Als der Bundesrat am 13. März bekannt gab, dass in den Schulen kein Präsenzunterricht mehr stattzufinden hat, traf das nicht nur die Volksschulen. Auch die Musikschulen dürfen seit Montag letzter Woche weder Einzel- noch Gruppenunterricht in Schulzimmern erteilen. «Ich stand mit dem Problem allein da», sagt Roland Stillhard, Schulleiter Musik im Zentrum – Musikschule Mittelrheintal. «Wir sind technisch nicht so gut eingerichtet wie die Volksschule.» Die Software «Microsoft Office 365» benutzt die Musikschule bisher zwar intern, nicht aber im Kontakt mit Schülerinnen und Schülern. Primarschüler sind geübt darin, sie anzuwenden, aber erst ab der fünften Klasse.Den Instrumentalunterricht womöglich bis zu den Sommerferien ruhen zu lassen, kam nicht in Frage. Also schloss sich Roland Stillhard mit seinen Berufskollegen Rainer Thiede (Musikschule Am Alten Rhein) und Roland Aregger (Musikschule Oberrheintal) kurz. Die drei Musikschulleiter überlegten sich ein Konzept, um Instrumente via Internet unterrichten zu können. Nach nur einer Woche funktioniert es. «Im öffentlichen Raum erklingt keine Musik mehr. Bei uns jetzt nicht physisch, sondern digital.» Und dies auf die individuelle Art jedes Lehrers oder jeder Lehrerin.Innert 24 Stunden hatten Roland Stillhard und sein Team Kinder und Eltern via E-Mail informiert, dass der Musikunterricht in neuer, digitaler Form fortgesetzt wird. «Die Kinder sollen weiter Freude am Musizieren haben.» Dies könne gerade in der Isolation die Seele aufmuntern.Am Wochenende bereiteten alle Lehrpersonen der drei Musikschulen den Heimunterricht vor. Sie mussten kreativ sein, ein einheitliches System steht ihnen nicht zur Verfügung. Auch im Ober- und im Unterrheintal engagierten sich die technisch erfahrenen wie die weniger technisch affinen Lehrkräfte. Am Montag letzter Woche startete der Fernunterricht. Mit Ausnahme der Musikschulchöre werden alle Schülerinnen und Schüler erreicht. Sie lassen sich bis auf wenige Ausnahmen von der neuen Form mitreissen.«Ich sehe nur Vorteile», sagt Roland Aregger. Via Skype werden die Kinder zum Beispiel 1 : 1 unterrichtet, als würde die Lehrkraft daneben stehen. «Es werden auch neue Qualitäten entwickelt.» Schüler zeichnen ihr Vorspiel als Audio-Datei auf und korrigieren sich, bevor sie die Aufnahme ihrem Lehrer schicken. Das ist mehrmals pro Woche möglich.«Toll, dass ihr das macht!»: Diese Rückmeldung hörte Rainer Thiede mehrfach von Eltern, Schülern und Lehrern. Er sieht in dem jungen Konzept einen «super Erfolg». Via Audiodatei online zu coachen, motiviert Lehrer wie Schüler sehr.Rhythmische Instrumente aus der KücheCarlo Lorenzi zum Beispiel unterrichtet Schlagzeug. Im Home Office hat er seine Küche nach potenziell rhythmischen Gegenständen durchforstet. Im heimischen Garten bringt er sie zum Klingen, zeichnet Clips auf und animiert seine Schützlinge, ihm via geläufiger elektronischer Medien nachzueifern. Noten werden nicht kopiert, sondern per E-Mail versandt. So haben die Kinder immer wieder eine neue Aufgabe im Posteingang.«Die meisten Kinder haben richtig Spass am Musizieren daheim entwickelt – mehr als im normalen Schulalltag», sagt Roland Stillhard. Das mildert auch die negativen Begleiterscheinungen der Isolation. «Unsere Lehrer werden fast bombardiert mit Clips.» Möchten Kinder sie weiterschicken, gibt Roland Stillhard zu bedenken, dass dies nur mit Einverständnis der Eltern erlaubt ist. «Ein Vorspiel ist an die Adresse der Lehrer gerichtet.»Stillhard fordert ein MusikschulgesetzRoland Stillhard denkt schon an die Zeit nach der Coronakrise. Langfristig soll die Musikschule sich mit den Schülern innerhalb von «Office 365» vernetzen. «Wir brauchen einen geschlossenen Kreis, der auch dem Datenschutz gerecht wird.»Musikalische Bildung sei im Moment ein gesetzloses Wirrwarr, sagt Roland Stillhard. Er sieht einen Handlungsbedarf auf politischer Seite. So wie die Volksschulen hätte auch er gern Unterstützung erfahren. Alle Musikschulen im Kanton St. Gallen sind derzeit auf sich gestellt, jede kann oder muss für sich selbst entscheiden. «Für die musikalische Bildung wäre es wichtig gewesen, hätten wir früher Informationen vom Amt für Volksschule bekommen.» Die Lösung sieht Roland Stillhard in einem kantonalen Musikschulgesetz oder einer Eingliederung ins Volksschulgesetz. «Dann wären wir im Bildungsgesetz verankert.»Die Krise sieht Roland Stillhard als Anlass, um Heimunterricht zu fördern, die Unterrichtsqualität zu verbessern und eine politische Diskussion anzuregen.