12.03.2021

Museum unter Druck neu erfinden

Werner Ritter und Caroline Schärli haben etwas gemeinsam: Sie sind in Verzug.

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 03.11.2022
Der erste Name ist im Rheintal ein Begriff. Werner Ritter, Jahrgang 1965: Anwalt, ehemaliger Kantonsrat, Präsident des Altstätter Museumsvereins, Spitalschliessungsgegner der hartnäckigsten Sorte.Caroline Schärli: 37-jährig, wohnhaft in Sevelen, Kuratorin des Altstätter Museums seit fast einem Jahr und eine an Altstätten interessierte Frau, die Altstätten wegen Corona erst rudimentär erkunden konnte.Derzeit Staub statt ExponateCaroline Schärli leitet ein Museum, das noch gar nicht existiert. Die Räume sind gefüllt mit Staub statt Exponaten. Die zu entwerfende Dauerausstellung wird von Terminen behindert, von grundsätzlichen Fragen, die erst geklärt sein möchten, bevor eine Museumsausstellung (vorerst wenigstens im Kopf) Gestalt annehmen kann.[caption_left: Kuratorin Caroline Schärli: «Zur Eröffnung wird es Teaser geben.»]Werner Ritter geht es gleich. Auch er wird von den Pflichten aufgerieben, hetzt von einem Termin zum nächsten.Treffen sich Werner Ritter und Caroline Schärli – wie zuletzt am Mittwoch – einmal mehr mit Architekten, Denkmalpflegerin sowie weiteren Fachleuten, haben prompt nicht alle den Termin korrekt notiert, wodurch der hohe Druck (auf Werner Ritter und die Kuratorin) sich noch einmal leicht erhöht.Die Arbeit, die viele!Damit ist der Grund für den Verzug schon mal genannt. Die beiden haben kaum noch Zeit für anderes, das (auch) zu machen ist bzw. wäre. Schuldbewusst, mit Maske und im Kreis erlauchten Fachpersonals, meint Werner Ritter Richtung Journalist: «I ha di nöd vergesse», aber eben: Die Arbeit, die viele! Es ist noch ein Thema, das nichts mit dem Museum zu tun hat, anhängig, und Ritter verspricht, sich zu melden. (Was er inzwischen getan hat.)Derweil ist die Kuratorin ausserstande, für den Zeitpunkt der ersehnten Museumseröffnung, also Ende Jahr, eine Dauerausstellung in Aussicht zu stellen, die diese Bezeichnung verdient. Sobald fürs Publikum die Tür sich öffnet, wird der Geschichtsinteressierte erst mal mit dokumentarischem Material zum Umbau des Museums Vorlieb nehmen müssen, was natürlich auch sehr spannend sein kann.[caption_left: Museumspräsident Werner Ritter: «I ha di nöd vergesse.»]Dazu wird es Anreisser geben, die moderne Menschen bevorzugt als «Teaser» bezeichnen. Häppchen, die Lust auf das Museum einer neuen Ära machen.In die Seelen gegrabene LöcherDas (wegen der Sanierung des Gewölbekellers) aufgebuddelte Museumsareal lässt derzeit nicht nur tief in wahrhaft historische Erde blicken, sondern in gewissem Sinn auch in die Seelen der eingangs genannten zwei Menschen. Nur, dass nicht ein Bagger oder Schaufeln Löcher in ihr tiefes Inneres gegraben haben, sondern Fragen. Bohrende, wichtige Fragen, auf die wegweisende Antworten zu finden sind.Die Umgebungsmauer, die umstrittene, sei mal dahingestellt. Bei der Besprechung diese Woche ging es nicht um sie. Aber auch ohne Fokus auf die Kontroverse «eingeigeltes oder offenes Museumsareal» hat die Liste der einer Klärung bedürfenden Fragen Bandwurmlänge.Welche Farbe sollen Wände und Türen haben? Wie hat welches künstliche Licht woher zu strahlen? Welche Lichtsteuerung ist die