06.04.2021

Museum erhält historischen Schatz

Im Nachlass von Theo Seitz fand sich eine Votivtafel. Ab Sommer wird sie im Bernecker «Haus zum Torkel» gezeigt.

Von Monika von der Linden
aktualisiert am 03.11.2022
Die Geschichte Bernecks und all ihre Zeugen faszinieren Rainer Sieber. Er hat stets offene Ohren und wache Augen, wenn es darum geht, die ortshistorische Sammlung im «Haus zum Torkel» um ein Objekt ergänzen zu können. Sein Engagement und seinen Sachverstand zeigte er als Ausstellungsmacher im Ortsmuseum bis Ende 2020. Sie wirken sich weiter aus.So kam es, dass Rainer Sieber ein Bäckereibesuch im Februar zu einem «Jahrhundertfund» führte, wie er es nennt. Beim Brotkauf sprach eine Berneckerin mit ihm über den Nachlass ihres Vaters. Er sah ihn sich an und bemerkte ein besonderes Bild. «Es hing im Werkraum des Verstorbenen Theo Seitz neben der Bohrmaschine und ist von grossem historischen und kulturellen Wert für Berneck», sagt er. Verkäuflich sei dieser Schatz nicht, da es sich um eine Votivtafel handle – eine bildnerische Form des Dankes dafür, dass Gott ein Gebet erhört hat.In der katholischen Barocktradition versprachen gläubige Menschen, eine Votivtafeln zu stiften, falls sie aus ihrer konkreten Not errettet werden würden. Folglich findet man derartige Dankesbilder häufig in Kirchen und Kapellen.Szene eines Bernecker Sonntags im Jahr 1768Als Rainer Sieber das Bild betrachtete, machte ihn die Jahreszahl seiner Entstehung (auf dem Felsen) aufmerksam – 1768. Sie hängt mit den beiden abgebildeten Gebäuden eng zusammen: Erst neun Jahre zuvor war die Heilig-Kreuz-Kapelle (im Vordergrund) erbaut wurden. Dreissig Jahre, nachdem der Maler das Werk geschaffen hatte, wurde die Rosenburg (im Hintergrund) für immer verlassen und dem Verfall preisgegeben.Auch alle übrigen Details weisen auf eine korrekte Datierung hin. Zwar winzig, aber dennoch detailreich stellt der Künstler Katholiken auf dem Kirchgang dar. Frauen wie Männer sind in der Sonntagstracht der damaligen Epoche und in dezentem Grau gekleidet. Markant ist der Dreispitzhut der Herren. Am Fuss der Rosenburg ist der Burgstall zu sehen und am Wiesenrand ein Aborthäuschen als Anbau eines Wohnhauses.«Für uns Bernecker ist die Ansicht der Rosenburg von besonderem Interesse», sagt Rainer Sieber. Sie ist von hinten aus nordwestlicher Richtung zu sehen. «Meines Wissens existieren nur zwei Gemälde mit diesem Blickwinkel.» Der Maler stand in der Umgebung des heutigen Ortsmuseums. Möchte man die Perspektive heute nachempfinden, ist dies nicht möglich. Der Rosenberg ist zugewachsen. Man rodet ihn längst nicht mehr. Es ist nicht mehr nötig, weit ins Tal hinaus zu blicken, um mögliche Angreifer früh zu erkennen.Ein spannendes Rätsel entschlüsseltDie Votivtafel ist ein Zeugnis der Volksfrömmigkeit des 18. Jahrhunderts. «Das Bild ist voller Rätsel, liest sich wie eine spannende Geschichte», sagt Rainer Sieber. Er hat das geschichtliche und kulturelle Hintergrundwissen und deutet die Darstellung: Das Bild ist diagonal geteilt, zeigt oben das Göttliche und unten das Lebensnahe. In der Mitte posiert erhaben der heilige Mauritius, der Anführer der römischen Thebäer-Legion und Schutzheiliger des Heeres. Er starb mit vielen Soldaten in Martigny, Wallis, in der Mitte des 4. Jahrhunderts als christlicher Märtyrer. Ihn riefen die Menschen an als Fürsprecher ihrer kranken Pferde.[caption_left: Die Votivtafel veranschaulicht die Volksfrömmigkeit des 18. Jahrhunderts.]Versteht man die Elemente, erkennt man, welches Gebet der Stifter gesprochen haben muss: Das schwarze Kaltblut (unten rechts) gehörte einem Bauern. Er muss wohlhabend gewesen sein, sonst hätte er sich das Ross nicht leisten können. «Es war sein Traktor, während andere den Pflug von Hand zogen», sagt Rainer Sieber. Der Bauer war auf das Ross angewiesen. Seine Erkrankung bedrohte seine Existenz. Der gläubige Mann rief Mauritius an und bat um Heilung des Pferdes. «Der Heilige vermittelt zwischen Mensch und Gott. Die Macht geht vom im Licht stehenden Kreuz aus.»Rainer Sieber geht davon aus, dass der Kaltblüter wieder gesund wurde und dem Bauern weiter diente. «Sonst hätte er nicht die Kosten getragen und einen Kirchenmaler beauftragt.» Der Name des Künstlers ist nicht bekannt. Es war nicht üblich, Votivtafeln zu signieren. Sie dienten einzig der Ehre Gottes. Auf die Fertigkeit des Malers lassen die Haltung Mauritius’, die Farbgebung und Perfektion des Bildes schliessen.Die Erben von Theo Seitz stellen dem Bernecker Ortsmuseum die einheimische Votivtafel als Dauerleihgabe zur Verfügung. Bevor sie ihren Platz in der Abteilung Sakralkunst im «Haus zum Torkel» findet und von den Museumsbesuchern betrachtet werden kann, wird Mauro Ferrari die Schäden beheben. Auf der Fotografie ist ein Loch auf der Wange des Heiligen gut zu erkennen. Die Restauration finanziert die Gemeinde Berneck aus ihrem Kulturfonds.

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