22.07.2019

«Mit Ratings ist es immer so eine Sache»

Widnau und Berneck stehen im CO2-Rating im Kanton am schlechtesten da – und stellen die Bewertung in Frage.

Von Max Tinner
aktualisiert am 03.11.2022
Ein paar Tage vor der Klimadebatte zum Schluss der Junisession des Kantonsrates hat das «Tagblatt» ein grosses CO2-Rating über alle Gemeinden des Kantons veröffentlicht. Nicht alle 77 Gemeinden seien hinsichtlich ihres Kohlendioxidausstosses ein Vorbild, hiess es dazu.Als solches könnte man allenfalls Altstätten sehen, das als einzige Gemeinde im Einzugsgebiet unserer Zeitung unter einen Jahresausstoss von drei Tonnen CO2 pro Einwohner und Beschäftigte kommt. Alle anderen Gemeinden zwischen Lienz und Staad liegen im Mittelfeld oder im letzten Drittel der Tabelle.Die Verlierer sind beide Energiestadt-zertifiziertBesonders schlecht schneiden Widnau mit fünf Tonnen und Berneck mit 4,6 Tonnen ab: Nachdem Steinach nachrechnen liess und dabei tatsächlich ein Fehler gefunden wurde, gab die Gemeinde am Bodensee das Schlusslicht den beiden Mittelrheintaler Gemeinden ab. Dass Widnau und Berneck dermassen schlecht dastehen, verwundert besonders, weil beide Gemeinden Energiestadt-zertifiziert sind.Das «Tagblatt» hat für sein Rating auf Daten des Kantons zurückgegriffen: auf Zahlen zum Energieverbrauch und zu den CO2-Emissionen in den Bereichen Verkehr, Haushalte, Industrie und Gewerbe. Um einen Vergleich zu ermöglichen, wurden die Werte in Relation zur Anzahl Einwohner und Beschäftigte in der Gemeinde gesetzt; in der Gesamtwertung zu beiden, in der Auswertung zum CO2-Ausstoss der Haushalte und des Verkehrs einzig zu den Einwohnern und in jener zum Ausstoss von Industrie und Gewerbe einzig zur Anzahl der Beschäftigten. Zwar sei nicht alles bis ins Detail quantifizierbar, wurde ein Energiedatenspezialist des Kantons zitiert, die Grössenordnung stimme aber.Wurden Auer Autos Berneck angelastet?Christa Köppel und Bruno Seelos, die Gemeindepräsidenten von Widnau bzw. Berneck, haben dennoch ihre Zweifel an der Aussagekraft des Ratings. Sie stellen nicht nur die Methodik in Frage, sondern auch das zugrunde liegende Zahlenmaterial.Seelos wundert sich etwa über das besonders schlechte Abschneiden Bernecks hinsichtlich des CO2-Ausstosses des Verkehrs. Berneck ist hier mit 3,1 Tonnen pro Einwohner am Schluss der Rangliste. Mit Abstand. Seelos fragt sich, wie die Statistiker zu diesem Ergebnis kommen können – und vermutet, dass bei der offenbar berücksichtigten Anzahl immatrikulierter Fahrzeuge nicht gemeindescharf abgegrenzte Zahlen des Strassenverkehrsamts verwendet wurden.Er verweist auf die Strassenfahrzeugstatistik des Bundes, in der die Fahrzeuge den Gemeinden auf Basis der Postleitzahl der Halteradresse zugeordnet werden. Weil ein Teil der Einwohner eine Heerbrugger Postadresse hat, könnte er sich vorstellen, dass die Autos von ganz Heerbrugg – also auch jener Heerbrugger, die auf Balgacher, Auer oder Widnauer Boden wohnen – Berneck zugerechnet worden sein könnten. Oder womöglich sogar die Autos von Büriswilen, das zwar auf Innerrhoder Boden liegt, aber dieselbe Postleitzahl wie Berneck hat.Der Gemeinderat von Berneck hat seine Energiekommission beauftragt, das Ranking zu verifizieren. Zum einen weil sich im Fall von Steinach ja gezeigt hat, dass die Datenbasis fehlerhaft sein kann, zum andern, weil die