Interview: Tim Frei
Karin Weigelt, seit Anfang Oktober sind Sie Projektleiterin beim Schweizerischen Handball-Verband. Sie sollen mithelfen, eine Frauenhandball-Akademie aufzubauen. Was reizt Sie an dieser Aufgabe?
Es ist speziell, nun auf der anderen Seite zu sein – nicht mehr auf dem Feld zu spielen, sondern im Hintergrund zu arbeiten. Während meiner Karriere habe ich oft bemängelt, dass man für die Frauen im Handball zu wenig macht. Das Projekt bietet mir die Möglichkeit, in dieser Angelegenheit etwas zu bewirken und mitzuhelfen, den Frauenhandball voranzubringen.
Was möchten Sie bewegen?
Ich möchte das Bewusstsein schärfen, dass Spielerinnen mehr für den Erfolg im Spitzensport tun müssen, als dies momentan der Fall ist. Wir müssen bessere Bedingungen für junge Spielerinnen schaffen, damit sie den Spitzensport und Alltag mit Schule und Beruf besser vereinbaren können. Genau hier setzt die Akademie an: Deren Ziel ist ein professionelles Sportangebot, das Platz für eine Lehre oder Matura lässt. Die Priorität liegt aber eindeutig auf dem Sport.
Wie verlief Ihr Start?
Ich bin sehr zufrieden mit den ersten Wochen. Am Anfang braucht es natürlich etwas Zeit, um sich einzuarbeiten. Aber ich denke, dass ich bereits jetzt erste Akzente setzen konnte und das Projekt langsam weiter Form annimmt. Bis zum Start der Akademie im Sommer 2020 ist es zwar noch ein langer Weg. Doch wir arbeiten mit Hochdruck daran, damit sie ein Erfolg wird.
Sie sind vor gut vier Monaten zurückgetreten. Hand aufs Herz: Gab es nie einen Moment,in dem Sie dies bereut haben?
Bereut sicher nicht. Meine aktive Zeit war eine, die ich nicht missen möchte und als eine sehr glückliche in Erinnerung behalten werde. Die Mannschaftsatmosphäre – gemeinsam etwas zu erreichen oder auch zu leiden – vermisse ich. Das sind Emotionen, die man im Alltag so nicht erlebt. Ich habe jedoch kein Problem damit, dass dieses Kapitel nun abgeschlossen ist, und freue mich auf den nächsten Lebensabschnitt. Denn ich habe bereits viele weitere Ideen, die ich angehen möchte. Wenn ich aber eine Partie besuche, den Harz rieche und den Schweiss sehe, kommen unweigerlich Emotionen und Erinnerungen an meine Zeit hoch. Es kribbelt dann immer noch ein bisschen.
Was ist für Sie die grösste Umstellung im neuen Lebensabschnitt?
Der fehlende strukturierte Tagesablauf: Als Handballerin war alles durchgeplant – von Trainings unter der Woche bis zu Spielen am Wochenende. Und dies alles ab dem 16. Lebensjahr. Auf der anderen Seite ist die fehlende Struktur auch eine Freiheit. Während meiner Karriere musste ich oft Geburtstags- und Familienfeste absagen. Oder schon nur drei Wochen am Stück Ferien zu machen, war kaum möglich. Selbst wenn ich mal länger Ferien hatte, musste ich Intervallläufe oder sonstige Trainingseinheiten absolvieren. Da ist der Kopf unweigerlich bei der Vorbereitung – richtig abschalten konnte ich so nicht.
Wie kamen Sie mit dem neuen Leben ohne Struktur klar?
Ich musste mich jeden Tag fragen, was ich mache: Gehe ich aufs Velo? Ins Fitness? Oder joggen? Das war und ist total neu für mich. Die grösste Herausforderung für mich war ein freies Wochenende (lacht). Mit der Arbeit beim Handball-Verband ist diese Struktur allerdings wieder gegeben.
Was gab den Ausschlag für den Rücktritt als Handballerin?
Eine grosse Rolle spielte, dass mir der Antrieb für eine weitere Bundesligasaison fehlte. Auch die Gesundheit war entscheidend: Ich merkte, dass mein Körper nicht mehr 20 ist. Ihm wollte ich kein weiteres Jahr Spitzensport antun, denn ich möchte in meiner Freizeit weiter aktiven Sport treiben können. Ein wichtiger Grund für meine Rückkehr in die Schweiz war, dass ich mehr Zeit mit meinem Freund verbringen möchte.
Sie bestritten 127 Spiele für das Nationalteam und gehören damit zur Spitze in der Bestenliste der Frauen. Sie spielten über elf Jahre im Ausland. Hat sich der Aufwand gelohnt?
Ja, definitiv! Es war mein Traum, ein solches Leben zu führen. Als 18-Jährige hätte ich mir nie vorstellen können, dass ich eine so lange Karriere erleben würde.
Was haben Sie in dieser Zeit gelernt?
Ich nehme vieles mit. Nicht nur habe ich gelernt, auf meinen Körper zu hören, sondern insbesondere auch mich selber als Person weiterentwickelt. Mich auf neue Länder und Kulturen sowie neue Mannschaften und Trainer einzustellen, hat mich zu einem offenen Menschen gemacht.
Inwiefern?
In der Schweiz gibt es viele Sachen, die man als selbstverständlich erachtet. Ich erkannte, dass es im Ausland andere Traditionen gibt und man gewisse Dinge anders handhabt. Man lernt, das zu akzeptieren und sich dementsprechend zu verhalten.
Zum Beispiel?
Wie man mit Sponsoren und VIPs nach den Partien umgeht. In St. Gallen gingen wir nach dem Duschen zum Treffen in eine Cüpli-Bar. In Deutschland war es wichtig, im verschwitzten Trikot ein Bier mit den Anhängern zu trinken. In Norwegen dagegen war Alkohol in Kombination mit dem Sport tabu. In Frankreich erwartete man, dass wir ein Glas Rotwein mit den Sponsoren trinken.
Was war der skurrilste Moment in Ihrer Handballkarriere?
Wir haben viel gelacht. Spontan erinnere ich mich an ein Turnier in der Türkei, an dem wir mit dem Nationalteam teilnahmen. Vor Ort stellten wir fest, dass wir irrtümlicherweise dafür eingeladen wurden. Der Veranstalter wollte Schweden dabei haben, verwechselte die beiden Länder aber. Da unser Team eine gute Leistung zeigte, wurden wir auch in den nächsten Jahren wieder eingeladen.