21.09.2021

«Ohne Ehe für alle fühlen wir uns benachteiligt»

Dominik Sieber und Randy Hug  führen seit über fünf Jahren eine Beziehung und stehen öffentlich dazu. Die «Ehe für alle» liegt den beiden Oberrietern am Herzen, zumal sie selbst mit dem Gedanken spielen, zu heiraten. Im Interview erklären die Männer, weshalb sie das Rheintal einer LGBTQ+-freundlichen Stadt vorziehen und warum sie trotzdem darauf verzichten, händchenhaltend durchs Dorf zu spazieren.

Von Interview: Seraina Hess
aktualisiert am 03.11.2022
Dominik Sieber, Randy Hug, hängt auf Ihrem Balkon eine Regenbogen-Flagge?Randy Hug: Nein, wir besitzen keine und engagieren uns aufgrund anderer Projekte nicht aktiv für die «Ehe für alle» – am ehesten noch im Bekanntenkreis. Trotzdem verfolgen wir die Diskussionen um die Vorlage mit grossem Interesse.Müssen Sie aufgrund der bevorstehenden Abstimmung vermehrt Rede und Antwort stehen?Randy Hug: Fragen sind selten, viel eher kommen beispielsweise Mitarbeitende auf mich zu und zeigen sich solidarisch, indem sie mich wissen lassen, dass sie ein Ja auf ihren Abstimmungszettel geschrieben haben.Dominik Sieber: Das stimmt, Sympathie wird im Umfeld häufig bekundet. Auch auf der Arbeit sagen einige, dass sie die «Ehe für alle» nach Jahren der Abstimmungsabstinenz zum Anlass nehmen, wieder einmal an die Urne zu gehen.Sie beide haben nie einen Hehl aus ihrer Beziehung gemacht. Wie lebt man in einer doch eher konservativ geprägten Region als schwules Paar?Dominik Sieber: Wir sind nie mit negativen Reaktionen konfrontiert worden. Selbst im Regionalfussball, wo ich sehr aktiv bin, ist meine sexuelle Orientierung selten ein Thema – auch nicht, wenn mein Freund den Match vom Spielfeldrand aus mitverfolgt. Grundsätzlich kann man mit mir diskutieren, solange das Gegenüber nicht unter die Gürtellinie zielt. Sah das früher anders aus?Randy Hug: Ich habe mich in meiner ehemaligen Heimat im Kanton Zürich schon im Alter von 16 Jahren geoutet. Damals war meine Homosexualität Gesprächsthema im ganzen Dorf, sogar in der einstigen Schulklasse. In dieser Situation fragte ich mich natürlich schon, ob ich mich in den nächsten Monaten oder Jahren immer wieder aufs Neue rechtfertigen oder mir blöde Sprüche anhören muss. Glücklicherweise war alles relativ schnell ausgestanden.Wie war es bei Ihnen, Dominik Sieber? Sie sind in Montlingen aufgewachsen.Dominik Sieber: Bei meinem Outing war ich älter, etwa 22. Ich hatte den Eindruck, dass es zumindest vordergründig kein Thema war, weil sich niemand traute, mich etwas über meine Orientierung zu fragen. Das ist bis heute so. Vielleicht hatte ich einfach Glück im Gegensatz zu anderen Homosexuellen, die negative Erfahrungen gesammelt haben. Ergänzend ist festzuhalten, dass Randy und ich kaum auffallen. Wir erfüllen keine Klischees und sind kein Paar, das händchenhaltend durchs Dorf spaziert oder an einer Hundsverlochete auf irgendeine Weise provokativ auftritt.Händchenhalten unter Männern ist noch lange keine Provokation. Verhalten Sie sich also bewusst vorsichtig distanziert, um kein Aufsehen zu erregen?Randy Hug: Vielleicht teilweise. Aber wir sind ohnehin kein Paar, das in der Öffentlichkeit aneinander klebt.Dominik Sieber: Genau, das liegt uns nicht. Aber es ist tatsächlich so, dass man sich als schwules Paar im Rheintal anders verhält als in einer anonymen Stadt. Es wäre schön, wenn Homosexualität in allen Teilen der Schweiz selbstverständlich wäre.Hatten Sie jemals das Bedürfnis, in eine Stadt zu ziehen, in der händchenhaltende Männer zum Strassenbild gehören?Dominik Sieber: Definitiv nicht. Ich bin hier verwurzelt, bin durch und durch Rheintaler und hatte nie das Bedürfnis, nach Zürich zu ziehen. Randy Hug: Mir geht es gleich. Inzwischen könnte ich mir nicht mehr vorstellen, das Rheintal zu verlassen.   