Die Suche nach einer Lehrstelle für den nächsten Sommer wurde durch Covid-19 erschwert. Die 14-jährige Achtklässlerin Nena Ulmann vom Schulhaus Feld in Altstätten und ihre Klassenlehrerin Kerstin Heeb berichten von ihren Erfahrungen.Kerstin Heeb, ich hatte meiner Berufswahl nicht die nötige Bedeutung verliehen. Mangels Fantasie wählte ich das KV. Später sah ich, dass es für mich Spannenderes gegeben hätte. Sind Ihre Schüler motivierter?Kerstin Heeb: Solche Schüler gibt’s auch. Nena dagegen war schon früh auf der medizinischen Schiene und konnte daher gezielter suchen.Nena Ulmann: Meine Schwester ging auch nicht oft schnuppern. Meine Mutter hat gesagt: «Du sollst es besser machen.»Wolltest Du schon immer einen medizinischen Beruf ergreifen?Nena: Nein, mein Vater ist Maurer. Ich dachte, das wäre noch ein cooler Beruf. Auch als Malerin und Köchin hatte ich probeweise gearbeitet.Das ist ein weiter Weg zu einem medizinischen Beruf.Nena: Als Reiterin hatte ich einige Unfälle. Im «Notfall» kennen sie mich mit Vornamen – deshalb wollte ich im Spital schnuppern. Das ging aber nicht. Daher schnupperte ich in einer Arztpraxis als Medizinische Praxisassistentin (MPA). Später arbeitete ich probeweise als Fachfrau Gesundheit (FaGe). Da wusste ich: Diesen Beruf möchte ich erlernen. Das ist eine dreijährige Ausbildung. Als Fachfrau Operationstechnik, mein aktuelles Fernziel, könnte ich eine Zusatzausbildung machen.Was ist der Unterschied zwischen MPA und FaGe?Nena: Als FaGe bin ich vor allem in der Pflege tätig, MPA umfasst mehr Arbeiten im Labor. Dafür braucht’s mehr medizinisches Wissen, aber auch als FaGe sind MPA-Kenntnisse nützlich.Wo hast Du diese Berufe kennengelernt?Nena: Als MPA war ich im Medizinischen Zentrum Appenzell. Als FaGe habe ich bei der Spitex geschnuppert. Kurz vor dem Lockdown war ich im Altersheim Feldhof in Oberriet.Heeb: Wir Lehrer sagen den Schülern: Schnuppern, schnuppern, schnuppern – gerade auch in den Sommerferien. Das gegenseitige Kennenlernen ist das Wichtigste: Es ist wertvoller, wenn jemand zeigen kann, wie er ist und arbeitet, als wenn er nur ein Blatt Papier abgibt.Nena: Genau, wenn ich das Team kennenlerne, fällt es mir leichter, mich dort zu bewerben.Wie viele Schnuppereinsätze hattest Du schon?Nena: Das weiss ich nicht. Frau Heeb, können Sie bitte auf der Liste nachschauen?(Die Lehrerin zählt die Stationen auf.)Nena: 13!Du hast gezählt! Dann warst Du nicht oft in der Schule.Heeb: Nena leistete den überwiegenden Teil ihrer Schnuppereinsätze in den Ferien – schon von der 1. Klasse Oberstufe an. Sie ist eine der Fleissigsten, so viele Einsätze sind die Ausnahme. Es gibt auch solche, die in unserer Schnupperwoche zum ersten Mal schnupperten.Von der Schule wird auch Theorie zur Berufswahl vermittelt. Ist das für Dich weniger wichtig, weil Du schon weisst, was Du willst?Nena: Ja, weil ich meine Berufswahl schon früh getroffen habe.Heeb: Im ersten Jahr der Oberstufe geht es darum, seine Stärken und Schwächen kennenzulernen. Wer die entsprechenden Fragebogen gewissenhaft ausfüllt, erhält wichtige Rückschlüsse. Es gibt aber auch solche, die auf «berufsberatung.ch» die Berufsbeschreibungen anschauen und dann sagen: «Das könnte mir gefallen, in diesem Bereich schnuppere ich mal.»Gehört die Bewerbung an sich auch zum Schulstoff?Heeb: Klar – fächerübergreifend im Deutsch und der Berufswahl. Dazu gehören auch Dinge wie: Wie mache ich einen guten Eindruck? Etwa kein Kaugummi im Mund oder bei einer Stelle auf dem Bau nicht in Flip-Flops erscheinen.Aber am Schluss liegt’s am Schüler oder der Schülerin.Heeb: Letzte Woche hielt Jugend- und Erwachsenenbildner Gregor Loser bei uns einen Vortrag. Es nützt, wenn die Schü-ler mal von einem Aussenstehenden hören, dass nicht die Lehrer oder Eltern verantwortlich