geeignetste? Welche Vorhänge passen perfekt zu moderner Gestaltung? Wie kann die Akustik uns beglücken? (Wer im Götter- oder Waffensaal zeitreisend die Sinne schärft, soll nicht mehr durch Hellhörigkeit aufgeschreckt werden.) Es geht auch um Bodenbeläge, es geht um Fassaden: Sollen der jüngere Nordflügel und der rechtwinklig zu ihm stehende ältere Teil gleich aussehen oder sich voneinander (leicht) abheben?Trouvaillen besser zur Geltung bringenBei ihrer zwangsläufig häufigen Baustellenpräsenz wird den Verantwortlichen eine Erkenntnis regelrecht eingehämmert: Der ganze Betrieb ist von A bis Z neu zu erfinden!Ausser der Erfahrung, dem Studium in Kunstgeschichte und Religionswissenschaft und entsprechendem Wissen hilft natürlich Inspiration. Anschaulich hat die Kuratorin sie in Nürnberg oft erlebt, im Germanischen Nationalmuseum, ihrem bevorzugten Ausstellungsort. Jenes Haus erfreut sich einer Ausstellungsfläche, die mit 2,5 Hektaren exakt so gross ist wie die Nutzfläche des ehemaligen Altstätter EgoKiefer-Areals. Da kann die (in der Nähe des Römermuseums Augusta Raurica in Augst BL aufgewachsene) Kuratorin froh sein, hat das Altstätter Museum Prestegg «nur» sieben (zum Teil multifunktionale) Räume.Die Kuratorin hat vor, die Trouvaillen unter den Objekten des Museums besser zur Geltung zu bringen – das Richtschwert mit Inschrift zum Beispiel, die Truhe im Göttersaal oder das Cembalo. Ein probates Mittel zur Betonung spezieller Exponate sind thematische Sonderausstellungen, die einem in sie passenden Stück mehr Gewicht verleihen.In den letzten Jahren ist Caroline Schärli im Werdenbergischen ebenfalls kreativ tätig gewesen. Als Redaktionsmitglied hat sie zur Erneuerung des Werdenberger Jahrbuchs beigetragen, und zugunsten des Museums Schloss Werdenberg betätigte sie sich im Führungsteam.Dreidimensionales Modell in PlanungSelbstverständlich werden im Altstätter Museum die lokale und regionale Geschichte eine grosse Rolle spielen, die Burgen, die Stadtentwicklung, Verkehrswege des Mittelalters, der Wein, manches mehr. Weil Anschaulichkeit für ein Museum (wie im Journalismus) ein erstrebenswertes Ziel zu sein hat, ist (unter Mitwirkung des bekannten Archäologen Wolfgang Neubauer) ein dreidimensionales Modell in Planung, das das Rheintal zeigt und vielfältige Möglichkeiten eröffnen soll.Kommt alles gut, wird Werner Ritter womöglich der erste sein, der in der Lesebibliothek Platz nimmt, den Bestand an historischer Literatur überfliegt, vielleicht das Altstätter Stadtbuch aus dem 15. Jahrhundert oder das Geschäftsbuch Laurenz Custers zur Hand nimmt und (vorsichtig) blättert. Auf Anfrage und nötigenfalls unter Aufsicht oder mit Handschuhen wird diese Freude schon nächstes Jahr jedem Interessierten zuteil. Was nicht heisst, dass man nicht weiterhin moderne Bücher lesen darf. Die Kuratorin las zuletzt den Roman «Der Oberst hat niemand, der ihm schreibt» von Gabriel Garcia Márquez. In dieser Geschichte wartet die Hauptfigur jahrzehntelang auf die Bewilligung seiner Veteranenpension. Für Werner Ritter, Caroline Schärli und die am Museum interessierte Öffentlichkeit hat das Warten deutlich schneller ein Ende.Hinweis: Neue Museumswebseite unter www.prestegg.chDas Museum ist auch auf Instagram aktiv.

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