Die «Ehe für alle» soll homosexuellen Paaren dieselben Rechte einräumen wie heterosexuellen. Fühlen Sie sich heute benachteiligt?Dominik Sieber: Ja, wobei uns das erst vor ein paar Monaten bewusst geworden ist, als wir mit der Planung unseres Eigenheims in Altstätten begonnen haben. Heiraten hatte zuvor nie Priorität – aber im Laufe des Bauvorhabens zeigte sich, dass durch den Unverheiratetenstatus in Bezug auf die Finanzierung und die Absicherung rechtliche Lücken bestehen bleiben.Die eingetragene Partnerschaft hätte diese Lücken nicht zu schliessen vermocht?Randy Hug: Einige schon, aber es ist deutlich aufwendiger, alles zu regeln. Ganz abgesehen davon nimmt man mit der eingetragenen Partnerschaft eine gewisse Sonderrolle ein. Es wäre wünschenswert, alle hätten die selben Möglichkeiten wie heterosexuelle Paare.Wenn das Volk die Vorlage am Sonntag gutheisst, würde Heiraten für Sie beide also zum Thema – vor allem aus praktischen Gründen?Randy Hug: Der Hausbau ist der Auslöser, aber die rechtliche Sicherheit steht schliesslich bei den meisten Paaren im Vordergrund, wenn sie sich für die Ehe entscheiden. Dominik Sieber: Jeder kennt Paare, die heiraten, weil die Frau ein Kind erwartet. Das ist eine vergleichbare Situation: Das Paar hat zuvor nicht geplant, die Ehe einzugehen, aber dann ist der Anlass dazu auf einmal gegeben.Die Argumente der Gegner zielen vor allem auf die Familiengründung. Kritisiert wird, dass gleichgeschlechtliche Ehepaare adoptieren dürften, lesbischen Paare ausserdem Zugang zur Samenzellenspende bekämen. Was entgegnen Sie dem?Randy Hug: Diese Ängste können wir nicht nachvollziehen. Wir kennen Familien mit nur einem Elternteil, bei denen die Erziehung trotzdem funktioniert. Es spielt sicher keine Rolle, ob Frau und Mann, Mann und Mann oder Frau und Frau für ein Kind sorgen – wichtig ist, dass Eltern Liebe und Aufmerksamkeit schenken. Dominik Sieber: Ich verstehe die Argumente der Gegner insgesamt nicht. Die Änderung im Zivilgesetzbuch tut niemandem weh: Niemand muss deswegen mehr Steuern zahlen, niemandem wird etwas weggenommen. Ausserdem liegt das Augenmerk der Gegner zu stark auf der Familienplanung. Die Hürden, bis eine Adoption zustande kommt, wären ja immer noch enorm hoch. Wir könnten uns nicht heute für ein Kind entscheiden und morgen läge es in der Wiege. Der Prozess bleibt umständlich, Paare werden weiterhin genaustens durchleuchtet.Kommt eine eigene Familie für Sie beide denn in Frage?Randy Hug: Nein. Mir war immer klar: Ich bin schwul, ich werde keine Kinder haben und mich damit begnügen, ab und zu Kinder von Freunden oder Verwandten zu hüten. Auch bei befreundeten schwulen Paaren steht das Kinderkriegen nicht im Fokus. Vielmehr geht es uns um den rechtlichen Status der Ehe und darum, zu zeigen, dass man zusammengehört. Entsprechend hoffen wir, dass die «Ehe für alle» am Sonntag eine grosse Mehrheit überzeugt und gleichgeschlechtliche Paare damit dieselben Rechte bekommen wie Männer und Frauen, die heiraten wollen. 

Abo Aktion schliessen
News aus der Region?

Alle Geschichten, alle Bilder

... für nur 12 Franken im Monat oder 132 Franken im Jahr.