Remo Zollinger113000 beglaubigte Unterschriften reichten die Initianten der Jeune Chambre Internationale am 22. März in Bern ein, 113000 Personen sagten Ja zur Widerspruchslösung bezüglich Organspenden. Eine von ihnen ist Michelle Hug-Seitz, die in Rebstein aufgewachsen ist und mit einem Spenderherz lebt. Die Initiative sieht eine Veränderung des Artikels 119a der Bundesverfassung vor. Die Organspende für die Transplantation soll künftig auf dem Grundsatz der vermuteten Zustimmung beruhen – es sei denn, die betreffende Person hat das zu Lebzeiten abgelehnt.Alle, die während ihres Lebens der Organspende nicht aktiv widersprechen, wären gemäss Initiative nach dem Lebensende automatisch Organspender. Bis jetzt gilt in der Schweiz der freie Wille, Organe auf eigenen Wunsch zu spenden. Jeder Mensch kann entscheiden, ob er Organe spenden möchte oder nicht. Oft muss jedoch seine Familie darüber entscheiden, weil sie die Meinung des Verstorbenen zum Thema nicht kennt. Das ist ein belastender Prozess, auch in ethischer Hinsicht.Weil nach einer vom Zweckverband Swisstransplant in Auftrag gegebenen Studie viele der Organspende positiv gegenüberstehen, aber trotzdem keinen Spenderausweis haben, wollen die Initianten die Ausgangslage umdrehen: Gemäss ihrer Vorstellung wäre es vorteilhaft, es bestünde der freie Wille und die Möglichkeit, der Organspende zu widersprechen. Damit soll dem Mangel an Spenderorganen zumindest teilweise Abhilfe geschaffen werden. Mit der Widerspruchslösung könnte davon ausgegangen werden, dass die verstorbene Person der Organspende positiv gegenübersteht. Entscheidend wäre aber weiterhin das Angehörigengespräch.Eine Rheintalerin kämpft dafür – und gegen ÄpolAm Tag, an dem die Unterschriften eingereicht waren, kreuzten in der SRF-Politsendung Arena Befürworter und Gegner der Vorlage die Klingen. Eine Ja-Stimme war die von Michelle Hug-Seitz: Sie kämpft für die Widerspruchslösung und für die Organspende. Und gegen den neuen Verein von Ärzten und Pflegefachleuten Äpol, der ein Verbot von Organspenden von Hirntoten will.Äpols Positionen haben zuletzt viel Aufsehen erregt. «Menschen dürfen Menschen nicht töten, auch nicht, um anderen Menschen zu helfen. Das ist ein massiver kultureller Bruch», schreibt der Verein in einem Positionspapier. Hirntote Menschen seien nicht tot, ihr Körper lebe trotz irreversibler Hirnschäden weiter. Der Hirntod als Definition des Lebensendes sei umstritten – und der Mensch werde erst durch die Organentnahme getötet.Nur so sei es möglich, lebende, funktionsfähige Organe zu entnehmen. Die Bevölkerung würde im Glauben gelassen, diese würden einem Toten entnommen, was nicht so sei: «Der Sterbeprozess ist zum Zeitpunkt der Explantation noch nicht beendet und wird gestört», steht im Positionspapier. In der «Arena» sagte Dr. Alex Frei (Äpol): «Die Organe sterben bei einem Hirntoten gar nicht, also sind die Menschen nicht vollständig gestorben.»Hug-Seitz und das BAG widersprechen Äpol«Die radikalen Äpol-Positionen haben mich danach nicht in Ruhe gelassen», sagt Michelle Hug-Seitz. Als Betroffene schrieb sie der «Neuen Zürcher Zeitung» und der «Schweizerischen Ärztezeitung» einen Leserbrief. Dort steht: «Die Äpol stellt eine Änderung auf die Widerspruchslösung als Ausräumen der Hirntoten gegen deren Willen dar. Das ist reine Angstmacherei.» Es gehe um hirntote Personen, die nur über Apparaturen am Leben gehalten werden. «Behaupten