Gert BrudererIm Rheintal gibt es einen grossen Graben. Eine Art Röstigraben, mit Tourismusgläubigen auf der einen Seite und Tourismusskeptikern auf der anderen.Der Verein St. Galler Rheintal sieht das Tal als Wirtschaftsregion. Besondere Anstrengungen, auswärtige Gäste als Urlauber zu gewinnen, werden vom Verein nicht unternommen. Tourismusförderer wie Marlies Mattle vom Altstätter «Lindenhof» sagen hingegen: «Eine Tourismusregion sind wir längst.»Wer sich als möglicher Gast für das St. Galler Rheintal interessiert und es in Verbindung mit dem Stichwort «Tourismus» googelt, stösst auf bruchstückhafte Informationen. Er findet zunächst die vier Ortsnamen Altstätten, St. Margrethen, Rheineck und Oberriet.Hervorgehoben sind Altstättens Altstadt, der Ruppenpass, das Museum Prestegg, dann das Festungsmuseum in St. Margre-then sowie das Naturschutzgebiet Eselschwanz. Unter Rhein-eck sind der Alte Rhein, das Fliegermuseum und ebenfalls das Naturschutzgebiet Eselschwanz aufgeführt, unter Oberriet Schloss Blatten und das Gemeindemuseum.Eine andere Webseite lässt wenigstens das Herz von Ornithologen höher schlagen, indem sie Altstätten als Geheimtipp zum Beobachten spezieller Vogelarten vorgestellt bekommen. Aber ernsthaft: Wer bleibt als möglicher Gast des Rheintals auch nur zwei Minuten bei der Stange, wenn ein Begriff wie «Arbeit» ihm auf der Suche nach Urlaubsvergnügungen wie eine Flutwelle entgegenbrandet und die erheblichen Freuden, die ein Urlauber im Rheintal haben kann, sich in der Vorstellung nicht blitzschnell entfalten?Der am Rheintal Interessierte muss mühsam zusammenklauben, was seinen Bedürfnissen entsprechen könnte. Jedenfalls ist bei schneller Suche eine beeindruckende Übersicht nicht zu bekommen – und somit entsteht vor dem geistigen Auge des Interessierten kein unwiderstehliches Bild von dem Tal, das er besuchen könnte. Was ihn hier erwartet, ist nicht leicht erkennbar.Bei Wikipedia ist das St. Galler Rheintal touristisch sogar auf Schlösser, Burgen und Ruinen reduziert, wobei sich nebenbei auch noch erfahren lässt, dass «diverse Sportarten ausgeübt werden können».St. Gallen-Bodensee Tourismus hilft bedauerlicherweise auch nicht wirklich weiter. Denn auf der Webseite der Organisation läuft leider unter «ferner liefen», was das Rheintal anzubieten hat.Initiative Rheintalerinnen, die nun das Heft selbst in die Hand nehmen (siehe Zeitung von gestern), indem sie die Angebote im Tal bündeln, haben offenkundig recht: An der Vermarktung der Rheintaler Angebote zeigt die Tourismusorganisation in St. Gallen sich nicht leidenschaftlich interessiert. Erbringt diese Leistung das St. Galler Rheintal nicht selbst, erbringt sie niemand.Der potenzielle Tourist, der seine Gedanken zufällig oder durch einen besonderen Anstoss aufs Rheintal gelenkt sieht, bekommt heute den unerfreulichen Eindruck vermittelt, er möge sich als Feriengast doch besser nach St. Gallen oder an den Bodensee begeben und dann allenfalls von dort ein Stückchen weiter südlich die eine oder andere Ruine besichtigen – statt umgekehrt die Ferien aufs Rheintal auszurichten und von hier vielleicht einen Abstecher in die St. Galler Stiftsbibliothek und an den Bodensee zu machen.Das Rheintal jedenfalls verhält sich so, als würde es Touristen mit aller Kraft von sich fernhalten wollen. Das könnte zwar auch eine Strategie sein, wäre aber eine eigenartige. Einzelne Initiativen werden auf diese Weise zunichte gemacht. Das ist sehr schade.Wer mit Ideen die Anziehungskraft unserer Gegend stärken hilft, sollte sich nicht noch durch Desinteresse des eigenen Umfeldes bestraft sehen. Er verdiente vielmehr das Bemühen seiner Region, vereint jenen eigenen Reiz zu vermitteln, jenen Gesamteindruck, der viele Hergezogene (und Einheimische) aus tiefster Überzeugung sagen lässt: Hier bleibe ich!Dass dem St. Galler Rheintal als Tourismusregion ein übermässiger Erfolg gelingen könnte, ist zwar unwahrscheinlich. Aber schwarzzumalen ist die falsche Haltung. Die Anziehungskraft unseres Tales mag zu klein sein, um Touristenströme zu bewegen, aber deutlich mehr als bisher müsste sich erreichen lassen. Gerade der Geschäftstourismus könnte doch – in einem Tal, das sich als Wirtschaftsregion versteht – ein guter Ansatz sein.Was unser Rheintal einzigartig macht, das ist sein Sammelsurium an unscheinbaren Schätzen, die enorme Vielfalt auf recht engem Raum – kompakte Schönheit sozusagen.Doch gerade diese Vielfalt würde etwas Gegenteiliges erfordern: eine Einheit, eine Bündelung der Kräfte, nicht das Vorsichhingewurstel einsatzfreudiger Tourismusfreunde, die bei noch so grossem Engagement allein nur scheitern können.Mit der Bündelung der Kräfte und dem Ziel, das Rheintal nebenher auch als Tourismusregion viel besser darzustellen, unternimmt die Rebsteinerin Sybille Graf, unterstützt von Kolleginnen, einen überfälligen Schritt. Vielleicht ist doch noch irgendwann auch hier im Rheintal Schluss damit, als Tourismusförderer gegen eine Wand nach der anderen rennen zu müssen.