17.06.2021

Neuer Verein gegen Gewalt

Ein neues Kompetenzzentrum und ein neuer Verein betreiben Gewalt- und Medienprävention.

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 03.11.2022
Gert BrudererDer Kopf dahinter ist Simon Stieger aus Lüchingen. Der 33- Jährige hat als Schulsozialarbeiter erlebt, dass Buben sich tendenziell schwerer tun, über Gefühle zu reden, Frustrierendes mit einer positiven Haltung zu verarbeiten und bei Wut auf aggressives Verhalten oder Gewalt zu verzichten. Ausserdem hat er gemerkt, dass viele Kinder bei der Nutzung digitaler Medien überfordert sind – oft, weil dem Thema daheim nicht die nötige Aufmerksamkeit zuteil wird.Respektvoll und fair Dampf ablassenDie Schulsozialarbeit hat nicht genug Personal, um daraus entstehenden Problemen in einer Weise vorzubeugen, wie Simon Stieger es für sinnvoll hielte. Also hat der gelernte Zimmermann und ausgebildete Sozialpädagoge sich zum Anleiter für Kampfspiele ausbilden lassen und vor zwei Jahren nebenberuflich ein neues Angebot geschaffen.Unter der Bezeichnung «Faire Jungs» konnte man «respektvoll, fair und ohne Wettkampfgedanken Dampf ablassen», in einem Raum für «jungs- und männerspezifische Fragen». Zudem waren Lehr- und Betreuungspersonen, Eltern, Männer, Väter und Interessierte eingeladen, sich mit den geschlechtsspezifischen Bedürfnissen von Buben auseinanderzusetzen, sich auf sie einzulassen und sie zu teilen.Verein unterstützt das niederschwellige AngebotNun hat Simon Stieger seine 70-Prozent-Stelle bei der Jugendarbeit Oberes Rheintal auf Ende Juni gekündigt, um seine Nebentätigkeit zur Hauptaufgabe zu machen. Zusammen mit seiner Frau Nadja, die ebenfalls Sozialpä-dagogin und Kampfspielanleiterin ist, betreibt Simon Stieger neuerdings die Fair-Time GmbH. Weil deren Angebot niederschwellig und die Preise möglichst moderat sein sollen, andererseits aber ein ausreichendes Einkommen nötig ist, steht hinter dem Projekt ein neu gegründeter Verein mit dem Namen Pro Fair-Time. Dieser erfüllt einen dreifachen Zweck. Ein Verein kann bei Stiftungen Gelder beantragen, übt eine Kontrollfunktion aus und bedeutet für Simon und Nadja Stieger fachliche und ideelle Unterstützung.Vereinspräsidentin Marion Heeb hat als Sozialpädagogin beim Aufbau der Jugendarbeit im oberen Rheintal mitgewirkt und ist heute bei den Sozialen Diensten als Beiständin tätig. Vizepräsidentin und Aktuarin Eveline Pfister ist Schulleiterin bei der Primarschule Rebstein, Kassier Daniel Schelling ist Leiter des Altstätter Kinder- und Jugendheims Bild sowie Stadtrat. Simon und Nadja Stieger wirken als Beisitzende mit.Einen inneren Schiedsrichter vermittelnIn einem neuen «Kompetenzzentrum für soziales Lernen» soll man sich fehlende soziale Fähigkeiten individuell und unter Einbezug des ganzen sozialen Umfeldes aneignen können. Wer ein Instrument lernen wolle, besuche die Musikschule, sagen Simon und Nadja Stieger; es gebe aber keinen Ort, an dem sich persönliche soziale Kompetenzen individuell und vor allem vorbeugend lernen und trainieren lassen.Zum Beispiel geht es darum, Kindern oder Jugendlichen einen inneren Schiedsrichter zu vermitteln, das Gewissen zu schärfen und so die Bereitschaft zur Übernahme von mehr Selbstverantwortung zu fördern.Dazu gehört der verantwortungsvolle Gebrauch digitaler Technik. In seiner Zeit als Schulsozialarbeiter hat Simon Stieger nicht nur erfahren, dass Eltern recht blauäugig sein können, sondern auch eine Neigung zur Tabuisierung festgestellt. So werde ein problematischer Gebrauch digitaler Medien oft nicht als solcher erkannt.Gute Tricks helfen Konflikte vermeidenNatürlich kennen Stiegers ebenso einfache wie hilfreiche Tricks zur Vermeidung von Konflikten. So sollen zum Beispiel die eigenen Kinder das Videospiel nicht nach einer bestimmten Dauer, sondern nach einer bestimmten Anzahl Spiele beenden; so wird von niemandem erwartet, dass er mittendrin abbrechen muss. Sei trotzdem eine Dauer vorzugeben, empfehle es sich, die Zeit zu veranschaulichen, sagt Simon Stieger – und stellt eine riesige Sanduhr auf den Tisch. Kinder hätten ja kein gutes Zeitgefühl, aber eine Sanduhr führe ihnen vor Augen, wann es beispielsweise Zeit sei, ins Bett zu gehen.Nadja und Simon Stieger waren in gleicher KlasseDas neue «Kompetenzzentrum für soziales Lernen» widmet sich der Beratung und Elternbildung, befasst sich mit der Gewaltprävention beispielsweise in Schulen und führt Workshops durch, in denen es ums Selbstbewusstsein von Buben und Mädchen oder um die Stärkung der Beziehung zwischen Vater und Sohn gehen kann.Simon und Nadja Stieger haben drei Kinder im Alter von zweieinhalb bis zehn Jahren, ein viertes lebt als Pflegekind in der Familie. Nachdem Simon Stieger in Kanada während eineinhalb Jahren Blockhäuser gebaut hatte, begann er in der sozialen Institution Rhyboot, wo er seine Frau kennenlernte. Nadja Stieger arbeitet heute mit einem 50-Prozent-Pensum bei Pro Infirmis. Hier hat sie die Leitung für das Probewohnen und die Koordination für das betreute Wohnen übernommen. Aktuell besucht sie eine Weiterbildung als Selbstbehauptungstrainerin für Mädchen.In ihrer sozialpädagogischen Ausbildung besuchten Simon und Nadja Stieger die gleiche Klasse. Eine kleine persönliche Anekdote aus jener Zeit ist wirklich hübsch: Direkt aus dem Schulzimmer machten Simon und Nadja Stieger sich gemeinsam auf den Weg in den Gebärsaal. HinweisEröffnet wird das Kompetenzzentrum am 19. August.www.fair-time.ch

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