dem Rating zugrunde liegende Methodik nicht im Detail bekannt ist.Dies bemängelt auch Widnaus Gemeindepräsidentin Christa Köppel: «Mit Ratings ist es immer so eine Sache», sagt sie, «man weiss nie, was wo-mit verglichen wird.» Sie weist ausserdem auf den Wahrscheinlichkeitsbereich der Bewertung hin. Im Artikel im «Tagblatt» wird eine mögliche Abweichung von 10 bis 20 Prozent genannt.Widnau verzichtet auf eine Analyse«Wenn man sich da anschaut, wie nah beieinander viele Gemeinden im Rating liegen, wird die Bewertung so gut wie nichtssagend», stellt Widnaus Gemeindepräsidentin fest. Sprich: Widnau könnte in der Tabelle ganz woanders liegen, sollte die Gemeinde zu schlecht weggekommen sein und sollten andere Gemeinden gleichzeitig zu gut bewertet worden sein.Der hohe Erdgasverbrauch der Industrie könne durchaus zum schlechten Abschneiden beigetragen haben, denkt Köppel. Dennoch werde der Gemeinderat dem Rating nicht weiter auf den Grund gehen: «Wir haben uns zwar mit ihm auseinandergesetzt, aber die Methodik vertieft zu analysieren, was die Rangierung überhaupt erst nachvollziehbar machen würde, erachten wir nicht als unsere Aufgabe.»Der Gemeinderat werde wie bis anhin den Erfolg seiner energiepolitischen Ziele anhand des Energiedatenberichts des kantonalen Amts für Wasser und Energie für Widnau messen – und im Rahmen der Erneuerungsaudits fürs Energiestadtlabel. «Dabei analysieren wir, was in Widnau bei den gegebenen Rahmenbedingungen sinnvoll und machbar ist», sagt Christa Köppel.Berneck hält es gleich: Die Gemeinde und deren Energiekommission setzten sich seit Jahren für erneuerbare Energie ein, sagt Bruno Seelos. Diesen Weg werde man mit Unterstützung der Energieberatung für die Energiestadt-Audits konsequent fortsetzen.Altstättens Stadtpräsident Ruedi Mattle kann zwar die Methodik des Ratings ebenso wenig nachvollziehen wie Christa Köppel oder Bruno Seelos. Er freut sich aber über die gute Platzierung seiner Stadt und zählt eine ganze Reihe Faktoren auf, die Altstätten nach vorn gebracht haben dürften: die beiden grossen Fernheizungsanlagen, die Solaranlagen auf vielen Dächern, die zunehmende Anzahl wärmegedämmter Häuser auf Minergieniveau, den steigenden Anteil an Fahrzeugen mit alternativem Antrieb, Ladestationen für Elektroautos, Car-Sharing-Angebote … Für die Erneuerung der Energiestadt-Zertifizierung werde man zudem die Massnahmen laufend überprüfen, optimieren und ergänzen.Als Energiestädte vorbildlichDer Stadtrat von Altstätten macht also unterm Strich nichts anderes, als man in Berneck und Widnau ebenfalls tut. So schlecht kann die CO2- und Energiepolitik dort also nicht sein – zumal Widnau in der Energiestadtbewertung mit 66 Prozent denselben Ausschöpfungsgrad seines energiepolitischen Handlungspotenzials erreicht wie Altstätten und Berneck mit 63 Prozent nur wenig darunter liegt. Manche andere Gemeinde ist noch nicht so weit.HinweisDie Tabellen des Ratings (ohne Berücksichtigung der nachträglichen Korrektur für Steinach) findet man online unter go.tag blatt.ch/fussabdruck. Die Energiedaten für jede einzelne Gemeinde können hier eingesehen werden: www.sg.ch/umwelt-natur/energie/energie-in-gemeinden-/energiedaten.html. Und zu den Energiestadtprofilen der Gemeinden geht es hier lang: www.local-energy.swiss/programme/profile .

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