Scheck. «Sie deckt nicht nur ein Kernthema von uns ab, sondern wird auch von weniger Parteien unterstützt als das Covid-Gesetz – entsprechend fällt unser Einsatz dort noch mehr ins Gewicht.»Gutjahr steht nicht mehr hinter dem GesetzDamit ist klar: Die Speerspitzen für das Covid-Gesetz sind noch zu finden. Währenddessen hat die Gegnerseite diesmal die direkte Unterstützung der SVP Schweiz: Die Partei hat die Nein-Parole gefasst. Noch im März hatte die SVP-Fraktion dem Gesetz im Parlament mehrheitlich zugestimmt.Zu jenen, die ihre Meinung inzwischen geändert haben, gehört auch die Thurgauer Nationalrätin und Unternehmerin Diana Gutjahr (SVP/TG). Bei der ersten Abstimmung im Parlament habe sie das Gesetz befürwortet. «Ich konnte dahinter stehen, weil man Betriebe schnell und unkompliziert unterstützen konnte.» Mittlerweile aber habe sich die Situation wesentlich entschärft. «Es macht den Anschein, dass der Bundesrat die Macht nicht mehr abgeben möchte und noch immer keine Ausstiegsszenarien präsentiert. Das verärgert viele, auch mich.» Das Covid-Zertifikat sei ursprünglich nur für den internationalen Reiseverkehr und Grossanlässe vorgesehen gewesen, nicht aber für den Alltag. Auch wolle der Bundesrat nun das Covid-Gesetz bis mindestens Ende 2022 verlängern. «Das unterstütze ich nicht mehr.» Gemeinsamer Impfappell aller Parteien?IHK-Direktor Bänziger fordert, die Politik müsse sich nun auf ein rasches Ende der Pandemie konzentrieren. «Ziel muss es sein, die Impfquote rasch deutlich anzuheben.» Wenn dies gelinge, sei wohl auch die Diskussion über das Zertifikat hinfällig. «Die Parteien – und zwar alle zusammen – könnten mit einem gemeinsamen Impfaufruf wesentlich dazu beitragen.»

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