05.03.2020

Muss Kunst nicht wehtun?

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 03.11.2022
Herrje, konnte man kürzlich denken, es nimmt kein Ende mit der Herabsetzung des Auer Adler-Kreisels. Immer wieder taucht er irgendwo in den Schlagzeilen auf. Ende Januar ging er in einer Umfrage im «Blick» als «hässlichster Kreisel der Schweiz» hervor – mit grossem Abstand vor dem Objekt, das am zweitschlechtesten abschnitt. Und zu allem Elend verbietet nun sogar das Bundesgericht eine (in Laax vorgesehene) Kreiselkunst, die jener in Au sehr ähnlich ist. (Mehr dazu später.)Als Auer kann man sich sagen: Immerhin ist die Gemeinde immer wieder landesweit im Blickfeld! Und natürlich ist es besser, mit Kreiselkunst Aufsehen zu erregen statt mit den Bordellen, die auch schon im Fokus standen wie im November in einem Artikel der NZZ.Extrem umstritten ist der Auer Kreisel nicht. Leidenschaftliche Fürsprecher sind keine in Sicht. Es scheint ausser Hardcore-Gegnern bloss Gelassene zu geben, denen der «Knotenpunkt» (wie das Werk heisst) herzlich egal ist. Ausserhalb der Gemeinde hat die mit Worten versehene, abends beleuchtete Rostkon-struktion auch schon Anerkennung gefunden. Bei einer Umfrage von Radio DRS 3 vor bald sechs Jahren hatte es der «Knotenpunkt» in die Auswahl der «kreativsten Kreisel der Schweiz» geschafft, allerdings ohne danach auch gewählt zu werden. Auch die Herausgeber des ersten Kreiselkunstkalenders erwiesen dem Auer Objekt mit der Aufnahme in diesen Kalender Respekt.Als die Kreiselkunst noch nicht ganz fertig war und bereits harsche Kritik auf den damaligen Gemeinderat und speziell den Gemeindepräsidenten jener Zeit niederprasselte, war den Kritikern des Kreiselkunstwerks forsch entgegengehalten worden, man urteile vorschnell. Besser würde zugewartet, bis das Werk vollendet sei und sich in seiner ganzen künstlerischen Pracht entfalte. Heute tut es das.Obschon schwergewichtig, wirkt es wie ein locker hingepflatschtes Exponat, das irgendwie doch von der Leichtigkeit des Lebens kündet und wahlweise als originell, kurios, aufsehenerregend, eindrucksvoll oder missraten gelten kann. Es soll in Au zumindest ein paar Menschen geben, die der Entfernung des Knotens entgegenfiebern und sich diese Trennung so sehnlich wünschen, als stünde das als Hundekot diskreditierte Kreiselkunstwerk dem Glück der Gemeinde und ihrer Einwohnerinnen und Einwohner im Weg. Betrachten wir die Sache, Jahre nach der Installation, am besten einmal völlig nüchtern! Dann drängen sich folgende Fragen auf:Heisst es nicht, Kunst müsse wehtun?Angenommen, die Entfernung der schmerzhaften Kunst würde durchgesetzt (nun vielleicht sogar mit Hilfe des Bundesgerichts; aber dazu später mehr): Gäbe es eine Anstandsfrist für die Beseitigung von teuer angeschaffter Kunst, eine minimale Zahl von Jahren, in denen etwas Kreatives aus Respekt vor den Beschaffern (und dem Kunstwerk) bleiben muss?Sollte der Knoten tatsächlich entfernt werden – was dann?Könnte Au sein (rechtlich überhaupt zulässiges?) Kreiselkunstwerk einer anderen Gemeinde mit Gewinn verkaufen? (Sollte Altstätten die Ostumfahrung bekommen, böten sich zwei neu entstehende Kreisel mit gähnender Leere als Standort an.)Hätte Au nach dem Abschied vom Knoten Lust auf neue Kunst im Kreisel oder wäre mit einer leer bleibenden Kreiselfläche ein symbolhaftes Zeichen zu setzen? (Leidet der moderne Mensch nicht an innerer Leere?)Wäre eine (landesweit beachtete) Verbindung vom Einst ins Heute zu begrüssen? (Der frei gewordene Kreiselplatz könnte mit sechs Fussgängerüberführungen zu einer grossen Spinne umgestaltet werden und mit einem Hundeversäuberungsplatz in ihrer Mitte an den «Knotenpunkt» erinnern.)Oder käme als Nachfolgekunst ein (wie der «Knotenpunkt») protzig-überdimensionierter Geldhaufen in Frage? (Titel: «Flott zum Fenster rausgeworfen»)Angenommen, ein Geldhaufen würde den Rostknoten ersetzen: Liessen sich die ins Metall gefrästen Worte (Arbeitsplatz, Lebensraum, Heimatort, Knotenpunkt) nicht 1:1 auch aufs Geld anwenden? Apropos Worte: Die ähnlichen Schriftzüge im Laaxer Kreiselkunstwerk wurden vom Bundesgericht für unzulässig erklärt. Das Gericht betrachtet die Schriftzüge nicht wie die Gemeinde Laax bloss als Gestaltungselemente, sondern sieht die Gefahr einer Ablenkung. Besonders vehemente Gegner der Auer Kreiselkunst, die der Meinung sind, das Eisenknäuel sei ein Gräuel, könnten nun den Zeitpunkt für gekommen halten, die Entfernung des Auer Knotens mit rechtlichen Mitteln zu fordern. Würde das Bundesgericht auch dem Auer Kunstwerk den Makel anlasten, es lenke ab? Oder ginge das Bundesgericht davon aus, dass die Verkehrsteilnehmer eifrig darauf achten, den Blick von dieser Kreiselkunst aus Rücksicht aufs eigene Seelenheil fernzuhalten?Ganz gleich, was man vom «Knotenpunkt» hält – etwas beweist er sehr schön: Gewohnheit muss keine Abstumpfung zur Folge haben! Selbst nach jahrelanger Existenz kann das mehrheitlich verpönte, im Grunde jedoch ganz und gar unwichtige Ding das Blut in Wallung bringen. Ist das nicht der beste Grund, den Knoten zu verteidigen und zu bewahren, ihn zu hochwertiger Kunst zu erheben und ihm in ewiger Hassliebe verbunden zu bleiben?Gert Bruderer

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