29.09.2021

Mit 17 Jahren Auto fahren lernen

Seit Anfang Jahr dürfen 17-Jährige mit Begleitung hinters Lenkrad. Die einen freut’s, andere sind skeptisch.

Von Benjamin Schmid
aktualisiert am 03.11.2022
Seit Generationen freuen sich Jugendliche auf ihren 18. Geburtstag, um mit der Volljährigkeit den Lernfahrausweis beantragen zu können. Unterdessen freuen sich Jugendliche wie Bianca Haltiner aus Balgach und Céline Lutz aus Lüchingen darauf, mit 18 bereits allein Auto fahren zu dürfen. Möglich macht das ein Bundesratsentscheid von Ende 2018. Damals wurde beschlossen, dass unter 20-Jährige neu eine Lernphase von zwölf Monaten durchlaufen müssen, bevor sie die praktische Autoprüfung machen dürfen. Damit der Führerausweis trotzdem mit 18 Jahren erworben werden kann, hat der Bundesrat das Alter für den Erwerb des Lernfahrausweises auf 17 Jahre gesenkt. Die neue Regelung trat dieses Jahr in Kraft.Verkehrssicherheit erhöhen und Unfälle minimierenZiel der neuen Regelung ist es, die Verkehrssicherheit zu erhöhen: Je mehr begleitete Lernfahrten vor der praktischen Prüfung stattfinden, desto kleiner ist danach das Unfallrisiko. Während vor allem Jugendliche erfreut darüber sind, gibt es besonders unter den Fahrlehrern gemischte Reaktionen.Céline Lutz begrüsst die Änderungen und freut sich, schneller unabhängig von den Eltern zu sein. «Jetzt muss ich zum Tanzen gefahren werden», sagt sie, «das ändert sich schlagartig, wenn ich mit 18 die Prüfung bestehe.» Kaum sei der Lernfahrausweis Anfang Jahr gekommen, habe sie einige Fahrstunden mit dem Fahrlehrer unternommen. Einerseits um zu erfahren, worauf es zu achten gilt, andererseits um sich die Abläufe von Anfang an richtig einzuprägen. Inzwischen übe sie oft mit ihrer Mutter oder den älteren Geschwistern. Die regelmässigen Fahrten führen zu Routine und diese erhöhe die Sicherheit.Weil Bianca Haltiner nachts arbeitet und einen weiten Arbeitsweg hat, freut sie sich, bald mit dem Auto fahren zu können. Seit sie den Lernfahrausweis in der Tasche hat, fährt sie einmal pro Woche mit dem Fahrlehrer. Meistens übt sie jedoch mit ihren Eltern. Dieser Punkt stösst bei Fahrlehrer Silvan Gächter auf Unverständnis: «Jetzt ist es so, dass der Lernfahrer mit verschiedenen Personen fahren darf. Diese Personen müssen auch keinen Kurs besucht haben.» Grobfahrlässig findet der Montlinger, der seit bald 40 Jahren Fahrstunden gibt, die Tatsache, dass die Begleitpersonen lediglich die Handbremse betätigen können müssen. Während Autos von Fahrschulen mit Doppelpedalen, zwei zusätzlichen Aussenspiegeln und einem zusätzlichen Innenspiegel ausgerüstet sein müssen, bestünden diesbezüglich bei privaten Fahrzeugen keine Vorschriften. «Ich möchte jeder Begleitperson ans Herz legen, wenigstens einen zusätzlichen Innenspiegel zu verwenden.» Mit dem stetig wachsenden Verkehrsaufkommen steigen auch die Gefahren, weshalb er es begrüsst, dass Neulenker mehr Fahrpraxis sammeln, bevor sie das erste Mal alleine fahren. Selbstverständlich gönne er es aber den Jugendlichen, bereits mit 17 Auto fahren zu dürfen. An Fahrstunden führt kein Weg vorbeiGrundsätzlich gibt es mehrere Möglichkeiten, wie die einjährige Lernphase genutzt werden kann: Fahrschüler können die Theorieprüfung ablegen, neun Monate nichts machen und anschliessend drei Monate eine Fahrausbildung beim Fahrlehrer absolvieren, wobei die Theorie aufgefrischt werden muss. Lernfahrerinnen können die Theorieprüfung ablegen und neun Monate privat fahren, um anschliessend drei Monate lang Fahrstunden zu nehmen. Hierbei müssten nicht nur die Theorie aufgefrischt, sondern möglicherweise auch falsche Angewohnheiten umgeschult werden. Oder angehende Autofahrer absolvieren die Theorieprüfung und besuchen anschliessend Fahrstunden, wobei der Abstand