27.11.2019

Null sieba nüü

Viele Wörter und Redewendungen im Rheintaler Dialekt verschwanden, neue sind gekommen.

Von Christoph Mattle
aktualisiert am 03.11.2022
 Die Mundart ändert sich rasch und andauernd. Grundsätzlich wird heute in der Schweiz der Mundart deutlich mehr Gewicht beigemessen als vor 20 oder 30 Jahren. Als Beispiel nenne ich die vielen Lieder von Schweizer Sängerinnen und Sängern. Liedermacher würde man wohl richtig sagen. Oder Songwriter. Die vielen Lieder auf Mundart erfreuen mich.Wie sich die Mundart ändert, zeige ich an einem der momentan berühmtesten Lieder, jenes von Lo&Leduc. Es heisst «079». Mit dieser Zahl ist die Telefonvorwahl gemeint, die viele Schweizer für ihr Natel (neu Händi) im Einsatz haben. Die ältere Generation von Schweizerinnen und Schweizern sagt «Null Nünesiebezg». Lo&Leduc und die jungen Leute sagen heute oft und immer öfter «Null Siebe Nün.» Sie sagen die Zahlen der Reihe nach auf und machen nicht mehr Zweier- oder Dreierpäckli, wenn sie eine Telefonnummer mündlich nennen. Die älteren Semester würden die Nummer 071 763 28 95 in Rheintaler Mundart so aufsagen: «Null Oanasiebezg, Siebehundetdrüasäachzg, Achtazwonzg Füfanünzg». Junge Leute leiern diese Nummer wie folgt daher: «Null Siebe Oas Siebe Sechs Drü Zwoa Acht Nüü Füüf». So verändert sich der Sprachgebrauch. Wie ich meine, nicht immer zum Vorteil.Halo statt Grüezi – Tschüss, ohne Duzis zu seinManchmal ärgere ich mich über den heutigen Mundartgebrauch. Zum Beispiel im Schweizer Fernsehen, wenn der Moderator oder die Moderatorin mich begrüssen mit «Halo». Warum wollen moderne Fernsehleute nicht mehr Grüezi sagen? Grüezi ist doch ein schönes Mundartwort, das es ausschliesslich in der Deutschschweiz gibt. Dieselben Fernsehleute sagen am Schluss «Tschüss». Schrecklich für meine Ohren! Das haben sie von den deutschen Kollegen übernommen. Schlimm! In der Schweiz darf man nur dann Tschüss sagen, wenn man Duzis ist. Mit solchen Leuten, die unsere Mundart kaputt machen, will ich nicht Duzis sein.Uni Händi – mit StumpaDas Bild us mim aalta Läasibüachli zeigt den Schulausflug, wie er zu meiner Schulzeit stattfand. Man ging zu Fuss. Nur jedes zweite Jahr nahm man den Zug. Per Bahn ging es Richtung Zöri- Zoo, Hohle Gasse, Rütli oder Gletschergarten, wo uns freilich nur der Spiegelsaal interessierte. Zu Fuss lagen die Ziele näher, d Nöijanalp, Pfäänara, da Hochkaschta oder da Seemtissersea. Verpflegung war aus dem Rucksack. In der ersten oder zweiten Klasse nahm man nur eine Lönschtäscha mit. Darin war eine Flasche mit Tiki (Brauselimonade) mit Broad und mipmana Woascht, wommar am Foaschtseeali pröötlat hond. S Händi hommer nüd mitgnoa. Mein Gott, wemmar doa scho gwisst hettid, was schpööter no alls gid! Auf der Zeichnung des damaligen Lesebüchleins raucht der Lehrer. Heute unvorstellbar! Lehrer Kolb im Oberied hat während jeder Pause im Gang der Schule an halba Stumpa groocht.Hous gi googaDer Schulausflug begann am Morgen. Im Oberied sagt man am Bismeattig. Unterwegs ass man Znüni. Dann gab’s Zmeattig. Am Nachmittag häapma gschväaschparat. Um die Vesperzeit herum eben. Am Bisnacht kehrte man nach Hause zurück. Der Lehrer sagte: «Heanacht gonder seacher müad is Bett. Amool luga, ebar moann Weadargeenta heijid.» Am anderen Morgen würde er fragen, ob sie näacht müde gewesen seien. Müadar als voarnäacht?Ein rechter Oberiedner Buab würde dem Lehrer zur Antwort geben, er sei näacht erbar früa gi googa gganga. Das Wort googa kann vielseitig verwendet werden. Ma ka no a kli anigooga oder härigooga, was soviel heisst wie ein kurzes Schläfchen zu machen, ein Powernap, wie man modern sagt. Junge Leute benützen die hier erwähnten Ausdrücke für die Tageszeit kaum noch. Statt Bisnacht sagt man heute am Nomi. Will man mit jungen Leuten eine Terminvereinbarung uf da Väaschpar treffen, trifft man auf offene Müülar. Näacht für gestern Abend oder gestern Nacht stirbt wohl aus. Ebenso die Weadar-geenta für den Muskelkater. Interessant finde ich, dass der Meaktig vielerorts verschwunden ist, der Ziischtig und der Wäächtig hingegen nicht.

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