18.02.2021

Mit Tempo 111 aufs Städtli zugerast

Mit 610 PS und 111 km/h innerorts fuhr ein Südtiroler in einem gemieteten Lamborghini am Radar vorbei.

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 03.11.2022
Es blitzte kurz nach vier Uhr nachmittags, am Donnerstag, 8. August 2019.Der 26-jährige Mechaniker war auf der Stossstrasse unterwegs, keinen halben Kilometer von der Altstadt entfernt. Er hatte, wie er später sagte, die 50er-Tafel nicht wahrgenommen. Dummerweise sah er auch den Radar nicht, der hier seit vielen Jahren steht.Risiko eines Unfalls mit Todesopfern eingegangenDas Fahrzeug, ein Lamborghini Huracán LP 610-4 Spyder, ist nach einem Stier benannt. In nicht einmal dreieinhalb Sekunden beschleunigt das Auto auf hundert, mehr als dreimal so schnell kann es fahren. Dazu passen die «scharfen Kanten und das aggressive Aussehen», wie Wikipedia das Design beschreibt.   Der italienische Tourist hat «vorsätzlich elementare Verkehrsregeln verletzt» und ist das «hohe Risiko eines Unfalls mit Schwerverletzten oder Todesopfern» eingegangen, schreibt die Staatsanwaltschaft – «namentlich durch krasse Missachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerorts».   Juristisch ausgedrückt, hat sich der junge Mann der qualifizierten groben Verletzung der Verkehrsregeln schuldig gemacht. Der Strafrahmen erstreckt sich von einem bis vier Jahre Gefängnis.Raser musste nicht vor Gericht erscheinenZu verantworten hatte sich der Lamborghini-Fahrer gegenüber dem Kreisgericht Rheintal in Altstätten, wo am Donnerstag die Verhandlung stattfand. Selbst war der Mann zwar nicht zugegen, doch sein Anwalt sprach für ihn. Das Gericht hatte den Angeklagten, der in Südtirol zu Hause ist, von der Anwesenheitspflicht befreit, einerseits wegen der weiten Distanz, aber auch wegen Corona.   Was dem Südtiroler vorgeworfen wird, hat er zugegeben. Auf sein Begehren kam es zu einem so genannt abgekürzten Verfahren. Eine Voraussetzung ist, dass der Beschuldigte den (für die rechtliche Würdigung wesentlichen) Sachverhalt eingesteht und er die von der Staatsanwaltschaft vorgeschlagene Strafe unwiderruflich akzeptiert.12 Monate bedingt, Verzicht auf BusseIn diesem Fall lag dem Gericht der folgende, vom Angeklagten anerkannte Urteilsvorschlag vor: 12 Monate bedingt, bei einer Probezeit von zwei Jahren; Verfahrenskosten zu Lasten des Lamborghini-Fahrers – 1400 Franken plus Entscheidgebühr. (Ist jemand nicht vorbestraft, ist der bedingte Strafvollzug bis 24 Monate die Regel.)   Wieso wird der Südtiroler nicht zusätzlich gebüsst? Die Antwort lautet: Weil er nicht vorbestraft ist, seine finanziellen Verhältnisse bei einem Lohn von 1500 Euro bescheiden sind und der junge Mann sich nach der Tat vorbildlich verhalten haben soll. Die Staatsanwältin führte aus, er habe sein Fehlverhalten «unumwunden anerkannt», sei reuig, habe sich «höchst anständig verhalten» und glaubhaft dargestellt, dass er kein Raser sei. Die Fahrt mit dem gemieteten Lamborghini habe einem lang gehegten Wunsch entsprochen, doch habe er die Kraft des Autos, die enorme Beschleunigung, unterschätzt.Das Thema ist auch insofern interessant, als der Vorfall sich im Lichte des «Rasertourismus» betrachten lässt.Die in der Schweiz bestehende Möglichkeit, ohne Weiteres ein 610-PS-Auto zu mieten, führt immer wieder zu Raserdelikten. Ebenfalls mit 111 km/h war beispielsweise im Jahr 2013 ein 23-Jähriger  mit einem gemieteten Ferrari innerorts über die Johanniterbrücke in Richtung Kleinbasel gerast. (Die Strafe für jenen Mann: 14 Monate bedingt und 2000 Franken Busse.)Gericht hat Urteilsvorschlag gutgeheissenAuch der Richter anerkannte das Verhalten des Angeklagten nach der Tat. Er habe nicht, wie das öfter vorkommt, versucht, sich herauszureden oder beispielsweise zu behaupten, nicht er habe am Steuer gesessen. Auch war der Mann sogleich bereit, die Anwaltskosten selbst zu übernehmen.Angesichts der klaren Ausgangslage und Geständigkeit kann man sich fragen, weshalb der junge Südtiroler überhaupt einen Verteidiger brauchte. Antwort: Ab einer Strafe von mindestens einem Jahr ist die Verteidigung gesetzlich vorgeschrieben.Die Strafe ist längst nicht allesMit einer «nur» bedingten Gefängnisstrafe von 12 Monaten und Verfahrenskosten von insgesamt 2400 Franken komme der Lamborghini-Fahrer allzu gut davon, könnte man meinen. Doch die Beurteilung aus strafrechtlicher Sicht ist längst nicht alles.Das Strassenverkehrsamt eröffnet ebenfalls ein Verfahren, das für den Angeklagten «nicht billig» werde, wie sein Verteidiger vor Gericht sagte. Bei Raserdelikten gingen die Strassenverkehrsämter von einem Charaktermangel aus, was eine verkehrspsychologische Untersuchung zur Folge habe. Der Führerausweisentzug für mindestens zwei Jahre geschehe in Kombination mit einem unbeschränkten Sicherungsentzug.Das heisst, um in der Schweiz je wieder ein Auto lenken zu können, wird der Südtiroler zu gegebener Zeit auf ein Zulassungsgutachten angewiesen sein. Die ganze Sache werde hohe Kosten zur Folge haben, sagte der Verteidiger, dessen Honorar übrigens auch der junge Lamborghini-Fahrer bezahlt. Abgekürztes VerfahrenBeim abgekürzten Verfahren unterbreitet die Staatsanwaltschaft den Parteien einen sogenannten «Erledigungsvorschlag», der akzeptiert werden kann oder nicht. Das sei keinesfalls wie auf dem Bazar, sagt Beatrice Giger von der Medienstelle der St.Galler Staatsanwaltschaft. Werde der Vorschlag nicht akzeptiert, komme es zu einer ordentlichen Anklage mit ungewissem Ausgang. Abgekürzte Verfahren entlasten die Justiz und verringern das Verjährungsrisiko. Das Gericht hat die Möglichkeit, den Urteilsvorschlag abzulehnen.  

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