11.02.2021

Mit dem Hörer gegen den Corona-Blues: «Diese Anrufe sind ein Aufsteller»

Nummer wählen, es klingelt und schon nimmt jemand ab. Eine Widnauer Telefonkette hilft gegen Corona-Einsamkeit.

Von Hildegard Bickel
aktualisiert am 03.11.2022
Vormittags um halb elf ist eine gute Zeit. Dann kann sich Erika Seiler ziemlich sicher sein, ihre Telefonbekannte Rosa Köppel zu erreichen. Ausgenommen sie ist beim Coiffeur, was kürzlich der Fall war. Den ersten Kontakt am Telefon hatten sie vor weniger als einem Monat. Gesehen haben sich die zwei Frauen noch nie. Doch sie sprechen vertraut und herzlich miteinander, fragen: «Wie geht es? Wie war die Woche?» Sie lachen und erinnern sich scherzend daran, während der Kältewelle Strümpfe und nicht nur Kniesocken anzuziehen.Von Beginn an war klar, dass sie sich duzen wollen. Auch mit den zwei anderen Frauen der Telefonkette ergab sich rasch eine freundschaftliche Nähe. Alle sind im Alter zwischen 70 und 95 Jahren. «Ihre Stimmen sind sehr sympathisch», sagt Erika Seiler. «Aufgestellte, flotte Frauen sind am Apparat.»Eine Mitarbeiterin der Gemeinde gab den AnstossDie Telefonkette hat Doris Schlegel, Leiterin der Beratungsstelle «Drehscheibe» im Zentrum Augiessen in Widnau, Anfang Jahr organisiert. «Damit das Telefon gerade in dieser schwierigen Zeit auch weiterhin bei älteren Menschen klingelt.» Sie schickte Senioren einen Brief, um auf das Angebot aufmerksam zu machen. Wenn sich mindestens drei Personen zur Verfügung stellen, sind die Voraussetzungen für eine Telefonkette erfüllt. Die Teilnehmenden rufen sich in einem festgelegten Zeitrahmen gegenseitig an und tauschen Neuigkeiten aus.«Die Gespräche bedeuten mir sehr viel», sagt Erika Seiler. Auch die zwei Töchter und der Sohn freuen sich mit ihrer Mutter über diese Art der Kommunikation. Die 81-Jährige, die in ihrem Berufsleben im Gastgewerbe tätig war, ist eine aktive Frau, die gern am gesellschaftlichen Leben teilnimmt: als Mitglied im Frauenverein, im Turnverein, sie besucht Vorträge und musikalische Veranstaltungen. Weil solche Termine ausfallen, kommt sie momentan wenig unter Leute. «Eine Telefonkette ist darum nicht schlecht. Ich sagte mir, da lernst du Leute kennen.»Corona-Einsamkeit dürfe gar nicht erst aufkommen, sagt Erika Seiler. Obwohl es Momente gebe, die nicht einfach zu tragen sind. Ende Oktober starb ihr Mann nach langjähriger Krebserkrankung. Der Verlust schmerzt. Sie nahm sich vor, sich zu beschäftigen und geht jeden Tag spazieren. Im Kreis der Telefongesprächspartnerinnen fühlt sie sich aufgehoben. «Alle sind verwitwet», sagt Erika Seiler. «Sie meinten, ich passe ganz gut zu ihnen.»Einmal pro Woche meldet sie sich bei jeder Frau. Sollte eine von ihnen während mehreren Tagen nicht erreichbar sein, sagen sie Bescheid, nicht, dass sich die anderen Frauen Sorgen machen müssten.Männer sind bei der Telefonkette bisher nicht vertreten. «Vielleicht sind sie zu scheu? Oder sie würden lieber andere Männer zum Jassen treffen», mutmasst Erika Seiler. «Mein Mann hätte auch nicht mitgemacht bei der Telefonkette.» Bei den Frauen hingegen festigt sich der Kontakt.Auch der Wunsch nach einem persönlichen Treffen regt sich. «Ich freue mich auf den Moment, wenn wir einander besuchen können», sagt Erika Seiler. Rosa Köppel zum Beispiel wohne in ihrer Nähe. «Sobald das Wetter schöner und wärmer wird, wollen wir uns auf einen Spaziergang und einen Kaffee treffen.»Hinweis: Doris Schlegel nimmt Anmeldungen entgegen, beantwortet Fragen und organisiert die Telefonketten: 071 726 38 65, doris.schlegel@widnau.ch

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