24.06.2021

«Mir gefällt die Aufbruchstimmung»

Pfarrer Marcel Wildi war im Mittelrheintal mehrfach Stellvertreter. Nun will er sich zum Pfarrer wählen lassen.

Von Monika von der Linden
aktualisiert am 03.11.2022
Die Evangelische Kirchgemeinde Diepoldsau-Widnau-Kriessern ist im Umbruch. Die Kirchenvorsteherschaft (Kivo) will die Alltagskirche stärken: Zusätzlich zu den Sonntagsgottesdiensten soll es an den Werktagen mehr Angebote für junge Erwachsene und ältere Menschen geben. Die Kivo erläuterte am Kirchgemeindeabend gestern Donnerstag, wie sie sich das vorstellt und welche personellen Auswirkungen das Konzept hat. Aus dem Pfarrteam wird ein Seelsorge- und Diakonenteam: Bereits beschäftigt sind Pfarrer Andreas Brändle (80 %) und Sozialdiakonin Manuela Fiorini (im Stundenlohn). Hinzu kommt Diakon Martin Nägele (100 %). Er beginnt am 1. August. Für die Pfarrstelle schlägt die Kivo Marcel Wildi (50 %) per 1. Januar vor. Er ist derzeit Stellvertreter im Pfarramt Widnau-Kriessern. Wir haben mit ihm vor dem Kirchgemeindeabend gesprochen.Marcel Wildi, mit Ihnen kauft die Kirchgemeinde gewiss nicht die Katze im Sack. Sie haben schon reichlich Gelegenheit gehabt, sich gegenseitig kennenzulernen. Ist Ihre Kandidatur als Pfarrer der logische Schluss?Marcel Wildi: Mich kennen viele Menschen in der Gemeinde und umgekehrt kenne ich sie. Ich arbeite hier bereits das dritte Mal. Zuerst habe ich Andreas Brändle während seines Bildungsurlaubs vertreten, später Silke und Urs Dohrmann während einer Krankheitszeit. Seit das Pfarrehepaar in Pension ist, ersetze ich es bis Jahresende. Ich glaube, die Kerngemeinde freut sich, sollte ich Pfarrer werden. Mir sagt das neue Modell zu. Die Kivo schlägt mit ihm einen sinnvollen Weg ein.Wie meinen Sie das?Mir gefällt die Aufbruchstimmung. Die Menschen hier sind engagiert, sie wollen konstruktiv und kooperativ Neues ausprobieren. Der Schwachpunkt eines Einzelpfarramtes ist, dass es viele Aufgaben beinhaltet. Einer allein kann nicht die ganze Bandbreite dessen erfüllen, was man von sich selbst erwartet oder die Gemeinde wünscht.Sie wären also Pfarrer in allen Dörfern der Kirchgemeinde?Ja. Sind die Mitglieder des Seelsorge- und Diakonenteams für einzelne Ressorts verantwortlich, kommt das allen drei Dörfern zugute. Wer kein Einzelkämpfer ist, arbeitet effektiver. Jeder kann seine Gaben gezielt einsetzen. Es gibt dann auch Angebote für mehr Personengruppen als bisher. Es ist ein hoher Anspruch in der heterogenen Gesellschaft heute, noch Volkskirche sein zu wollen.Wäre die Fusion der drei Mittelrheintaler Kirchgemeinden der nächste Schritt?Das kann ich nicht beurteilen. Grundsätzlich suche ich dort eine Zusammenarbeit, wo immer sie möglich ist: in der Kirchenregion Mittelrheintal und der Ökumene, aber auch mit der Politik und den Vereinen.Welche Ziele haben Sie sich bereits gesetzt?Ich werde noch schauen, was wir entwickeln können. Ich möchte technisch aufrüsten, damit wir die Angebote zeitgemässer gestalten können. Ich denke an Livestreams und Podcasts. In Buchs setze ich seit zehn Jahren Powerpoint-Präsentationen in Gottesdiensten ein, um Predigtgedanken in Bildern auszudrücken oder Liedtexte anzuzeigen.Das klingt, als wären sie ein Entertainer und Coach?Das bin ich manchmal auch. Die Freiwilligenteams müssen sich weiterbilden wie wir, damit sie ihre Arbeit besser tun können und nicht ausbrennen.Sie sind im Aargau aufgewachsen und wirken schon lange in der St. Galler Kantonalkirche. Wie sind Sie theologisch ausgerichtet?Von Haus aus bin ich von einer Freikirche geprägt. Eine Stärke der St. Galler Kantonalkirche ist, dass alle Richtungen unterschiedlicher evangelischer Traditionen nebeneinander Platz haben. Es gibt keine theologischen Grabenkämpfe. Ich nehme die Bibel als Dokument der Kirche ernst und übertrage sie ins heutige Leben.Ist diese Haltung heute noch zeitgemäss?Durchaus. Ich habe schon Wunder erlebt, wie sie im Neuen Testament beschrieben sind. Zum Beispiel als meine Frau mit unserer Tochter schwanger war, stimmte etwas nicht mit der Herzfrequenz des Fötus. Er hätte schon tot sein müssen. Mit uns haben viele Menschen gebetet. Auf einmal wusste ich: Das Kind ist wieder gesund. Der nächste Arztbesuch bestätigte das. Heute ist die Tochter 13 Jahre alt. Ich hatte vor neun Jahren ein Burn-out. Das war meine schlimmste Zeit. Trotzdem fühlte ich mich von Gott getragen. Die Hoffnung, dass er ins Leben eingreifen kann, möchte ich weitergeben.Zeitgleich treten Sie in Zuzwil eine neue Stelle an. Was treibt Sie an?Ich bin seit 18 Jahren in Buchs. Da ist ein Wechsel und Neuanfang durchaus sinnvoll. Dass es zwei 50%-Stellen sind, hat sich so ergeben und hat seine Vorteile. Zur PersonMarcel Wildi hat Jahrgang 1968, er wuchs im aargauischen Rupperswil auf. Heute lebt er mit seiner Frau Elke und zwei Kindern in Buchs. Nach dem Theologiestudium in Basel schloss er sein Vikariat in Oftringen an. Im Jahr 1997 fuhr er zwecks eines Bewerbungsgespräches zum ersten Mal in die Ostschweiz. Während seines ersten Jobs als Stellvertreter in Buchs lernte er seine Frau kennen und das Rheintal schätzen. Später übernahm er verschiedene weitere Aufgaben und kehrte 2003 als Pfarrer nach Buchs zurück. Nach einem Burnout im Jahr 2012 kürzte die Kivo sein Pensum von 100 auf 50 %. Seither füllt Marcel Wildi die zweite Hälfte seines Arbeitspensums mit diversen Aufgaben im Pfarramt Buchs, in der Kantonalkirche (aktuell präsidiert er die Synode) und als Redaktor reformierter Publikationen. Ende Jahr verlässt er die Kirchgemeinde Buchs und wird der für Zuzwil zuständige Pfarrer (50%). (vdl)HinweisMarcel Wildi stellt sich am Sonntag, 22. August, 10.30 Uhr, in der evangelischen Kirche in Diepoldsau der Gemeindeversammlung zur Wahl. Erhält er ihr Vertrauen, schliesst sich der Amtsantritt des Pfarrers nahtlos per 1. Januar an die Stellvertretung an.

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