Vor dem Spiel auf der Birkenau begrüsst FCR-Platzkassier Kurt Widmer beim Eingang mit seiner altmodisch-praktischen metallenen Kondukteur-Umhängekasse das Publikum, Manfred Bischofberger stellt in «Mänfs Zapfsäule» das Bier für die Stammgäste kalt, alles Fussballfachleute, und Roger Kuster, Amateur-Linienrichter mit Profiformat, begleitet den Schiedsrichter und die beiden Teams zum Anpfiff in die Platzmitte. So wie immer.
Zwei Brüder, erstmals im «Eins»
Rebstein dominiert. Zehn Minuten vor Schluss scheint beim Stand von 2:0 durch Tore von Rico Köppel und Kevin Steiger alles klar. Nun kommt der besondere Moment für die Familie Gottscher. Noah Gottscher wird eingewechselt und spielt erstmals in der ersten Mannschaft, zusammen mit seinem älteren Bruder Alessandro, 17-jährig, der Stammspieler ist.
Weil Staad das Anschlusstor erzielt, wird es nochmals spannend. Dann entscheidet Alessandro mit dem Kopfballtor zum 3:1 das Spiel. Es ist sein fünftes Tor in den letzten drei Spielen. Der Trainer lässt seinem Offensivspieler alle Freiheiten. Er taucht mal links, mal rechts auf, und gelegentlich setzt er sich in der Mitte durch. Rico Köppel, Captain und Sturmpartner, charakterisiert ihn so: «Technisch gut, unbeschwert.» Dieser Rico spielt in der 80. Minute den idealen Pass. Alessandro kommt allein vors Tor. Einfach wäre, den Ball am Goalie vorbeizuschieben. Alessandro wählt die elegante Variante mit einem Heber – und scheitert.
Zurück zum Anfang. Rebsteins Spieler sind auf dem Trainingsplatz bereit, es dauert noch gut drei Viertelstunden, bis das Spiel beginnt. Bevor das Einlaufen beginnt, bewegen sie sich locker oder schieben sich den Ball zu. Einer steht ein wenig abseits. Er spielt den Ball hoch in die Luft und nimmt ihn gekonnt wieder an. Er jongliert. Er führt den Ball, nein, er streichelt ihn. Alessandro Gottscher und der Ball, die gehören zusammen.
Ein Teamplayer
Trainer Ralph Heeb spürt, dass sein Spieler das Räbscher-Gen hat: «Der Verein ist ihm wichtig. Da ist er daheim, da hat er seine Vorbilder.» Heeb nennt Rico Köppel und Simon Schranz.
Alessandro kann mit dem Ball alles, hat ein gutes Spielverständnis und findet immer eine originelle Lösung.
Und: «Er ist ein Teamplayer, nicht abgehoben.» Dann fügt er an, überzeugt, und doch mit wehmütigem Unterton: «Er wird bald in einer höheren Liga spielen.»
Das Gebet gibt Kraft
Nach dem Spiel gibt Alessandro Auskunft. So wie er mit dem Ball umgeht, geht er auch mit Worten und Gedanken um. Er wäre gern Profi geworden wie jeder talentierte Junge. Er spielt in der U-15 Rheintal/Bodensee. Aber er spürt Druck. Bei Leica in Heerbrugg beginnt er die Lehre als Konstrukteur, besucht berufsbegleitend die BZBS in Buchs und kommt im Fussball nicht mehr weiter. In dieser schwierigen Phase findet Gottscher Halt bei Gott.
Ich bin mit Jesus unterwegs. Gebete geben mir Kraft und Hoffnung. Ich sehe die Zukunft optimistisch.
Worte, die auf dem Fussballplatz selten sind. Die Krise ist überwunden, der Glaube geblieben. Im Fussball kehrt er zu den Wurzeln zurück.
Der grosse Bruder
Anne und Marco Gottscher, die Eltern, in Balgach daheim, sind auch am Match, zusammen mit Mia Bähler, Alessandros Freundin, Hochbauzeichnerin aus Widnau. Anne stammt ursprünglich aus Frankreich, Marcos Vorfahren lebten im Süden Italiens. Zur Fussballerfamilie gehören vier Kinder. «Alessandro ist der grosse Bruder», sagen die Eltern,
er übernimmt Verantwortung, ist ehrgeizig und zuverlässig und stellt als Perfektionist hohe Ansprüche an sich selbst. Der Glaube ist Teil seines Lebens.
Aber der Fussball auch: «Als er seine ersten Schrittlein machte, war immer ein Ball dabei.»
Ein grosses Highlight
Am Freitag und Samstag wird Alessandro einen fussballerischen Höhepunkt erleben. Er ist Teil des Altstätter Teams, das das Rheintal am internationalen U19-Turnier in Altstätten vertritt. «Ich freue mich riesig. Gewinnen werden wir das Turnier wohl nicht, aber kämpfen werden wir. Fürs Rheintal.»