28.08.2020

Nicht mehr fremd

Vier Ausländerinnen erzählen, wie sie im Rheintal eine Heimat fanden.

Von Hildegard Bickel
aktualisiert am 03.11.2022
Die Heirat mit einem Schweizer führte die Frauen in das Rheintal. Hier begann die Herausforderung, ein neues Leben zu gestalten. Die Chancen, wie dies gelingt, hängen ab von Sprachkenntnissen, vom Bildungsstand und dem Willen, sich integrieren zu wollen. Die gebürtige Kanadierin Diana Wirz- Sturgeon wohnt seit 31 Jahren in Balgach. «In der Nachbarschaft hielt man mich erst für eine Italienerin.» Sie sprach englisch mit ihrem Sohn und wurde nicht verstanden. «Die Menschen reden lieber Dialekt. Mit mir mussten sie ins Hochdeutsche wechseln.»Sie spürte Zurückhaltung, liess sich aber nicht entmutigen. Heute pflegt die 67-Jährige sowohl einen englischsprachigen Freundeskreis wie auch Kontakte zu Einheimischen. Ihre langjährige Unterrichtstätigkeit als Englischlehrerin vereinfachte es, Anschluss zu finden; auch nach der Scheidung. Später übte sie ihren erlernten Beruf als Röntgenassistentin aus. Es bereitete ihr nie Mühe, als Fachkraft einen Job zu finden. Mittlerweile ist sie pensioniert. «Ich kann es mir nicht vorstellen, nach Kanada zurückzukehren», sagt Diana Wirz. «Ich liebe es, hier zu wohnen.» Sie nimmt teil am gesellschaftlichen Leben und geniesst die Natur sowie die Nähe zu ihrem Sohn und seiner Familie.Karriereknick nach der AnkunftAn einem fremden Ort ein neues Leben zu beginnen, wagte vor vier Jahren Jousseline Enge. Die 37-Jährige aus Venezuela lebt mit ihrem Mann in Balgach und arbeitet in einem Produktionsbetrieb für medizinisches Zubehör. In ihrem Heimatland studierte sie Jura und arbeitete als Anwältin. Es ist ihr bewusst, dass die Anerkennung ausländischer Studienabschlüsse und Berufserfahrungen mit Schwierigkeiten verbunden sein kann. Trotzdem träumte sie erst von einem anderen Job. Nun überwiegt Dankbarkeit. Sie konnte sich gut einarbeiten und wird von ihren Mitarbeitern mit Respekt und Rücksicht behandelt.Dennoch bleibt es der Wunsch von Jousseline Enge, sich beruflich weiterentwickeln zu können, in Richtung soziale Arbeit, auch wenn sie dafür Umwege in Kauf nehmen muss. Dabei darf sie auf die Unterstützung ihres Mannes und dessen Familie zählen. Eine wichtige Rolle bei der Integration spielen ihre Schwiegereltern. Sie vermitteln ihr heimische Gefühle und binden sie in das Vereinsleben ein. Mit ihrem Schwiegervater spielt Jousseline Enge Badminton. «Zuerst musste er mich dazu überreden. Nun bin ich enttäuscht, wenn das Training mal ausfällt.»Bereits manche Hürden musste Pornmanee Rütsche aus Thailand überwinden, die seit 2004 in Balgach lebt. Ihr Schweizer Mann starb wenige Jahre nach der Geburt des gemeinsamen Sohnes. Sie blieb, da sie ihrem Kind Zugang zum Schweizer Bildungssystem ermöglichen wollte. Sie fand Arbeit in einem Restaurant und baute sich ein soziales Netz mit thailändischen und Schweizer Freunden auf. Tauchen Fragen in administrativen Belangen auf, holt die 51- Jährige Hilfe bei Bekannten oder bittet Behörden um Rat. Die Menschen im Rheintal begegnen ihr freundlich, was sie sehr schätzt.Dazu beitragen dürfte ein positives Bild über Thailand. Viele verbinden das Land des Lächelns mit Ferienerinnerungen, fröhlichen Menschen und gutem Essen. Pornmanee Rütsche ihrerseits bemüht sich, Sitten und Bräuche sowie Pflichten in der Schweiz wahrzunehmen. Sie lobt die Infrastruktur, schwärmt von der Landschaft und ärgert sich über Littering. «Wie eine Schweizerin», sagt sie und lacht. «Wenn ich meine Schwester in Thailand besuche, sagt sie jeweils: wir müssen aufräumen, Pornmanee kommt.»In einer vorteilhaften Ausgangslage befinden sich Ausländerinnen, wenn Sprache und Mentalität keine Probleme bereiten. Simone Maier stammt aus Baden Württemberg, ist verheiratet und lebt seit 13 Jahren im Rheintal. «Wenn ich meinen Dialekt spreche, und die Schweizer ihren, verstehen wir uns blendend.» Die 45-Jährige findet Berührungspunkte mit Einheimischen in ihrem Teilzeitjob, als Mutter zu anderen Mamis, in Vereinen und in der Nachbarschaft. Nun bemüht sie sich, den Schweizer Pass zu erwerben.«Wenn man sich in der Gemeinde und in der Schule einbringen möchte, in einem Land, in dem man sich zu Hause fühlt, ist dies der nächste Schritt.» Bürokratische Umtriebe nimmt Simone Maier mit einem Schulterzucken in Kauf. «Das gehört dazu.» Es ist ihr Weg, sich zu integrieren und dazugehören zu wollen.

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