13.05.2020

Nach Corona «schlecht zwäg»

Fünf Wochen war Coronapatient Roger Wild von der Familie getrennt. Das Virus hat in ihm gewütet.

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 03.11.2022
Mit sechzig hat er sich durchchecken lassen und erfreut erfahren dürfen, er sei kerngesund. Das war vor knapp zwei Jahren.Der Altstätter arbeitet im Aussendienst einer namhaften Firma, die Krankenhäuser, Kliniken und Altersheime mit Wäsche beliefert. Wo er sich mit dem Coronavirus angesteckt hat, weiss Roger Wild nicht.Seine Frau Andrea, eine Sekundarlehrerin, hatte es ebenfalls. Zwei Wochen verbrachten sie in Quarantäne. Während die Krankheit bei ihr einen milden Verlauf nahm, erwischte es ihn mit voller Wucht.Bewusstlos zusammengebrochenAm Mittwoch, 25. März, war Roger Wild plötzlich unwohl, tags darauf brach er im Badezimmer bewusstlos zusammen – nachdem er starken Schwindel, Kopfweh und Schweissausbrüche gehabt hatte. Der Notarzt kam, der Patient wurde ins Altstätter Spital gebracht. Der Coronatest verschaffte Klarheit: Roger Wild trug das Virus in sich. Diesen Bescheid bekam er am Abend des 26. März.Die Zeit in Quarantäne war von Unwohlsein und Fieber geprägt. Am Dienstagmorgen, 31. März, ging es Roger Wild so schlecht, dass er ins St. Galler Kantonsspital gebracht wurde. Hier hatte er tagelang hohes Fieber, etwas unter 40 Grad. «Ich erlebte alles wie hinter einem Schleier», sagt er heute. Er konnte sich an nichts richtig erinnern, wusste auch die Namen der Menschen nicht, die ihn betreut hatten und denen er dankbar ist. Er musste nach den schlimmsten Tagen viel erfragen.Wenigstens musste er nicht auf die Intensivstation verlegt werden. In Absprache mit seinem Sohn Matthias, Medizinstudent kurz vor dem Staatsexamen, wurde Roger Wild ein Malariamittel gespritzt.Noch immer Atemnot beim TreppensteigenAuch als das Fieber nachliess, ging es dem 62-Jährigen schlecht. Er hatte keinen Geruchssinn, keinen Appetit, litt unter Kopfweh, und Alpträume plagten ihn. Nach zwei Wochen im Spital war er immer noch «schlecht zwäg». In drei Wochen nahm er 14 Kilo ab. Er sagt: «Leider am falschen Ort.» Den Humor hat er nicht verloren.Dem Spitalaufenthalt folgten drei Wochen in der Reha Walenstadtberg. In einem Pinzgauer wurde er am 14. April von zwei Zivilschützern und einer medizinisch ausgebildeten Person vom Spital dorthin gefahren.Seit dem 4. Mai ist er wieder zu Hause. Die Treppe im Haus habe er nach der Ankunft «fast nicht geschafft». Sicher auch dank intensiver Physiotherapie seit einer Woche sind gewisse Fortschritte erkennbar. Atemnot beim Treppensteigen hat Roger Wild aber noch immer.Vor der Krankheit mühelos auf den Chapf gejoggtEindruck machen zwei Röntgenbilder, zwischen denen ein paar Wochen liegen. Das zweite Bild zeigt, wie das Virus gewütet hat. Selbst der Arzt habe das Adjektiv «krass» verwendet. Roger Wild erinnert sich, dass er an jenem Tag frustriert gewesen sei. Der Sportbegeisterte, der sich in den Neunzigerjahren sportlichen Herausforderungen wie dem 100-km-Lauf von Biel stellte und einen 78 km langen Alpinmarathon mit 2300 Höhenmetern bestritt, joggt noch immer sehr gern, fährt Ski, macht Langlauf.Vor Corona lief er mühelos von Marbach auf den Chapf, heute muss er als Musiker zusätzlich Luft holen, wenn er auf der Mundharmonika ein Bluesstück spielt. Als Mitglied der Band Cool Change spielt Roger Wild zudem Saxofon, irische Flöte, Uillean Pipe und Klavier. Musik dient heute auch als Therapie.Sechs Wochen nach seinem Zusammenbruch kann Roger Wild auf seinem täglichen Spaziergang geradeaus oder abwärts wieder ein klein wenig laufen – zwei-, dreihundert Meter, mehr geht nicht. Er soll ja auch nicht übertreiben. Roger Wild sagt, dass er sehr viel wettzumachen habe.Die Enkelkinder lange nicht gesehenAnfang Juni wird der Altstätter, wie es von Anfang an geplant war, am Unispital Zürich einen renommierten Lungenarzt konsultieren, um zu sehen, wie es steht. Heute Donnerstag nimmt Roger Wild die Arbeit wieder auf, mit einem Teilpensum von 20 Prozent – im Homeoffice, wo er schon vor seiner Erkrankung mehrheitlich gearbeitet hatte. Das Pensum soll schrittweise erhöht werden, bis er nächsten Monat aller Voraussicht nach wieder zu hundert Prozent arbeiten wird.Roger Wild geht davon aus, nicht mehr ansteckend zu sein. Trotzdem nimmt er vorsichtshalber Rücksicht auf die andern. Beim Einkaufen zum Beispiel trägt er immer eine Maske. Besonders freut er sich darauf, seine Enkelkinder wieder zu sehen. Die letzte Begegnung ist wegen Corona zwei Monate her. ZweittextDie weiterhin bestehende Gefahr nicht unterschätzenWir Rheintaler haben das vom Coronavirus verbreitete Leid bisher vor allem aus der Ferne miterlebt. Kaum jemand kennt einen betroffenen Menschen. Dies birgt die Gefahr zunehmender Nachlässigkeit bei der Einhaltung der bewährten Schutzmassnahmen.An deren hohe Bedeutung erinnert im Informationsblatt des Bezirks Oberegg (Ausgabe 3/2020) der in Diepoldsau praktizierende Arzt André Dietschi. Auch er erkrankte an Corona. Das war in der zweiten März-Hälfte; heute ist André Dietschi laborbestätigt immun gegen das Virus.Mit der Erkrankung widerfuhr ihm etwas, womit er (wie so viele) «nicht gerechnet» hatte. Ausser Dietschi «wurden noch drei weitere Mitarbeiterinnen in der Praxis positiv getestet», die keinen Kontakt zu ihm hatten, «was u.a. eine erhebliche psychische Belastung für das ganze Team bedeutete», ist im Informationsblatt «Rondom de St.Anton» zu lesen. Den Arzt «traf der Infekt massiv», seine ebenfalls infizierte Frau «hatte glücklicherweise nur ganz leichte Symptome». André Dietschi erinnert an die Wichtigkeit des Distanzhaltens und der Hygiene.Der Beitrag endet so: «Corona ist nicht harmlos, ist einschneidend für einen selbst und sein Umfeld! Umso wichtiger ist es, die Empfehlungen unbedingt einzuhalten, lieber einen Tag länger zu Hause zu bleiben, das Ganze sicher nicht auf die leichte Schulter zu nehmen.» (gb)

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