Es war ein guter Tag für die SVP: Dass der Bundesrat das Rahmenabkommen mit der EU für tot erklärt hat, kommt der Partei, die den Vertrag seit jeher bekämpft hat, höchst gelegen. Zuletzt lief es für die SVP nicht nach Wunsch. Ihre letzte wichtige Abstimmung – über die Begrenzungsinitiative – verlor sie im vergangenen Herbst. Wegen des massiven Widerstands aus der Wirtschaft, aber auch wegen der Coronapandemie, wie der St. Galler Nationalrat Mike Egger nach dem Urnengang sagte: Die Coronamassnahmen hätten den Abstimmungskampf auf der Strasse und bei der Bevölkerung erschwert. Kurz vorher hatten die Delegierten der SVP Kanton St. Gallen Egger zum neuen Strategiechef gewählt. Er trat damit auch in dieser Funktion in die Fussstapfen von Toni Brunner. Nach Brunners Rücktritt aus dem Nationalrat war Egger im Frühjahr 2019 als erster Ersatzkandidat nach Bern nachgerückt.
Ein halbes Jahr später erlitt die SVP bei den nationalen Wahlen eine Niederlage. Sie blieb wählerstärkste Partei, verlor aber 3,8 Prozent Wähleranteil. Im Kanton St. Gallen musste sie ihren fünften Nationalratssitz abgeben, den sie 2015 gewonnen hatte. Der Sprung in den Ständerat gelang nicht, und auch die Kantonsratswahlen 2020 brachten für die SVP einen Rückgang des Wähleranteils (–2,6 Prozent). Zwei Sitze in der Regierung – und einer im StänderatKeine allzu gemütliche Ausgangslage für den neuen Strategiechef der SVP. An der Delegiertenversammlung im August soll ein neues Programm verabschiedet werden. Wie sehen Eggers Pläne aus? «Wir müssen an Toni Brunners Erfolge anknüpfen», sagt er. Brunner habe mit der Steigerung des Wähleranteils in den Jahren 2015 und 2016 «Historisches» geschafft. Die Ziele für die Wahlen 2023/2024 seien bereits klar: «Wir wollen den fünften Sitz im Nationalrat zurückholen sowie einen Sitz im Ständerat gewinnen.» In der St. Galler Regierung will die SVP ihren bisherigen Sitz halten und einen zweiten erobern. Namen von möglichen Kandidatinnen und Kandidaten will Egger noch keine nennen. Aber gerade für den Ständerat gebe es «mehrere gute Kandidaten, welche zur Auswahl stehen». Einer meldete sich schon früh: Roland Rino Büchel, der im Herbst 2019 zur Ständeratswahl angetreten war, stellte noch am Wahltag in Aussicht, er werde in vier Jahren einen neuen Anlauf nehmen. Die SVP werde den Ständeratssitz holen, sobald Paul Rechsteiner (SP) nicht mehr antrete.
Sieben-Punkte-Programm in ArbeitDie Köpfe sind das eine, der politische Inhalt das andere. Im Wahlkampf vor zwei Jahren dominierte die Klimapolitik die öffentliche Debatte bis ins bürgerliche Lager hinein, die SVP stand mit ihren Kernthemen nicht im Zentrum – die Zuwanderung beispielsweise bewegte die Bevölkerung weniger als in früheren Jahren. Die «Grosswetterlage» sei in den letzten Wahlkämpfen nicht einfach gewesen, räumt Egger ein. Doch es finde ein Umdenken statt, gerade in der Klimapolitik – das zeige das Kopf-an-Kopf-Rennen um das CO2-Gesetz.
Was nicht heisst, dass die St. Galler SVP jetzt zur Umweltpartei wird. Im Entwurf für das Sieben-Punkte-Programm steht zwar ein Naturbild am Anfang. Es sind die sieben Churfirsten. Der erste Punkt, symbolisiert durch den Chäserrugg, lautet aber: «Zuwanderung und Integration – masslose Zuwanderung stoppen und klare Anforderungen bei der Integration stellen, um die Aushöhlung unseres Sozialstaates zu verhindern.» Als zweiter Punkt folgt die Sicherheit (Kantonspolizei und Grenzwachtkorps aufstocken). Die weiteren Punkte betreffen die Bildung (duales Berufssystem stärken), Energie und Umwelt (Anreize statt Verbote), Gesundheit (bezahlbare Prämien), Wirtschaft und Lebensraum (tiefere Steuern) und Staatsfinanzen (Stopp dem Ausgabenwachstum).«Zuwanderungsfrage wieder wichtiger»Mit der Migration als Hauptthema würde die Partei ihre bisherige inhaltliche Linie fortführen, trotz der Rückschläge in den vergangenen Jahren. Wie soll das funktionieren? «Die Bedeutung der Zuwanderungsfrage wird wieder zunehmen», so Egger. Mit der Coronapandemie hätten sich die Voraussetzungen für die Schweiz grundlegend geändert. «Es gilt, eine Wirtschafts- und Finanzkrise zu bewältigen», sagt der Nationalrat und verweist auf die Milliardendefizite im Bundeshaushalt. Weil andere Länder mit demselben Problem zu kämpfen hätten, sei davon auszugehen, dass das Thema Migration die Schweiz verstärkt beschäftigen werde.