Sie wirklich, die Patienten werden für die Empfänger von den Ärzten getötet?», fragte Michelle Hug-Seitz.Ein anderer Leserbriefautor wandte sich in der «SÄZ» direkter an Äpol und schrieb: «Solche praxisferne sture Ethiker bringen mit jedem analogen Fall immer wieder wahrscheinlich mehrere vergeblich hoffende, schwerstkranke Empfänger um.»Das Thema führt zu vielen Einsendungen. Die Mehrheit ist bei Michelle Hug-Seitz. Einer bezichtigte die Spitäler aber der zu schnellen Operation, denn: «je mehr Operationen, umso höher der Gewinn». Es gehe um Profitmaximierung, zudem könnten Ärzte nur vermuten, dass Patienten mit Fremdorganen länger leben. Diese Position spielt hier jedoch nur am Rand eine Rolle.Äpol war schon vor der Unterschriftenabgabe mit einer Petition an den Bund gelangt, in der der Verein die Bitte formulierte, der Bund möge prüfen, «ob die heutige Praxis von Organentnahmen bei hirntoten Menschen gestoppt werden muss.»Die Leiterin Direktionsbereich Öffentliche Gesundheit des Bundesamts für Gesundheit (BAG), Dr. Andrea Arz de Falco, antwortete: «Medizin und Biologie haben hinreichend gezeigt, dass ein menschlicher Organismus ohne funktionierendes Gehirn nicht leben kann. Fällt das Hirn aus, stirbt der Mensch. Eine Rückkehr ins Leben ist nicht mehr möglich». Der Tod müsse von fachlich qualifizierten und geschulten Ärzten zweifelsfrei nachgewiesen werden. Das BAG sehe deshalb keinen Anlass, die heutige Praxis der Organentnahme bei Hirntoten zu ändern.Äpol antwortete dem Bund mit einem weiteren Brief, das BAG erwiderte: «Ihre Ausführung haben wir mit Interesse zur Kenntnis genommen. Sie vermögen indes unsere Einschätzung nicht zu ändern.»Hinter dem Engagement steht die eigene Geschichte«Gäbe es die Transplantation nicht, wäre ich nicht mehr hier»: So steigt Michelle Hug-Seitz in ihren Leserbrief ein. Die heute mit Mann und Hund in Hämikon LU lebende 33-Jährige bekam 2012 ein Spenderherz.Als sie 18-jährig war, erlitt Michelle Hug-Seitz zwei Hirnschläge, ehe genaue Untersuchungen folgten. Bei der Suche nach der Ursache wurde klar, dass ihr Herz zu gross war; es bildeten sich Gerinnsel an der Herzwand, die eine Verstopfung verursachten. Auf eine medikamentöse Therapie, die stabilisierend wirkte, aber nicht verbessernd, folgte eine rapide Verschlechterung. Es blieb nur noch eine Herztransplantation, jeden Tag kämpfte sie auf der Intensivstation um ihr Leben.Am Silvesterabend 2011 bekam sie die Nachricht, dass sie als «urgent», «dringend», auf der Spenderliste stehe. 31 Tage später implantierten ihr Chirurgen das Spenderherz. Heute lebt sie, wie sie sagt, «ein ganz normales Leben» und arbeitet zu 100 Prozent im komplementärmedizinischen Zentrum Paramed in Baar.Ihr Auftritt in der «Arena» war nicht der erste grosse öffentliche Auftritt. Sie gibt Radiointerviews, tritt an Schulen auf oder hilft Studenten, die sich mit dem Thema beschäftigen. Obwohl sie für diese Auftritte von Swisstransplant vermittelt wird, legt sie Wert auf die Präzisierung, jeweils als Privatperson aufzutreten. «Mir ist es ein grosses Anliegen, dass möglichst viele Menschen bezüglich der Organspende eine Entscheidung treffen», sagt sie.Hinter ihrem Engagement steht ihre eigene Geschichte. Michelle Hug-Seitz ist Äpol deshalb ein Dorn im Auge: «Es ist erschreckend, wie diese Ärzte versuchen, das Volk durch Fehlinformationen zu leiten, die nur auf deren Glauben und persönlichen Einstellungen beruhen.»