«Dort, wo so viele Paletten vor dem Haus stehen», wohne er, sagt Nando Sieber vor dem Gespräch. Die Beschreibung hätte besser nicht sein können; auf dem Vorplatz in Altstätten stapeln sich Paletten, die Nando Sieber später befährt. Er nimmt meist gar keinen oder maximal zehn Meter Anlauf, zieht mit den Armen, verlagert sein Gewicht, setzt das Vorderrad auf ein Hindernis, dann das Hinterrad oder umgekehrt.In der Radsportart Trial geht es darum, den Boden und die Hindernisse nur mit den Pneus zu berühren und nie abzustehen, das gibt Abzug. Bei Wettkämpfen müssen die Athletinnen und Athleten mehrfach einen Parcours zurücklegen, der aus Steinen, aber auch Betonelementen, Baumstämmen oder aus Paletten besteht. Sie können fünfmal zehn Punkte holen – die Richter sind aber streng, erkennen jede Berührung.Zweiter Platz in Bévilard hatte einen enormen WertEin solcher Wettkampf fand am letzten Wochenende in Bévilard im Berner Jura statt. An diesem zeigte Nando Sieber eine starke Leistung, die mit dem zweiten Rang belohnt wurde. Und nicht nur damit: Er darf die Schweiz auch an den Jugendweltspielen im Juli in Wadowice, Polen, vertreten. Das ist ein Meilenstein in seiner noch jungen sportlichen Laufbahn, wird er dort erstmals an einem internationalen Event an den Start gehen.Begonnen hat die Trial-Geschichte von Nando Sieber vor gut drei Jahren. Auf Youtube hat er gesehen, wie Sportler in Städten Shows mit verschiedenen Tricks zeigten, Street Trial hiess dies. «Genau das wollte ich unbedingt auch können», so Nando Sieber. Es dauerte ein Weilchen, bis er ein Velo bekam, dann verbrachte er jede freie Minute auf diesem Sportgerät, das leicht ist und nicht einmal einen Sattel hat. Er fuhr im Wohnquartier herum, im Städtli, «es hat mich richtig gepackt».Und mit der Zeit entstanden sportliche Ziele. «Ganz nur zum Plausch wollte ich nicht Trial fahren, ich wollte auch Wettkämpfe bestreiten.» So schrieb der Teenager eine Nationalfahrerin und Trainerin aus Basel an. Trial-Clubs gibt es in der Nähe nicht, die Szene ist eher in der Westschweiz zu Hause. Mit Basel aber klappte es; Nando Sieber bestreitet heute unter den Farben dieses Clubs Wettkämpfe, obwohl er nur wenig in Basel anzutreffen ist.Auch Mentaltraining gehört zum ÜbungsprogrammAcht bis zehn Stunden pro Woche trainiert Nando Sieber zu Hause, Übungen auf dem Velo seien zentral. Dazu kommt aber auch Ausdauertraining mit dem Rennvelo, Joggen und Mentaltraining mit einer Leiterin. Anhand von Bilateralmusik, die Klänge wandern von einem Ohr zum anderen, weckt er beide Gehirnhälften. Auch Yoga und Atemübungen gehören dazu. Es ist im Trial extrem wichtig, stets konzentriert zu sein. Jede Sekunde Unaufmerksamkeit kann wichtige Punkte kosten.Konzentriert zu sein ist auch deshalb wichtig, weil jeder Wettkampf anders ist als der vorherige, jeder Ort und jedes Training. «Diese Vielfalt ist definitiv der Grund, weshalb ich Trial so liebe», sagt Nando Sieber.Konkurrenz ist da, aber man gönnt sich ErfolgeIm Trial fühlt er sich deshalb besonders Wohl, weil es wie eine Familie ist. Die Athletinnen und Athleten kennen sich und helfen sich gern. Bei den Wettkämpfen gebe es natürlich Konkurrenz und alle gewinnen gern, sagt er. Aber die Schweizer Szene ist eher klein, was auch daran liegen könne, dass der Sport nicht olympisch ist.Das mindert die Sichtbarkeit von Trial, ebenso mindert es die finanzielle Unterstützung. Sponsoren zu finden ist schwierig, leben kann man vom Sport nicht. Dennoch stehen nicht alle dem Gedanken, olympisch zu sein, positiv gegenüber. «Wird Trial einmal olympisch, könnte viel davon verloren gehen, was den Sport heute ausmacht. Vor allem der grosse Gemeinschaftssinn», sagt Nando Sieber.Die Situation erinnert ans Skateboarden, das sich mit dem Debüt an Olympia in Tokio verändert hat; es gibt mehr Athleten, mehr Leistungsdruck, der Gemeinschaftsgedanke ist kleiner geworden. Einige Top-Skater haben nicht an den Olympischen Spielen teilgenommen, weil sie sich nicht damit identifizieren konnten.«Ich will hier in meinem Leben weit kommen»Dennoch ist natürlich auch Trial keine reine Wohlfühloase. Nando Sieber verfolgt hohe Ziele, will einmal Schweizer Meister werden und weltweit Finals erreichen. «Da mal unter die besten sechs zu fahren, wäre schon sehr schön», sagt er, «und zwar, weil ich es will, für mich. Ich will hier in meinem Leben weit kommen.»Die Chance, diesem Ziel näherzukommen, bekommt er in Polen. Beim ersten internationalen Auftritt setzt er sich nicht selber unter Druck: «Ich will die beste Leistung abrufen, setze mir aber kein konkretes Rangziel.» Die Konkurrenz ist um einiges grösser als in der Schweiz, kommt auch aus Japan und den USA. Schon die Teilnahme ist für den 15-Jährigen, der nach dem Sommer in Rorschach eine Lehre als Fahrradmechaniker beginnt, ein Erfolg. Und die Erfahrung, an einem Event dieser Grössenordnung teilgenommen zu haben, wird Nando Siebers Ambitionen ohne Zweifel einen Schub verleihen.