23.12.2021

Ohne Anmeldung zum Booster

Die Boosterimpfung vor Weihnachten bleibt für viele ein Wunschtraum. Kurzentschlossene sind eher erfolgreich.

Von Noemi Heule
aktualisiert am 02.11.2022
Weihnachten vor einem Jahr. Der reichste Mann Südafrikas fliegt per Privatjet in den Thurgau, um sich vorzeitig gegen Covid-19 zu impfen. Ein Impfdrängler, auf den viele weitere folgten, bevor die Wortschöpfung fast in Vergessenheit geriet. Abgelöst von den Impfzögerern, Impfskeptikern oder gar Impfverweigerern. Ein Jahr später ist mehr Impfstoff denn Impfwille vorhanden. Und doch drängen sich die Menschen wieder vor den Impfstellen. Auch ich reihe mich in den Reigen der Impffreudigen ein. Aus Vorfreude auf Weihnachten, die ich mir nicht von einem Virus vermiesen lassen will. Und auch nicht von einem fehlenden Plus hinter den bekannten zwei G. Als der Bundesrat die Frist von der zweiten zur dritten Impfung auf vier Monate verkürzte und gleichzeitig die Massnahmen verschärfte, war er plötzlich da: Der Booster-Boom. Fast 4500 Auffrischungsimpfungen registrierte die Website des Kantons St. Gallen allein am Montag, während sich die Zahl der Erstimpfungen kaum veränderte. Auf der St.Galler Impfplattform waren die Termine für die kommenden Tage denn auch flugs ausgebucht. Und obwohl die Zeitfenster ausgedehnt und die Kapazitäten erhöht wurden, ergattere ich bis Mitte Januar keinen Termin mehr. Andere hatten ein glücklicheres Händchen (oder Ärmchen). Denn wer sich nicht auf die Warteliste setzt, sondern sich einfach in eine Schlange einreiht, erhält den Piks auf der Stelle. Anders als in den Impfzentren seien Boosterimpfungen in den Pop-up-Impfstellen mit Walk-in möglich, heisst es auf der Website des Kantons. Nur: «Es muss mit längeren Wartezeiten gerechnet werden.» Und so füllen sich, so die Räubergeschichten, ganze Reisebüsli mit Städtern, die sich im Fürstenland impfen lassen wollen. Andere steuern das Toggenburg an. Wo sich, so die Argumentation, nur knapp 53 Prozent der Bevölkerung ein erstes Mal hat impfen lassen, wird der Andrang auf die dritte Dosis nicht allzu gross sein.Fast alle kommen spontanAuch ich ergreife die Landflucht und mache mich auf den Weg nach St. Margrethen. Ausgerüstet mit einer Thermosflasche voller Tee für die lange Wartezeit treffe ich zur Türöffnung um 12 Uhr ein. Es ist der zweitletzte Tag der provisorischen Impfstelle; wie auch in Flawil bleiben die Türen an der Grenzstrasse 27 nach Weihnachten zu. Boosterimpfungen seien nur mit Anmeldung möglich, heisst es an der Eingangstür. Zweifel beschleichen mich, als ich die Treppe in den zweiten Stock erklimme. «Personen mit Termin haben Vorrang», heisst es dort auf einem Notizzettel. Gleich daneben ein QR-Code für Spontananmeldungen. Die Zweifel schwinden. Genauso die Schlange, die zu Beginn bis ins grau gekachelte Treppenhaus reicht. Eine Handvoll Personen mit Termin wird vorgelassen, alle anderen sind ebenfalls ohne Voranmeldung hier.  Eine junge Frau in weiten Pluderhosen mit rotem Rentiermuster tippt die Anmeldedaten in ihr Handy. Eine mit einer LED-Lichterkette umwickelte Krippe aus Karton versprüht kitschigen Weihnachtscharme in der ansonsten klinischen Wartezimmeratmosphäre. Man merke, dass viele von den Impfzentren auf die Pop-up-Stellen ausweichen würden, sagt eine Mitarbeiterin, die sich dennoch geduldig um jedes Anliegen kümmert. Ein Mann, der sich für den morgigen Tag anmelden will, wird nach Hause geschickt. Er soll spontan vorbeikommen. Ein anderer muss wieder gehen, weil seit seiner letzten Impfung noch keine vier Monate vorbei sind. Auch ich werde mit guten Weihnachtswünschen auf den Heimweg geschickt, bevor ich überhaupt dazu komme, einen Schluck Tee zu trinken. Dafür mit Traubenzucker im Mund und Pflaster auf dem Oberarm. Um 12.30 Uhr ist der Piks vorbei. Im Impfzentrum drückt man ein Auge zuIch hätte den Umweg an die Kantons- und Landesgrenze übrigens nicht auf mich nehmen müssen. Eigentlich seien Booster ohne Voranmeldung nicht vorgesehen, sagt mir ein Mitarbeiter später im St. Galler Impfzentrum. Er fügt nach einer Kunstpause ein zweites «eigentlich» hinzu, bevor er mich dazu anweist, mich hinten anzustellen. Angesprochen auf die vielen spontanen Besucher, antwortet er wie seine Rheintaler Kollegen: «Hauptsache es wird geimpft.»Die Schlange im St. Galler Westcenter ist um ein Vielfaches länger als jene im St. Margrether Medicenter. Der Wartebereich erinnert an die Sicherheitsschleuse am Flughafen, inklusive Check-in-Schalter. Ich winke mit einem schweren linken Arm ab und mache mich auf den Heimweg, wo ich Weihnachten nun buchstäblich entgegenfiebern kann. 

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