07.06.2020

Nur Schnuppern bringt’s

Bisher führte die Coronakrise nicht zu einem Lehrstellenmangel. Aber es fehlt zurzeit an Schnupperplätzen.

Von Yves Solenthaler
aktualisiert am 03.11.2022
Yves SolenthalerVor einem Monat hat das Bildungsdepartement des Kantons St. Gallen alle Beteiligten dazu aufgerufen, die Berufswahl in diesen schwierigen Zeiten zu unterstützen. Der Arbeitgeberverband Rheintal (AGV) schloss sich diesem Aufruf an. In seiner Mitteilung schrieb der AGV: «Alle Unternehmen sind ermuntert, Schnupperlehren durchzuführen und den Schülerinnen und Schülern der Oberstufe ausreichend Zeit für die Berufswahl einzuräumen. Lehrverträge mit Stellenantritt im Jahr 2021 sollen erst im Spätherbst 2020 abgeschlossen werden.»Im Kanton gibt es – Stand 1. November 2019 – 18 000 Lernende an berufsbildenden Schulen. Im Rheintal strömen pro Jahr knapp 1000 Schulabgängerinnen und -abgänger in den Lehrstellenmarkt. Geburtenschwache Jahrgänge und auch Anstrengungen zur Förderung des dualen Berufssystems haben in den letzten Jahren dazu geführt, dass es mehr Lehrstellen als Lernende gibt.Kein Lehrstellenmangel bis und mit Sommer 2021Kippt dieses Verhältnis nun wieder, weil die Betriebe als Folge der Coronakrise Lehrstellen abbauen? Thomas Bolt, Verbandsleiter und Sekretär des AGV, stuft die Lage im Rheintal als nicht dramatisch ein. Von den Neuntklässlern, die in diesem Sommer mit der Berufsausbildung beginnen, seien nur ganz wenige betroffen: «Der überwiegende Teil hat den Lehrvertrag schon vor Corona unterschrieben.»Auch im Sommer 2021 dürfte der Lehrstellenmarkt im Rhein-tal gemäss Bolt nicht massiv einbrechen. Letzte Woche an der AGV-Sitzung haben jedenfalls die im Vorstand vertretenen Firmen, darunter mit SFS der grösste Ausbildner im Rheintal betont, das Lehrstellenangebot unverändert zu belassen. Skeptischer bzw. unsicherer ist Bolt, was die Zeit danach betrifft: «Wenn die Konjunktur länger schwächelt, wird sich das aufs Lehrstellenangebot auswirken.»Die Berufswahl verläuft für die Schülerinnen und Schüler der 8. Klasse, die sich jetzt um eine Lehrstelle ab 2021 bemühen, aber nicht ohne pandemiebedingte Schwierigkeiten. Jeweils zwischen Frühlings- und Sommerferien finden meist die Schnupperwochen in potenziellen Lehrbetrieben statt. Diese mussten zum Teil wegen der Corona-Einschränkungen abgesagt werden. Hier setzt der kürzlich erlassene Aufruf des AGV an. «Lehrbetriebe sollen weiter Schnuppermöglichkeiten anbieten – auch während und nach den Sommerferien», sagt Bolt. Gleichzeitig fordert er die Oberstufen dazu auf, bei den Schülerinnen und Schülern den Fokus auf die Berufswahl zu legen und auch Schnupperwochen ausserhalb der dafür vorgesehenen Zeit zu ermöglichen.Bei genügend Schnupperplätzen und Jugendlichen mit grosser Motivation sowie guter Vorbereitung seitens der Schule könne man cool bleiben bezüglich der Lehrstellensuche für nächsten Sommer. Dass es unter diesen Vorzeichen wohl automatisch länger daure, bis Lehrverträge unterschrieben würden, sei sogar eher positiv zu bewerten (vgl. Zweittext).Sandro Hess aus Balgach ist Schulleiter der Oberstufe Feld in Altstätten und beschäftigt sich auch als Kantonsrat mit dem Thema Berufsbildung. Unter seinen Schülerinnen und Schülern mussten einige die Schnupperwochen absagen: «Auch jetzt sind die Praktikums- bzw. Schnupperplätze beschränkt.» Er ist jedoch optimistisch, dass während den Sommerferien und danach genug Lehrstellen angeboten werden: «Optimierungspotenzial ist sicher vorhanden, aber grundsätzlich arbeiten Schule und Wirtschaft im Rheintal gut zusammen.»Schnupperlehren fielen wegen der Pandemie ausZur Forderung des AGV, die Berufswahl in den Schulen zu intensivieren, sagt Hess: «Die Lehrstellensuche ist ohnehin zentral in dieser Schulstufe, durch die Corona-Einschränkungen wird dieses Thema aber noch dringlicher. Die Achtklässler sind von den Corona-Einschränkungen stark betroffen. Es wäre fatal für sie, wenn sie und ihre Eltern während der Berufswahl nicht ausreichend unterstützt werden können.»Beim Schulunterricht aus der Ferne, so qualitativ hochstehend er auch sei, gingen zwangsläufig Lerninhalte unter: «Das gilt auch für den Berufswahlunterricht.» Dabei gehe es nicht zuletzt darum, bei den sich in der Pubertät befindlichen Jugendlichen das Bewusstsein für die Wichtigkeit der Berufswahl zu schärfen. Die Theorie bilde die Basis, um sich bei der Lehrstelle zu präsentieren: «Manche brauchen dabei mehr, manche weniger Unterstützung.» Die theoretischen Inhalte könnten lehrreich sein, sagt Hess: «Aber nur ein Arbeitseinsatz in einem potenziellen Lehrbetrieb vermittelt den Schülerinnen und Schülern wirklich einen Einblick in ihren möglichen künftigen Beruf. Nichts kann das Schnuppern in einem Betrieb ersetzen.»

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