23.07.2021

Mit Tempo 153 auf 60er-Strecke

Der Raser sagte vor Gericht, er sei von sich selbst schockiert, und sprach von einem «Aussetzer».

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 03.11.2022
Der Mann um die sechzig, Ingenieur von Beruf, war nicht vorbestraft. Dann tappte er gleich zweimal in die Radarfalle, und dies innerhalb von bloss vier Tagen.Letztes Jahr, am Sonntag, 17. Mai, war er in Wienacht-Tobel, auf Gebiet von Heiden, innerorts mit 27 km/h zu schnell unterwegs. Vier Tage später, als hätte er in Heiden das Rasen erst geübt, fuhr er auf der Espenstrasse in Widnau derart schnell, dass sein Tempo selbst auf der parallel verlaufenden Autobahn deutlich zu hoch gewesen wäre.Aus dem Lockdown in den TemporauschWie kommt jemand dazu, mittags um ein Uhr auf der Höhe des Gartencenters Bucher statt mit den erlaubten 60 km/h mit 153 Richtung Kreisel zu rasen? Selbst unter Berücksichtigung der gesetzlich vorgeschriebenen Sicherheitsmarge von 7 km/h hat der Mann die zulässige Geschwindigkeit um (rechtlich relevante) 86 km/h überschritten.Das sei ihm selbst «unerklärlich», sagte der Mann, er habe so etwas zuvor nie getan. Von einer Richterin auf die zeitliche Nähe der beiden Delikte angesprochen, erwähnte der Angeklagte den Lockdown, die Arbeit zu Hause (statt im Büro) sowie die Decke, die ihm auf den Kopf gefallen sei. Die Ausfahrt am Sonntag sei eine Art Befreiung gewesen. Speziell der zweite Vorfall lässt sich plakativ in diese Formel fassen: Aus dem Lockdown in den Temporausch.Seit einem Jahr nur mit dem Velo unterwegsSeit letztem August, also seit ziemlich genau einem Jahr, ist der BMW-Besitzer mit dem Velo unterwegs. Zumindest ein weiteres Jahr hat er die Einschränkung, die er als einschneidend erlebt, hinzunehmen. Wann er den Ausweis danach wieder ausgehändigt bekommt, ist völlig offen. Die Praxis der Strassenverkehrsämter ist streng. Raser haben sich nicht nur einer Verkehrstherapie zu unterziehen, sondern auch einen verkehrspsychologischen Test zu bestehen, bevor sie sich wieder an ein Lenkrad setzen dürfen.Der Verteidiger des Angeklagten sagte deshalb am Donnerstag vor dem Kreisgericht Rheintal in Altstätten über seinen Mandanten: «Er geht nicht einfach hier raus und diese Sache ist vorbei.» Den Ausweis zurückzubekommen, sei «nicht ganz so locker».15 Monate bedingt, bei zweijähriger ProbezeitDer Mann, der im St. Galler Rheintal wohnt, bestritt sein Fehlverhalten nie. Er gab die ihm vorgeworfenen Delikte uneingeschränkt zu und zeigte sich einsichtig. Sein Antrag auf ein sogenannt abgekürztes Verfahren hiess der Staatsanwalt im Winter gut. Das heisst, er unterbreitete einen Urteilsvorschlag, der auf 15 Monate bedingt lautete, bei einer Probezeit von zwei Jahren. Die Gegenpartei stimmte dem Antrag zu. Auf diese Weise ist der Gesamtaufwand geringer; die Möglichkeit, den Fall weiterzuziehen, entfällt.Der Verteidiger des Rasers wies von sich aus auf den womöglich entstehenden Eindruck hin, sein Mandant komme für seine Vergehen gar glimpflich davon. Dem sei natürlich überhaupt nicht so, weil die Hürde für die Wiedererlangung des Führerausweises wie gesagt recht hoch und mit entsprechenden Kosten verbunden sei. Auch für die Verfahrenskosten von 1880 Franken und die Entscheidgebühr von 1500 Franken, insgesamt also 3380 Franken, hat der Verurteilte aufzukommen.Das Gericht benötigte für seinen Entscheid nur wenige Minuten. Es hiess den vom Angeklagten bereits akzeptierten Urteilsvorschlag der Staatsanwaltschaft ebenfalls gut. Die 15 Monate bedingt, bei einer Probezeit von zwei Jahren, würden als angemessen erscheinen, befand der Gerichtspräsident. Er hoffe, dass es sich bei den Geschwindigkeitsübertretungen tatsächlich um einen einmali-gen Ausrutscher gehandelt habe, sagte er.

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