Gerhard HuberWas geschieht, wenn sich im Herzen jung gebliebene Senioren an der Schwelle zwischen Beruf und verdientem Ruhestand neu erfinden, konnte man im Diogenes-Theater am Freitagabend gleich zweifach erleben. Denn schliesslich waren es Rheintaler Senioren, die sich wohl unter der Berufsbezeichnung «aktive Pensionisten» jüngst zu einer neuen Theatergruppe, dem AST – Altstätter Senioren-Theater – zusammengeschlossen haben. Und das als Premiere gezeigte Theaterstück «f(AST) ein Märchen» handelt von Senioren, die vom Alltag genug haben und noch einmal neu durchstarten wollen. Bis sie dann aber erkennen, dass sie nichts mehr werden müssen, sondern einfach sein können.Was passiert, wenn man ein Grimm’sches Märchen als Handlungsgerüst hernimmt, alle Personen und Orte ändert und das Geschehen in die Gegenwart verlegt, wie es das Senioren-Theater unter der Leitung der beiden Regisseurinnen (oder heisst es Regisseusen?) Doris Papendieck und Ursula Bardorf getan hat? Es entsteht ein überaus originelles, heiteres Stück voll praller Lebenslust, ein wahres Gag-Feuerwerk mit gut versteckten nachdenklichen Zügen, ein «Roadmovie», das fünf unterschiedliche Menschen und Charaktere auf einer Reise zusammenführt. Die Handlung ist kurz erzählt. Fünf im Herzen noch junge Menschen, die sich am Scheidepunkt zwischen dem Rückzug aus dem Erwerbsleben und dem Geniessen vom Rest des Lebens wiederfinden, erhalten – natürlich als Beilage des «Rheintalers» – einen ominösen Flyer, in dem sie eingeladen werden, in Paris an einem «Casting» teilzunehmen. Ohne viel nachzudenken, brechen sie mit unterschiedlichster Motivation aus den unterschiedlichsten Lebenssituationen aus und treten gemeinsam in einem alten Willy’s Jeep die Reise an. Die freilich nach kurzer Strecke an einem Hüter des Gesetzes scheitert, der das Fahrzeug für nicht fahrtauglich erkennt. Da bietet sich – fast wie im Märchen – die Gelegenheit, gemeinsam in einer Senioren-WG eine grosse alte Villa zu bewohnen, aus der dann «eine Kreativoase für verhaltensoriginelle Senioren als Alternative zum Altersheim oder zur Kreuzfahrt» gemacht werden soll. Der Slogan dazu: «Learn To Fly Before You Die.»Theater als Reality-Show: Senioren für SeniorenGanz einfach köstlich, mit welcher Lust und welchem Können die Laienschauspieler auftreten. Teilweise so professionell, dass gerade noch jener Anteil an Amateurtheater erkennbar bleibt, der für den ganz eigenen charmanten Flair einer solchen Vorführung notwendig ist. Ganz einfach köstlich und amüsant, wie sich «die Alten» ständig selbst und ihre Herkunft aus der ‘68er-Generation auf den Arm nehmen. Wie «Diogenes»-Präsident Michel Bawidamann angesichts des auch grossteils angegrauten Premierenpublikums launig bemerkte, glich diese Premiere «fast einer Reality-Show – Senioren für Senioren».Ein vor Lust und Spiellaune sprühendes EnsembleAus dem mit Engagement und Elan agierenden Ensemble ist kaum jemand hervorzuheben. Jeder der Akteure durfte seine Rolle selbst entwickeln und Gags hinzufügen. Dabei glänzte bei der freitäglichen Aufführung besonders Ursula Bardorf, die die meisten Texte geschrieben hatte und erst Stunden vor der Premiere für eine erkrankte Kollegin in die Rolle der ihren Göttergatten verlassenden Barbara eingesprungen ist. Grossartig Lilly Ganter als Ex-Model und alternde Diva Seraina, die noch einmal auf den grossen Durchbruch hofft. Oder Maja Graf als originell-grantelnde Putzfrau Olga, die hinter den Kulissen die Fäden zieht. Chapeau natürlich auch für Remo Sieber als Handwerker und St. Pensionicus für Yvonne Schultheiss und Uli Bramato. Ein vor Lust und Spiellaune sprühendes Ensemble!Um welches aktualisierte Grimm’sche Märchen es sich handelt, wird an dieser Stelle nicht verraten. Hingehen und selber schauen. Am Mittwochabend gibt es noch eine Vorstellung.