zwischen den Lektionen so gross ist, dass vieles vergessen wird. Gemäss Simon Geiger aus Rorschacherberg führe keine der Varianten da-zu, Fahrstunden einzusparen. «Grundsätzlich finde ich es super, dass 17-Jährige Auto fahren lernen dürfen, nur die Ausführung in der Praxis müsste nochmals überdacht werden», sagt Geiger und verweist auf die Handhabung vieler EU Staaten, wo die Ausbildung mit 17 gestartet, danach die praktische Führerprüfung abgelegt und anschliessend bis zur Volljährigkeit nur in Begleitung gefahren wird. Schlechte Angewohnheiten ausbügelnAuch Ralph Zoller aus Au erachtet die neue Regelung als komplizierter: «Im Gegensatz zu früher kann die Ausbildung nicht mehr an einem Stück durchgezogen werden.» Aus Kostengründen nutzen viele junge Lernfahrer die Möglichkeit, mit den Eltern zu üben. Dabei komme es auf die Eltern an, dass keine schlechten Angewohnheiten eingeübt werden. Wenn Eltern nämlich nicht selbst so fahren, wie es an der Prüfung verlangt wird, merke man das am Fahrstil von Fahrschülern. Seit 1991 bringt Franz Neubauer aus Eichberg seinen Schülerinnen und Schülern das Autofahren bei. Der Verkehr sei hektischer und aggressiver geworden. Ebenso führe die Ablenkung durch das Handy zu Problemen. «Bei den 17-Jährigen, die viel mit den Eltern unterwegs sind, beobachten wir vermehrt schlechte Angewohnheiten.» Beispielsweise bei der Lenkradbedienung, bei der Blicktechnik oder beim Fehlen des Einspurens. Ob die neue Regelung sinnvoll ist, werde sich erst zeigen, wenn die Unfallzahlen publiziert worden seien. Irritiert hätte ihn die Aussage der Gesetzgeber, dass die Ausbildung besser werden müsse und man im Ausland gute Erfahrungen mit der vorgezogenen Lernphase gemacht hat. «Während im Ausland eine fundierte Ausbildung bei einem Fahrlehrer obligatorisch ist, bleibt es hier den Fahrschülern überlassen, ob sie sich Fahrpraxis aneignen wollen oder nicht.» Wenn die Schüler zuerst die Grundausbildung bei einem Fahrlehrer absolvieren und danach mit anderen Personen das Gelernte üben, sehe er Potenzial für eine Verbesserung der Verkehrssicherheit. Fahrschüler gehen sicherer an die PrüfungGemäss Joel Stoffel aus Widnau bringt das Autofahren ab 17 Jahren keine gravierenden Nachteile mit sich, im Gegenteil: «Dank der neuen Regelung erhalten die Fahrschülerinnen und Fahrschüler mehr Zeit, weshalb sie sicherer und routinierter werden und letztlich erfolgreicher die Fahrprüfung absolvieren.» Er sehe das Problem, sich schlechte Angewohnheiten anzueignen, stelle aber beim Grossteil seiner Schüler fest, dass sie zu Hause so üben, wie er es ihnen beigebracht habe. Darüber hinaus gebe ihm die einjährige Lernphase mehr Zeit zum Planen und seinen Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit, Geld zu sparen. «Wer zu Hause viel übt, braucht weniger Stunden beim Fahrlehrer», sagt Joel Stoffel. Für pflichtbewusste 17-jährige Lernfahrerinnen und Lernfahrer scheint die neue Regelung keine negativen Konsequenzen mit sich zu ziehen. Während sich Céline Lutz und Bianca Haltiner darüber freuen, früher selbstständig Auto fahren zu können, gibt es ebenso 17-Jährige, denen es keine Rolle spielt, ob sie mit 18 oder erst mit 19 die Autoprüfung bestehen.Sonderfall: Personen mit  Jahrgang 2003Personen mit Jahrgang 2003 können den Lernfahrausweis seit dem 1. Januar mit 17 Jahren erwerben. Erhalten sie den Lernfahrausweis noch in diesem Jahr, dürfen sie die Autoprüfung ab dem 18. Geburtstag ablegen, auch wenn sie den Lernfahrausweis noch nicht zwölf Monate besitzen. Ohne diese Ergänzung hätten Personen mit Jahrgang 2003, die früh im Jahr Geburtstag haben, ab 2021 den Führerausweis wegen der einjährigen Lernphase erst mit knapp 19 Jahren erwerben können.  

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