29.10.2019

Mundartserie: «Moattar, mach a Pizza»

Lieba oder Liebi gibt es nicht in der Mundart, aber den Ausdruck gäan haa.

Von Christoph Mattle
aktualisiert am 03.11.2022
Christoph MattleIm aalta Läasibüachli der st. gallischen Primarschulen findet sich das schöne Idealbild einer Familie beim Essen (siehe oben). Ganz klar ist, dass die Mutter und das Möatali a Schoass aahond. Frauen ohne Schürzen sah man a da Wäachtig nicht. Das Bild scheint mir im Übrigen nicht eine typische Familie von damals darzustellen. Wer hatte nur gerade drei Kinder? Wer hatte denn schon ein weisses Tischtuch oder eine weisse Stoffserviette? Es weist auf einen besseren Haushalt, mindestens auf ein Sonntagsessen hin. Die Mutter hat gekocht, sie serviert. In der Schüssel trägt sie Häadöpfil herbei.Wenn der Zeichner ein typisches Sonntagsgericht von damals hätte darstellen wollen, hätte er vermutlich Häadöpfilstock mit Braten und Gemüse zeichnen müssen. Und a Flädlisuppa voruus. Weil die meisten Familien ganz oder zu einem hohen Mass Selbstversorger waren, gab es fast jeden Tag Häadöpfil zum Zmeattig. Einmal als Stock, das andere Mal als Röaschti, als Saalzhäadöpfil oder als Gschwellti. Erst in späteren Jahren hielt die Fritöös Einzug und es gab Pomfritt. Inzwischen ist die Fritöös aus dem meisten Haushalten wieder verschwunden. Ebenso der Römertopf oder d Uufschnittschniidmaschina, die man ja eigentlich nur an Weihnachten hervorkramte, um den Salami zu schneiden.Ggörriwoascht, Dürüm oder GüürosMit dem Essen hat sich auch unsere Sprache gewandelt. Unsere Grosseltern kannten viele Speisen nicht. Es gab weder Spaghetti noch Pizza. Vor dem Olivenöl hat man uns damals gewarnt. Wer nach Italien reiste, soll dort auf keinen Fall Olivenöl geniessen. Das würde zu Durchfall führen. (Das Oberiedner Wort für Durchfall lasse ich weg.) Wie würden unsere Grosseltern staunen, wenn sie Röaschti aus dem Beutel sähen. Oder a Ggöriwoascht, möglicherweise sogar noch mit Viel-Scharf. Oder eine Falafel, einen Dürum, einen Güüros oder Pommes mit Majo-Ketsch. Mir ist da Säarwala oder sonst a Woascht lieber. Ich sage dir: Woascht i ha halt gäann a Woascht. Wennd woascht wani moann. Der Zmorge bestand in den meisten Familien aus Ribil. Am Vorabend wurde er aapröüt.All gad Ribil zum ZmorgeAm Morgen früh, wenn die Goofa noch in der Kammer schliefen, war die Moattar schon am Ribla. Das Ribilmäal war weiss. Wenn es gelben Mais zum Essen gab, war das Polenta. In einer anderen Form kannten wir den gelben Mais nicht. Und wir liebten die Polenta gar nicht. Das Wort Mais kannten wir nicht. Auf dem Feld stand da Töargga. Es war ein Töarggafäald und kein Maisfeld. Ma häad da Töargga khülschat. Ma häad da Töargga oder d Kölba undaram Tach uufkheenkt.Ob wir den täglichen Ribel gern hatten, war keine Frage. Wir kannten ja nichts anderes. Und Kinder hat man damals nicht gefragt, ob sie etwas lieben oder nicht. Das Wort lieba oder Liebi existierte nicht in der Mundart. Es gab nur den Ausdruck gäann haa. Man konnte sagen, ma heij da Ribil gäann oder ma heijen nüd gäann. Es war unmöglich zu sagen: I lieb da Ribil. Auch für Verliebte gab es als höchsten Ausdruck der Zuneigung nur das I ha di gäann. In der heutigen Mundart erleben wir einen Liebe-Hype. Junge Leute liebed fascht alls. Sie sagen: I lieb Tennis, i lieb Kääs, i lieb mis Handtäschli.Wir sind keine EskimosSprachforscher wollen herausgefunden haben, dass die Eskimos über 30 Wörter für Schnee kennen, je nach Beschaffenheit des Schnees. Sprachforscher aus anderen Ländern haben als Gegensatz zu dieser einzigartigen Wörtervielfalt der Eskimos schmunzelnd festgestellt, dass es in der Schweizer Mundart keinen Ausdruck für «Ich liebe dich» gebe. Dafür müssen wir uns aber keineswegs entschuldigen, denn «I ha di gäann» ist ebenso wertvoll wie «ich liebe dich». Hier muss ich mich entschuldigen für das Wort Eskimo. Das darf man nicht mehr sagen. Es sei ethnologisch-linguistisch-psychologisch despektierlich. Ob man heute Inuit sagen muss? Ich weiss es nicht. Eskimo gefällt mir und ich bleibe dabei. Und ich gebe zu, dass ich meiner Frau in allen 38 Ehejahren noch nie gesagt habe: I lieb di.

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