sind für die Lehrstellensuche. Die Auseinandersetzung mit sich selbst ist der erste Schritt zu einer geglückten Berufswahl. Wer das nicht ernsthaft getan hat, bekam wegen Corona ein Problem. Aber man kann nicht verallgemeinern: Es gibt auch Schüler, die trotz grosser Anstrengungen noch zu keinem Berufswunsch gekommen sind.Nena, fängst Du jetzt an, Bewerbungen zu schreiben?Nena: Hab ich schon. Ich hätte in einem Altersheim sogar schon ein Bewerbungsgespräch gehabt, das wegen Corona aber abgesagt wurde. Nun kann ich in den Sommerferien nochmals dort schnuppern.Siehst Du Deine berufliche Zukunft im Altersheim?Nena: Ja, inzwischen schon. Am Anfang hatte ich aber gesagt, ich wolle nicht mit alten Leuten arbeiten. Es war mir nicht wohl mit Beeinträchtigten. Die Erfahrungen lehrten mich aber, dass das nur eine Einbildung war.Nena, als Covid-19 schon ein grosses Thema war, hast Du im Altersheim geschnuppert. War es Dir nicht mulmig, mit Patienten aus der Risikogruppe zu arbeiten?Nena: Doch, am Anfang schon. Aber im Nachhinein bin ich froh, dass ich noch vor dem 11. März schnupperte. Der geplante Einsatz ab 19. März fiel dann aus.Heeb: Es gab schon vorher Altersheime, die keine Schnupperlehrlinge nahmen. Eine Schulkollegin von Nena war davon auch betroffen.Ihr Schulleiter Sandro Hess setzt sich im Kantonsrat dafür ein, dass es einen Stichtag gibt, vor dem Lehrverträge nicht unterschrieben werden dürfen.Heeb: Das wäre gut, weil die Schüler mehr Zeit erhielten. Das Problem ist, es müsste sich jeder daranhalten. Und das ist schwer vorstellbar. Ich verstehe die Betriebe ja: Wenn ich jemanden habe wie Nena, die mich überzeugt, will ich sie verpflichten. Wenn nicht, unterschreibt sie vielleicht zwei Wochen später an einem anderen Ort. Aber es ist schon heftig, die Verträge werden immer früher unterschrieben: Ich kenne eine Sekundarschülerin, die MPA lernt. Sie hatte ihren Lehrvertrag für Sommer 2020 schon seit den Frühlingsferien 2019.Nena, Du möchtest Deinen Lehrvertrag sicher auch möglichst früh unterschreiben?Nena: Ja, sicher. Dann kann ich mich auf anderes konzentrieren.Besteht nicht die Gefahr, dass Schüler mit Lehrvertrag faul werden?Heeb: Viele Lehrbetriebe wollen inzwischen das letzte Zeugnis sehen. Und es ist jedenfalls kein guter Start, wenn jemand dem Chef viele ungenügende Noten zeigen muss.Nena: Ein gutes Abschlusszeugnis bringt mir auch später etwas – wenn ich mich für eine weitere Stelle bewerbe, muss ich dieses Zeugnis ja auch zeigen.Heeb: Es ist eine Einstellungssache. Die Ausbildung geht ja nach der Schulzeit weiter. Sie wird sogar strenger: Von den Schülern wird mehr Selbstständigkeit verlangt. Oder sie haben mal drei Prüfungen an einem Tag, während wir auf eine bessere Verteilung achten. Natürlich sind nicht mehr alle gleich motiviert. Aber wenn man versteht, dass es nachher weitergeht und sogar noch einen Zacken anzieht, nutzt man die verbleibende Schulzeit. Schnuppern auch in der Pflege wieder möglichJugendliche, die per 2021 eine Lehrstelle suchen, waren vom beschränkten Schnupperangebot während des Lockdown betroffen. Namentlich in medizinischen und Pflege-Berufen war das Schnuppern während zwei Monaten nahezu unmöglich.
Bereits im Mai hat sich die Lage entspannt, inzwischen bestehen (fast) alle Angebote wieder, natürlich immer unter Einhaltung der Schutzbestimmungen. Schon seit Anfang Mai gibt es in der Spitalregion Rheintal – Werdenberg – Sargans wieder Schnupperangebote. Altersheime wie das Haus Viva in Altstätten folgten ab Ende Mai. Am längsten dauerte der Schnupper-Lockdown in Behindertenwohnheimen, in denen vor allem Fachleute Betreuung Behinderte (FaBe) ausgebildet werden. Aber sowohl die Stiftung Waldheim als auch das Rhyboot bieten seit dieser bzw. letzter Woche wieder Schnupperstellen an. (ys)